Aktivistin über Menschenhandel: „Geringes Risiko, große Gewinne“

Menschenhandel ist ein globales Verbrechen, sagt Winnie Mutevu von der NGO Haart in Kenia. Vor Kurzem konnte die Organisation 32 Menschen retten.

Ein Kind lächelt in die Kamera, hinter ihm sind zwei weitere Kinder zu sehen

Historische Dürre in Kenia: Junge an einem Brunnen in Turkana Foto: Simone Boccaccio/Zuma Wire/imago

taz: Winnie Mutevu, Sie engagieren sich gegen Menschenhandel. Wie sieht Ihre Arbeit aus?

ist Programmdirektorin der Menschenrechtsorganisation Haart (Awareness Against Human Trafficking), die sich in Nairobi, Kenia, gegen Menschenhandel einsetzt.

Winnie Mutevu: Wir decken das gesamte Spektrum von Prävention bis Politik ab, aber im Mittelpunkt steht die ganzheitliche Unterstützung von Überlebenden des Menschenhandels. Über unsere Notrufnummer oder soziale Medien melden sich Opfer und Zeu­g:in­nen bei uns. Wenn ein Rettungseinsatz erforderlich ist, informieren wir die kenianischen Behörden. Auf der anderen Seite verweisen die Behörden Überlebende an uns. Wir helfen bei der Notunterkunft und Zugang zu medizinischer Versorgung, Psychotherapie, oder Lebensmitteln. Um einen erneuten Menschenhandel zu verhindern, helfen wir Überlebenden, eine Beschäftigung zu finden, ein eigenes Unternehmen zu gründen oder eine Schule zu besuchen.

Wie geraten Opfer in den Menschenhandel?

Es beginnt mit Armut. Wir stehen vor dem dritten Dürrejahr in Folge, in vielen Regionen haben Menschen keine Ressourcen mehr. Die katastrophalen klimatischen Auswirkungen zwingen viele Menschen weiterzuziehen. Das macht sie anfällig für Zwangsarbeit oder sexuelle Ausbeutung. Auch Kinderarbeit und Kinderheirat gibt es häufig. In vielen Fällen begeben sich Menschen selbst in das Risiko des Menschenhandels, um Grundbedarfe zu bezahlen, Lebensmittel, Schulgeld oder medizinische Behandlungen für Verwandte etwa. Sie suchen Agenturen, die gut bezahlte Jobs ausschreiben.

…in den Golfstaaten etwa?

Ja, als unsere For­sche­r:in­nen kürzlich Ke­nia­ne­r:in­nen befragten, die vom Golf zurückgekehrt waren, hatten fast alle von ihnen irgendwann einmal Zwangsarbeit und Misshandlungen erlebt. Mehrere hundert junge Ke­nia­ne­r:in­nen starben am Golf, die Behörden gaben unwahrscheinliche Ursachen wie Herzstillstand an. Viele landen in Gefängnissen aufgrund des so genannten Kafala-Systems, das Arbeitgebern in einigen Golfstaaten fast absolute Macht über ihre Angestellten gibt. Bei der Ankunft werden den Ar­bei­te­r:in­nen Dokumente und Telefone abgenommen. Manche müssen lange arbeiten, haben keinen freien Tag, werden nicht oder nur schlecht bezahlt und erhalten nicht genug zu essen oder erfahren Gewalt. Der jüngste Trend ist, dass Menschen aus Kenia nach Asien verschleppt werden, vor allem nach Laos und Myanmar, wo sie zu Internetkriminalität gezwungen werden.

Werden sie auch über Agenturen rekrutiert?

Ja, Agenturen werben für gut bezahlte Jobs, angeblich in thailändischen Cybercafés oder Supermärkten. Sie suchen nach gebildeten Menschen, die mit Computern umgehen können und fließend Englisch sprechen. Doch bei ihrer Ankunft, so berichtete uns ein gerettetes Opfer, wurden ihnen die Pässe abgenommen und sie wurden nach Myanmar und Laos in Lagerhallen verschleppt. Die Überlebenden erzählten uns, dass sie geschult wurden, US-Bürger zu identifizieren, die sich über soziale Medien in sie verlieben sollten. Sie sollten die Ame­ri­ka­ne­r:in­nen überzeugen, in Kryptowährungen zu investieren – ein Betrug, um ihnen Geld abzunehmen.

Konnten sie mit den Computern keine Hilferufe verschicken?

Sie wurden streng überwacht und bei ‚Regelverstößen‘ geschlagen, berichten die Überlebenden. Es soll ihnen angedroht worden sein, dass sie, sobald sie unbrauchbar würden, zur Organentnahme dienen würden. Aber einem von ihnen gelang es tatsächlich, seine Familie zu erreichen. So erhielt Haart den ersten Bericht. Wir meldeten den Fall unserer Regierung, die mit der laotische Regierung dann eine Rettungsaktion koordinierte. Die Person, die von dem Familienmitglied an uns verwiesen wurde, war Teil der ersten Gruppe von fünf Personen, die gerettet wurden und im September 2022 nach Kenia zurückgebracht wurden.

Der Rettungstrupp hat sie aus dem Lager geholt?

Nein, die Regierung von Laos übergab dem Kartell ein Schreiben mit Namen und bat um die Freilassung der fünf identifizierten Personen. Auf Grundlage von Informationen der Geretteten und der laotischen Polizei wurden weitere Personen auf die Liste gesetzt. Innerhalb weniger Wochen erhielt Haart 32 gerettete Überlebende aus Kenia, Uganda und Burundi. In den Lagern befanden sich aber auch viele Verschleppte aus Indien und China, die nicht gerettet wurden, berichten die Überlebenden.

