Amir Gudarzi „Das Ende ist nah“: Asyl, Ohnmacht, Pizza

Geflüchtete in Österreich kämpfen mit Hunger und Ausbeutung. Davon erzählt der Exiliraner Gudarzi in seinem Debütroman.

Porträt des Autors Amir Gudarzi mit schwarzem Schnurbart

Der Exiliraner Amir Gudarzi erzählt in seinem Debütroman von seinem schwierigen Ankommen in Österreich und dem, was er zurückliess Foto: Jürgen Pletterbauer

BERLIN taz | Der Held dieser Geschichte wollte nach Kanada, unglückliche Umstände haben ihn in Österreich stranden lassen. Nun sitzt er in der zentralen Aufnahmestelle in Traiskirchen und soll erklären, wie er dahingekommen ist. Nach Griechenland, Italien oder Ungarn könnte man ihn schnell wieder abschieben

Aber A. ist mit dem Flugzeug aus Istanbul nach Wien gekommen, als politisch Verfolgter sucht er in Österreich Asyl. Was das bedeutet und was Menschen wie A. dabei durchmachen, um irgendwann vielleicht neu anfangen zu können, erzählt dieser Roman.

Der 1986 in Teheran geborene Amir Gudarzi ist wie sein Ich-Erzähler nach Österreich geflohen. Seit 2009 lebt der Dramatiker in Wien, seine Stücke sind vielfach ausgezeichnet. In „Das Ende ist nah“ erzählt er in eindrucksvollen Bildern von der Flucht aus der Heimat und dem schwierigen Ankommen in Österreich. Wo dabei die Grenze zwischen Erlebtem und Erzähltem verläuft, lässt sich schwer sagen. Deutlich wird aber, dass hier die Erfahrung die Feder geführt hat.

„Wir haben aufzuwachen, wir haben uns fertig zu machen, wir haben uns daran zu gewöhnen, dass wir in der Kälte aus dem Haus gehen müssen, wir haben früh ins Bett zu gehen, wir haben anzutreten, wir haben die Hände aus den Taschen zu nehmen, wir haben eine Schlange zu bilden, wir haben den Chef zu begrüßen, wir haben unsere Lebensmittel zu schleppen, wir haben jeden Tag mit dem gleichen Essen klarzukommen, auch mit Krankheiten und Langeweile.“

A. will diesen Ort schnell hinter sich lassen. Einmal wird er fast über den Haufen gefahren

Triste Sammelunterkünfte

Die Demütigungen, die Asylsuchende in Deutschland erfahren, haben zuletzt Abbas Khider oder Jenny Erpenbeck festgehalten. Gudarzi fügt ihren Romanen nun eine österreichische Perspektive hinzu, wenn sein Ich-Erzähler im Rückblick das verlorene Dasein in den tristen Sammelunterkünften festhält. Wo Geflüchtete sich selbst überlassen sind und sich gelangweilt gegenseitig das Leben schwer machen.

A. will diesen Ort so schnell wie möglich hinter sich lassen. Immer wieder macht er sich zu Fuß auf den Weg nach Wien, einmal wird er fast über den Haufen gefahren. Es wäre kein Unfall gewesen. In Wien ist er auf die Hilfe Fremder angewiesen, kämpft mit Hunger und Ausbeutung, während er immer wieder zu seinem Asylantrag befragt wird. Die Härte und Ablehnung, die A. in seinem Alltag erfährt, ist oft nur schwer auszuhalten. Er holt die ständige Gewalterfahrung sprachlich in die Gegenwart, sodass man als Le­se­r:in die Ohnmacht bezeugt, der A. ausgeliefert ist.

Zugleich macht es sich Gudarzi nicht zu einfach, „Das Ende ist nah“ ist keine Opfergeschichte. Neben der Flucht hält er für sein Alter Ego auch Ambitionen, Freundschaften und Liebe bereit. Entschlossen stellt sich A. allen Herausforderungen, um in Österreich neu anzufangen.

Mit der Zuneigung einer jungen Frau weiß er allerdings nichts anzufangen, sie nimmt sich später das Leben. In Briefen lässt er sie nun zu Wort kommen, „um ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu rächen“. Gerecht wird er der jungen Wissenschaftlerin damit nicht, diese Teile der Erzählung wirken wie ein Fremdkörper im Roman.

Es braucht keine Imagination

Amir Gudarzi: „Das Ende ist nah“, dtv, München 2023, 416 Seiten, 25 Euro

Im Gegensatz dazu sind die filmischen Überblendungen, mit denen Vergangenheit und Gegenwart ins Verhältnis gesetzt werden, sehr gut gelungen. Etwa wenn Gudarzis Erzähler in Österreich in den herbstlichen Nebel tritt, um in der nächsten Sekunde die Schüsse und Schreie zu hören, die er im Rauch der brennenden Straßenblockaden in Teheran wahrnahm. Hier wird die imaginative Kraft dieses Romans greifbar.

Oft braucht es aber keine Imagination, die Erzählung ist mit der unmittelbaren Gegenwart verwoben. Als der Erzähler in Wien Pizza ausliefert, muss er einem dunklen Boliden ausweichen und stürzt. Statt den davonfahrenden SUV-Fahrer anzuzeigen und sich ärztlich versorgen zu lassen, stiehlt er sich davon, weil nicht auffliegen darf, dass er schwarzarbeitet. Geschichten wie diese machen einem bewusst, dass man beim nächsten Pizzaboten mal nachfragen sollte, wie es ihm geht, statt verlegen lächelnd den Karton entgegenzunehmen und die Tür zu schließen.

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