Abschied vom Deutschen Theater: „Da muss man Druck aufbauen“

Intendant Ulrich Khuon verlässt das DT in Berlin und legt in Zürich ein Zwischenspiel ein. Ein Gespräch über Gemeinschaft und Diversität am Theater.

Ein älterer Mann mit dunkel umrandeter Brille und graumeliertem Haar im Profil

Für den scheidenden Intendanten des Deutschen Theaters, Ulrich Khuon, ist Arbeit ein Sinnhorizont Foto: Klaus Dyba

taz: Herr Khuon, haben Sie am Deutschen Theater (DT) einen Lieblingsort?

Ulrich Khuon: Ja, das ist ein Platz im Rang, ein Dienstplatz im Zuschauerraum. Das ist wichtig, um ein Gefühl zu bekommen für das, was passiert zwischen Bühne und Publikum. Das atmet ja. Da merkt man, ob was funktioniert, sich überträgt oder nicht. Das ist der schönste Ort. Zumal Theaterhäuser eine unglaubliche Bindungskraft haben, auch durch die Zeiten hindurch. Man taucht ein, und auch wenn man nur eine Etappe gestaltet, ist man doch Teil von etwas, das schon hundert Jahre lang andere gestaltet haben und auch in Zukunft gestalten werden. All das spürt man an diesem Platz.

Die Frage nach einem Lieblingsort im Theater spielt eine Rolle in der ­Publikation „Kampf ums Paradies“, die zu Ihrem Abschied nach 14 Spielzeiten am DT erschienen ist. Viele, die hier arbeiten, erzählen von ihren Lieblingsplätzen und danken Ihnen, weil sie sich in der Arbeit gut unterstützt fühlten. Trotzdem lautet der Titel: „Kampf ums Paradies“. Wofür mussten Sie an diesem Theater kämpfen?

1951 in Stuttgart geboren, begann Ulrich Khuon seine Theaterarbeit im Jahr 1980 als Chefdramaturg und ab 1988 als Intendant am Stadttheater Konstanz. 1993 wechselte er an das Niedersächsische Staatsschauspiel Hannover und 2000/01 an das Thalia Theater Hamburg als Intendant. Seit September 2009 war er Intendant des Deutschen Theaters Berlin. Von Januar 2017 bis November 2020 war Ulrich Khuon Präsident des Deutschen Bühnen­vereins.

Das ist ein Zitat aus einem tollen Rio-Reiser-Lied, in dem er im Grunde die Vergeblichkeit beschreibt. Praktisch war das hier in Berlin kein Kampf. Die Politik, das Publikum gingen mit uns mit. Wo der Kampf für mich wichtig wird: Wir dürfen nie aufhören, um das gemeinsame Verstehen zu kämpfen. Das ist kein Automatismus. Das war ein Missverständnis unter dem Stichwort Multikultur: Alle sind da, alle verstehen sich. Die Heterogenität, die Diversität, das wissen wir inzwischen, ist kein Selbstläufer. Dass das zum Paradies werden kann, das ist eine tägliche Anstrengung. Und die muss sein. Die Zusammenarbeit mit den 300 Mit­ar­bei­te­r:in­nen ist auch nach zehn Jahren nicht so, dass man sagen könnte, ja jetzt läuft es einfach. Man kommt nie auf einem Plateau an, wo nichts mehr schiefgehen kann.

Das Buch beginnt mit vielen Inszenierungsfotos, die sehr großzügig inszenierte Räume zeigen. Die Aufnahmen sind Totalen, die Schau­spie­le­r:in­nen darin klein. Das hat ein visuelles Moment von Existenzialismus. Ist das eine Botschaft des Theaters?

Das ist eine interessante Beobachtung. Die Bilder sollen ja am Anfang auch etwas Überwältigendes haben. Mit dem großen Rundhorizont der Bühne haben wir eben auch eine Unendlichkeit vor uns. Die einzelnen Menschen bewegen sich darin, wie es Tocqueville vor über 170 Jahren beschrieb, mit kleinlichen Vergnügungen befasst und ziellos umeinander rum. Das ist die eine Beobachtung. Die Gegenbeobachtung, wir haben für jedes Jahr die Ensembles abgebildet, ist die Gemeinschaft. Die ist ein permanenter Behauptungsvorgang. Wenn wir Gemeinschaft wollen, müssen wir uns füreinander interessieren. Wir erleben die existenzielle Ausgesetztheit, die metaphysische Obdachlosigkeit gerade sehr stark. Da ist die Kunst ein toller Ort, die dem etwas entgegensetzen kann.

Dies ist Ihre letzte Spielzeit als Intendant am Deutschen Theater in Berlin, das war lange bekannt. Jetzt folgt überraschend ein neues Kapitel als Interimsintendant in Zürich 2024. Also wollen Sie weiterkämpfen?

Ja, ich bin dankbar für das Angebot. Ich habe schon gemerkt, dass dieser Abschied, die Trennung von so vielen Menschen, mir auch schwerfällt. Im Grunde ist Zürich auch eine Ablenkung von diesem Problem des Abschiednehmens. Und eine Aufgabe, das ist schnell zu merken, die die volle Energie braucht. Das benötigt das Interesse an denen, die dort sind, mit denen will ich ja arbeiten. Jetzt versuche ich, dieses Terrain auszuloten.

Das Terrain des Theaters Zürich ist von einigen Verwerfungen gezeichnet. Den scheidenden Co-Intendanten Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann wird zum Beispiel vorgeworfen, zu viel Nischenprogramm gemacht zu haben, Stückentwicklungen zu woken Themen. Andererseits haben sie damit teils ein neues Publikum gewonnen. Wie sehen Sie den Streit über die inhaltliche Ausrichtung des Theaters dort?

