Abschiebe-Monitoring am Airport: So krass schiebt Hamburg ab

Die Abschiebebeobachterin am Flughafen Hamburg hat ihren Jahresbericht veröffentlicht. Der ist schwer erträglich. Aber es ist gut, dass es ihn gibt.

Ein Mann wird von zwei Polizisten auf einer Treppe zum Flugzeug geführt.

Notfalls mit dem Einsatz von Zwangsmitteln: Abschiebungen per Flugzeug, hier 2019 auf dem Flughafen Leipzig-Halle Foto: Michael Kappeler/dpa

Schreiende Kinder, zitternde Eltern, Behörden, die eine Abschiebung drei Tage nach einem Suizidversuch für zumutbar halten – und Ärzt:innen, die Abzuschiebenden gegen deren Willen Spritzen verabreichen und diskriminierende Sprüche über sie äußern: Am Dienstag wurde der Jahresbericht der Hamburger Abschiebebeobachterin veröffentlicht. Es ist – mal wieder – ein Auszug krasser Situationen von Abschiebungen über den Hamburger Flughafen. Und so hart sich manche Schilderungen im 32-seitigen Bericht lesen – gut, dass es ihn gibt.

Die Stelle der Hamburger Abschiebebeobachterin, seit Ende vergangenen Jahres von Merle Abel ausgeführt, wird vom rot-grünen Hamburger Senat finanziert. Sie darf bei Abschiebungen am Flughafen dabei sein, beobachten, währenddessen mit den zuständigen Polizist:innen, Ärz­t:in­nen und vor allem mit den Betroffenen sprechen.

Eingreifen aber darf sie nicht. Und sie ist auch nicht dabei, wenn zuvor, etwa bei der Abholung aus der Abschiebehaft, oder während des Fluges etwas passiert. Später bespricht die Beobachterin mit Behörden, der Politik und der Polizei diskussionswürdige Situationen. In der Regel bedeutet das: wenn die Menschen längst abgeschoben wurden. Und zu mehr als einer Besprechung kann die Beobachterin die staatlichen Stellen nicht zwingen.

Der aktuelle Jahresbericht legt einen Fokus auf das Handeln von Me­di­zi­ne­r:in­nen

Man kann die Rolle also durchaus als zahnlosen Tiger, als Feigenblatt menschenunwürdiger Abschiebungen sehen. Nur: Was wüsste die Öffentlichkeit ohne den Posten über die Abschiebepraxis in einem abgeschirmten Bereich des Flughafens?

Dramatische Details staatlicher Zwangsmaßnahmen

Und dank der regelhaften Beobachtung können bislang unbeachtete Aspekte neue Diskussionen ermöglichen. Bisher steht bei Abschiebungen einzig das Agieren der Behörden, der Polizei oder der Betroffenen im Fokus. Der aktuelle Jahresbericht legt einen Fokus auf das Handeln von Mediziner:innen, nimmt also die medizinische Versorgung während der Abschiebungen in den Blick. Und die wirft der Beobachterin zufolge „viele Fragen auf“.

So etwa, wenn bei der Abschiebung anwesende Ärz­t:in­nen zur Zwangsmedikation greifen, wie ein Beispiel im Monitoringbericht aufzeigt. Die dürfen schließlich nur unter enger rechtlicher Voraussetzung erfolgen. Doch ist die Verabreichung eines Beruhigungsmittels gegen den Willen des Betroffenen zulässig im Rahmen des Gebots, die Flugsicherheit nicht zu gefährden?

Oder Körperverletzung, besonders dann, wenn der Arzt dem Betroffenen danach auch noch eine Spritze in den Oberschenkel verabreicht, während dieser sich auf seinem Platz im Flugzeug gegen die Fixierung durch vier Po­li­zis­t:in­nen wehrt?

Juristisch ist das nur schwer zu sagen, aber aufgrund dieser Beobachtungen soll nun eine Handreichung für die bei Abschiebungen eingesetzten Ärz­t:in­nen erstellt werden, um sie zu sensibilisieren. Das ist angesichts der grundsätzlich schlimmen Abschiebe­praxis in Europa sicher kein großer Wurf. Aber: Was wüsste man als Nichtbetroffener ohne die Abschiebebeobachterin schon über dramatische Details einer staatlichen Zwangsmaßnahme?

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Jahrgang 1991, hat Politik und Geschichte in Göttingen, Bologna und Hamburg studiert. Von 2020 bis August 2022 Volontär der taz nord in Hamburg, seither dort Redakteur und Chef vom Dienst. Schreibt meist über Politik und Soziales in Hamburg und Norddeutschland.

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