Ambivalente Kunst: Der Kitsch-Rebell

Ist die Kunst des Friedensreich Hundertwassers nun eher doof oder eher nicht doof? Eine Selbsterkundung in einer Ausstellung seiner Druckgrafik in Wedel

Quietschbunt und immer postkartentauglich ist auch die Druckgrafik von Hundertwasser Foto: Bernd Henkel

HAMBURG taz | Schnell kann es gehen und aus einem wahren Kunststar wird ein Depp. Wird einer, über den alle nur noch die Nase rümpfen, bei Ai Weiwei ist das aktuell der Fall: Eben noch gefeiert für seine widerständige Haltung gegen die chinesischen Zensurbehörden und ihre Schergen; für seinen Versuch, seine Verhaftung im April 2011 und sein sich anschließendes 80-tägiges, spurloses Verschwinden in Kunst zu wandeln; lange geschätzt für seinen Witz, seine Kunsträume voller Sonnenblumenkerne aus Porzellan, seine Katzen, mit denen er sich umgibt und seinen Twitter- und seinen Instagram-Account, die unablässig Material liefern – und nun ist das alles nur noch Folklore, ist es billige Effekthascherei, eigentlich nicht der näheren Betrachtung wert. Und alle haben es schon immer gewusst oder stimmen schnell noch mit ein, bevor es zu spät ist.

Oder Keith Haring, eigentlich ein cooler Typ, bis er dieser Posterheini wurde, oder? Oder Dalí, den fand man doch auch mal gut, doch heute? Und wer weiß, wie die Christos mittlerweile dastehen würde, wäre damals nicht so ein Supersommerwetter gewesen, als man da auf der Wiese vor dem verhüllten Reichstag der Länge nach in der Sonne lag, woran man sich gern erinnert, weil diese Erinnerung sich gut anfühlt.

So kann es kommen. Oder auch nicht, man weiß es nicht. Und ist sich oft nicht sicher.

Und dieser Hundertwasser? Friedensreich mit Vornamen, eigentlich Friedrich, der sich später noch die Vornamen „Regentag“ und „Dunkelbunt“ hinzugab. Kitsch oder Kunst, konsequentes Ausagieren und Umwandeln seines Lebens- und Daseinsgefühls in Bilder und am Ende in Architektur – oder schlicht kalkulierte Masche? Das ist bei ihm die Frage.

Dabei deuten die Eckdaten erst mal Richtung Tadellosigkeit: handfester Atomkraftgegner der ersten Stunde, befreundet mit Bazon Brock, mit Arnulf Rainer, der in seinen Nacktvorlesungen für eine neue, ungezwungene und frei fließende Ästhetik plädierte, gewissermaßen Wiener Aktionismus light. Hundertwasser hat man heute anlässlich der wieder zunehmenden Unwirtlichkeit der Städte als praktischen Architekturkritiker auf dem Zettel, der einen mit seinen lustig-schrägen Wänden und Flächen und daher gestreuten Giebelchen erheitert, ohne einen dabei mit den theoretischen Verstiegenheiten der Anthroposophie zu behelligen.

Und wer mal auf dem Weg von Hamburg nach Hannover oder von Hannover nach Hamburg bahnmäßig in Uelzen stranden sollte, sieht: Sein nach Hundertwassers Entwürfen gestalteter Provinzbahnhof mit seinen so disfunktionalen Ecken und Nischen, seinen schräg verkachelten Türmen und steinernen Wucherungen ist tatsächlich ein angenehmer Ort. Irgendwie schon gut, wenn da die hastigen Bahnreisenden ihre Rollkoffer über den von ihm so absichtlich uneben angelegten Boden rumpeln lassen müssen und alles nicht so reibungslos klappen will wie geplant.

Nun gibt es im Wedeler Barlachhaus, vor den Toren Hamburgs, eine gute Gelegenheit, Hundertwassers Werk mal wieder zu begegnen, ausgestellt sind 150 Druckgrafiken. Man stolpert sogleich über die Ständer voller Hundertwasser-Kunstpostkarten, die Auslagen mit Hundertwassser-Kalendern, plus die Hundertwasser-Poster, die daheim im Flur ihren Platz finden könnten. Dazu ein Hinweisschild für uns Besucher: „Bitte nur sehr leise sprechen!“ Na, das kann ja heiter werden!

Ab dem mittleren Hundertwasser weiß man immer, dass da ein Hundertwasser vor einem hängt, und das hört nicht mehr auf

Man möchte gleich wieder gehen, angesichts all der aufdringlichen Hundertwasser-Gemütlichkeit, all der quietschbunten Bilder mit den ihm eigenen Spiralen, den darin eingeflochtenen Gesichtern, den Tropfen, den goldgetupften Quadraten, die das Manifeste seines Bunten so verstärken. Aber nun sind wir schon mal da, also schauen wir uns auch um. Bei Ebay gibt es übrigens derzeit Hundertwasser-Werke in der Preisspanne zwischen 8.500 Euro und 9,99 Euro pro Stück zu erwerben.