Die Definition

Menschenhandel ist die Anwerbung, Beförderung und Beherbergung von Menschen zum Zweck der Ausbeutung – durch Zwangsarbeit, kommerzielle oder sexuelle Ausbeutung. Entscheidend ist, dass eine informierte, faire und freie Zustimmung fehlt. Menschenhandel kann über nationale Grenzen verlaufen, muss er aber nicht.

Die Datenlage

… ist schlecht. Der jüngste Globale Bericht zu Menschenhandel 2022 vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC) gibt an, dass 2020 53,8 Millionen Opfer von Menschenhandel erfasst wurden. Die Dunkelziffer ist unklar. Die Zahl der erfassten Opfer sank zum ersten Mal seit 20 Jahren. Der Bericht führt dies auf die Covidpandemie zurück, die Menschenhandel weiter in den Untergrund treibe, während Kapazitäten der Strafverfolgungsbehörden eingeschränkt würden. Der Bericht mahnt an, dass sich Opfer auf „Selbstrettung“ verließen, „da die Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu kurz greifen“. Krieg, Konflikte und der Klimawandel vervielfachen die Risiken.

Das Geschäft

Auch hier fehlen Daten. Vor zehn Jahren schätzte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), dass allein Zwangsarbeit der Privatwirtschaft weltweit 150 Milliarden US-Dollar Profit jährlich bringt. Der UN-Bericht zeigt: Etwa 30 Prozent der erfassten Fälle von Zwangsarbeit stammen aus der Landwirtschaft, dicht gefolgt von der Fischindustrie. Von allen erfassten Opfern von Menschenhandel macht Zwangsarbeit 38,8 Prozent aus, beinahe genauso viele, 38,7 Pro­zent, werden zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gehandelt.

Was unternimmt die kenianische Regierung, um Menschenhandel zu verhindern?

Sie informiert auf sozialen Medien über diese Betrugsmaschen. Es gibt ein eigenes Gericht für organisierte Verbrechen einschließlich Menschenhandel, das hat die juristische Aufarbeitung der Fälle erleichtert. Die Regierung richtete auch eine Nationale Arbeitsbehörde ein, die unter anderem Arbeitsvermittlungsagenturen registriert. Sie schloss bilaterale Abkommen mit Katar und Saudi-Arabien über die Anwerbung von Hausangestellten und die Regulierung von Arbeitskräften. Dennoch gibt es immer noch viele Kenianer:innen, die in die Golfstaaten und nach Asien verschleppt werden, obwohl sie mit akkreditierten Agenturen zusammenarbeiten. Es gibt also immer noch Lücken. Auch die Unterstützung der Opfer wird hauptsächlich von zivilen Organisationen angeboten.

Sie waren kürzlich in Deutschland und haben mehrere Vorträge gehalten. Was kann Deutschland tun?

Zum einen muss die Nachfrageseite von billigen Arbeitskräften betrachtet werden. Es ist wichtig, Lieferketten zu überwachen und sicherzustellen, dass es keine Kinder- oder Zwangsarbeit gibt. Ich sehe die Bemühungen, die Deutschland und die EU bei der Formulierung von Sorgfaltspflichtengesetzen unternehmen. Wir sollten die Regierungen auch dazu drängen, die Migration nicht länger zu behindern, sondern sie sicherer und regelmäßiger zu machen, auch für Menschen aus und nach Afrika. Dies wird die Macht der Menschenhändler im Migrationsprozess verringern. Deutschland sollte sich für einen besseren Schutz der Überlebenden und die strafrechtliche Verfolgung der Tä­te­r:in­nen einsetzen und seinen Einfluss in Europa nutzen, um das zu erreichen. Die USA etwa macht finanzielle Ressourcen von Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels abhängig. Das hat sich in Kenia bewährt.

Mit dem Projekt für ein besseres Migrationsmanagement will die EU die Schleusung von Mi­gran­t:in­nen und den Menschenhandel am Horn von Afrika eindämmen. Was halten Sie von dem Projekt?

In Kenia wird das Projekt von der deutschen Regierung über die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) verwaltet. Es begann 2016.Ich habe den Eindruck, das Hauptziel besteht darin, die Migration zu reduzieren, aus meiner Sicht gibt es Lücken, was den Menschenhandel betrifft. Ich würde mir wünschen, dass mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden, um politische Maßnahmen gegen Menschenhandel zu unterstützen und Optionen für Menschen in der Subsahara-Region zu schaffen, sicher zu migrieren.

Was ist noch nötig, um den Menschenhandel ganzheitlich zu bekämpfen?

Wir unterschätzen die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen und der Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Im Zusammenhang mit COVID-19, einer Pandemie, die alle Menschen auf der Welt betrifft, wurde deutlich, wie viel wir tatsächlich tun können, wenn ein Thema von Regierungen und Gesellschaften ernst genommen wird. Aber wir sehen nicht einen Bruchteil davon, wenn es um Kampagnen zum Menschenhandel geht, von der mehr als 50 Millionen Menschen betroffen sind. Ja, es werden mehr Opfer identifiziert und unterstützt. Aber insgesamt ist der Menschenhandel immer noch ein Geschäft, das bei geringem Risiko große Gewinne verspricht: Nur wenige Tä­te­r:in­nen werden vor Gericht gestellt, noch weniger werden verurteilt. Die Zahl der Opfer steigt von Tag zu Tag. Menschenhandel ist ein globales Verbrechen, das nur mit gemeinsamen Anstrengungen bekämpft werden kann.

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