Ich neige dieser Darstellung zu. Sie haben ein neues, junges Publikum dazugewonnen. Das hat manchmal die Konsequenz, dass andere dann enttäuscht wegbleiben, das habe ich auch schon erlebt. Ich finde den Weg, den sie gegangen sind, gut und interessant; vielleicht wurde er zu früh abgebrochen. Ich denke, man braucht mehr Zeit. Nach meiner Erfahrung sieht man erst so nach drei Jahren, ob es zum Guten kippt oder nicht.

Mehr Zeit haben die beiden Intendanten nicht bekommen.

Was ich noch nicht beurteilen kann, welche Verwerfungen es außerdem gab, welche finanziellen Probleme. Manchmal liegen die Gründe für eine Trennung auch im Psychologischen. Da finde ich wichtig, was der italienische Dichter Ungaretti mal gesagt hat: „Das unverständlichste Gedicht wendet sich an die ganze Welt.“ Selbst wenn ihr mich nicht versteht, ist das nicht meine Absicht. Meine Absicht ist, euch zu erreichen. Diese Botschaft müssen wir immer wieder rüberbringen, dass wir, selbst wenn wir dunkel, merkwürdig, abseitig wirken, Menschen nicht ausschließen wollen, sondern interessieren. Man muss auch Geduld haben. Das habe ich hier mit dem Regisseur Sebastian Hartmann oder der Autorin Dea Loher erlebt. Zunächst geht kaum einer hin, da muss man hartnäckig bleiben.

Diese Hartnäckigkeit hat sich gelohnt, das habe ich an Ihrer Arbeit hier auch geschätzt. In Zürich geht es auch um Auslastungszahlen, die nicht gut sind. Aber auch um eine Presse, besonders die NZZ, die die Zahlen noch schlechter gemacht hat. Wie wollen Sie dem begegnen?

Also, ich habe ein bisschen geübt. Ich hatte auch Phasen, in denen die Presse vieles schlecht fand, was wir machten. Man muss wissen: Wenn ich mich öffentlich äußere, urteilt die Öffentlichkeit auch über mich. Das erste Theater, wo ich war …

als Intendant in Konstanz …

… da gab es eine Monopolpresse, den Südkurier. Der hat uns jahrelange runtergeschrieben. Alle haben ihn gelesen. Da dachten wir, dann müssen wir einen Bypass legen zum Publikum. Bei nur einer Zeitung ist das vielleicht leichter. Wir hatten eine starke Gruppenenergie. Man muss drum kämpfen, andere Wege zum Publikum zu finden; das ist heute durch die anderen, die digitalen Kanäle sogar leichter.

Der Auftrag an die Intendanz in Zürich war auch, für mehr Diversität zu sorgen. Dies Anliegen, mehr Milieus anzusprechen, mehr Vielfalt in den Geschichten, wurde ja auch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten an die Theater herangetragen. Was waren in Ihrer Zeit am Deutschen Theater die größten Baustellen in dieser Hinsicht?

Wir haben die Diversität zwischen Osten und Westen, die am DT eine große Rolle spielte, auch den Blick nach Osteuropa ganz gut hingekriegt. Auch zwischen Alt und Jung haben wir hinzugewonnen, Publikumsgruppen aus verschiedenen Generationen kommen. Was die Diversität im Genderbereich angeht, hatte ich mittendrin so eine Art Erweckungserlebnis, mit Rosa von Praunheim und Bastian Kraft, die hier Stücke zu machen begannen. Da sind wir für die queere Community ein Ort geworden. Und, was mir schon in Hamburg wichtig war, die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen, dem haben wir durch die Verbindung mit dem Ramba-Zamba Theater eine Stetigkeit gegeben. Wir haben allerdings kein sehr diverses Ensemble, was die Herkünfte angeht: Da haben wir uns auf den Weg gemacht, doch das ist nicht ausgeschöpft.

Schon in Hamburg am Thalia Theater und weiter in Berlin haben Sie eine Generation von Regisseuren mit aufgebaut, Andreas Kriegenburg, Stephan Kimmig, Michael Thalheimer und Armin Petras gehören dazu. Etwas später waren es dann auch jüngere Regisseurinnen wie Anne Lenk, Daniela Löffler, Jette Steckel. Wie denken Sie, ist die Gendergerechtigkeit am Theater vorangekommen? Ist die Quote notwendig, wie sie sich zum Beispiel das Theatertreffen verordnet hat?

Wenn sich die Welt ohne sie nicht richtig bewegt, dann braucht es sie eben. Im Bühnenverein habe ich lange genug gedacht, das kommt so Schritt für Schritt. Am Anfang gab es eine Intendantin in unserer Männerrunde, 20 Jahre später waren 20 Prozent der In­ten­dan­t:in­nen Frauen – aber 80 Prozent sind dann immer noch Männer, das geht zu langsam. Da muss man Druck aufbauen.

Wie nutzen Sie das Jahr, das zwischen dem Ende Ihrer Intendanz hier und dem Beginn in Zürich liegt?

Da kann ich schon mal üben. Ich gehöre der Generation an, die gerne arbeitet, Arbeit ist ein Sinnhorizont. Das muss ich mir langsam abtrainieren. Das letzte Jahr ist dann so eine Mischung: Ich bereite Zürich vor, die Hälfte der Zeit, und die andere Hälfte kann ich dann genießen, mit Freunden und Familie in Berlin.

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