Aber zum Glück, zum Glück für die Hundertwasser-Fans wie noch mehr für die Hundertwasser-Hasser und am allermeisten für uns, die wir uns noch nicht entschieden haben, auf welche Seite wir gehören wollen, läuft im Untergeschoss ein bemerkenswerter Film: „Hundertwasser Regentag“, von Peter Schamoni von 1972. Man sieht Hundertwasser, wie er nackt seine Bilder malt, wie er nackt sein Schiff „Regentag“ steuert, wie er im Bademantel über den Dächern von Wien steht und auf die Stadt herunter schaut, die er mag, aber sie ihn nicht.

Dazu spricht Hundertwasser mit seiner ruhigen, sonoren Stimme, sagt Sätze wie: „Wenn es regnet, bin ich glücklich.“ Weil nämlich der Regen im Gegensatz zur Sonne, die Farben belebe, nicht umgekehrt, wie man immer dächte. Und ganz unaufgeregt begleitet Schamoni Hundertwasser bei seinen Ausflügen und Ableitungen – und von Minute zu Minute wird uns der Friedensreich immer sympathischer. Am Ende ist er sehr sympathisch, das kann man einfach nicht anders sagen.

Später muss etwas passiert sein. Was? Später wird Hundertwasser seine Bilder in zahlreichen Varianten immer wieder reproduzieren; wird sich ein Kern der Hundertwasserhaftigkeit herausbilden, getragen von einem immer deutlicheren Rigorismus und einer hemdsärmeligen, fast schon totalitären Besserwisserei, die man heutzutage erst einmal zur Seite räumen muss. Kostprobe: „Der Mensch ist der gefährlichste Schädling, der je die Erde verwüstet hat.“ Oder noch deutlicher: „Wenn der Mensch nicht schöpferisch tätig ist oder daran gehindert wird, hört er auf, menschliche Funktionen auszuüben, und er verliert die Berechtigung als höheres Wesen auf dieser Erde anwesend zu sein.“

Während er so altherrenhaft etwa die Uniformität der Mode anprangert, wird er selbst ein Selbstvermarkter vor dem Herrn. Bis hin zum Hundertwasser-Seidenschal in der Auflage von 5.000 Stück, wie er in Wedel hinter Glas hängt. Ab dem mittleren Hundertwasser weiß man immer, dass da ein Hundertwasser vor einem hängt, und das hört nicht mehr auf. Um nicht zu sagen: Es wird erst etwas langweilig und dann nach und nach sehr, sehr langweilig.

Und das ist dann der Spannungsbogen, den die Wedeler Hundertwasser-Ausstellung bietet: Hier Hundertwasser, der eigenbrötlerische, aber angenehme Künstler, der sich dem Trubel des Kunstgeschehens zu entziehen sucht – und dort genau die Fülle seiner bunt-eingängig kompatiblen Bilder, die heute das Bild so prägt, das man im allgemeinen von ihm hat.

Schade daher, dass die Hamburger Zeit des damals noch Friedrich heißenden Hundertwassers in der Ausstellung keine nähere Erwähnung findet. Sie hätte das bunte Abbild des Künstlers angenehm kontrastieren können: 1959 erhielt nämlich Hundertwasser eine Gastprofessur an der Kunsthochschule am Lerchenfeld. Seine erste Amtshandlung: Er bat die Studenten, nach Hause zu gehen, weil sie in einer Kunsthochschule sowieso nichts lernen würden und wenn, dann allenfalls das Falsche.

Doch die Studenten, brav wie sie damals waren, gingen nicht, sondern sie blieben, und Hundertwasser arbeitete mit ihnen, bis er eines Tages zusammen mit Bazon Brock und Herbert Schuldt (heute nur noch: Schuldt) auf die Idee kam, das gesamte Haus von oben bis unten mit einer nicht enden wollenden auf- und absteigenden Linie zu verzieren, getreu seinem krachigen Motto: „Die gerade Linie ist unmoralisch und gottlos.“ Der Rektor kam, raufte sich die Haare, drohte mit der Polizei. Hundertwasser brach seine Aktion „Die Linie von Hamburg“ ab und verließ die Stadt auf der Stelle, das war’s mit Hundertwasser und Hamburg.

So war der Hundertwasser also mal unterwegs. Und von diesem Widerspruchsgeist ist wohl am Ende manches verschüttet worden, unter all dem Bunten, Gefälligen.

Wobei – ganz am Ende seines Lebens und auch zum Schluss der Wedeler Ausstellung finden sich einige kleinere Arbeiten, die zurückzuführen scheinen an den Beginn seiner Laufbahn: Denn wie Anfang der 1950er-Jahre fertigte er in den ersten Wochen des Jahres 2000 kleine, sparsame Skizzen; kleine Gestalten suchen sich ihren Platz, kaum ausgemalt, eher schüchtern angedeutet, sehr schön.

Es sind letzte Arbeiten, denn Hundertwasser, der am Ende in Neuseeland lebte und von dort aus seine über ganz Europa verstreuten Projekte regelrecht managte, starb im Februar 2000, zu Beginn einer Reise zurück nach Europa – ausgerechnet an Bord der „Queen Mary 2“ an einem Herzinfarkt, verließ dieses Leben inmitten einer Umgebung, die ihn in ihrer Funktionalität, Linearität und absoluten Geschäftstüchtigkeit eigentlich nicht gefallen haben dürfte. Schade, dass er uns nicht erzählen kann, was ihm dabei durch den Kopf ging.

Die Ausstellung endet am 28.2.2017

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