Nur einer mit Zivilcourage: Helfer ohne Hilfe

Dennis H. stieg aus dem Zug, um einem drangsalierten Mann zu helfen - und wurde von den Angreifern krankenhausreif geprügelt. Seine Mitreisenden blieben sitzen.

Zeigte Zivilcourage: Dennis H. Bild: Detlef Hardt

HAMBURG taz | Dennis H. war früh morgens in der Bahn von Lübeck nach Travemünde unterwegs zur Berufsschule, als er am Haltepunkt Kücknitz beobachtete, wie drei junge Männer einen hilflos wirkenden Mann drangsalierten. „Ich habe an der Fensterscheibe vor mich hingedöst. Auf einmal sehe ich im Augenwinkel, wie der Mann geschlagen wurde“, sagt Dennis H. der taz.

Der 25-Jährige rief noch in der Bahn: „Da draußen kriegt einer auf die Schnauze“, dann stieg er aus, um die Angreifer zum Aufhören aufzufordern – und wurde selbst zusammengeschlagen. „Erst gab es ein Handgemenge, dann habe ich einen Schlag gegen das Jochbein bekommen und bin zu Boden gegangen“, sagt H. Er versuchte, seinen Körper zu schützen – doch die Angreifer traten zwei Minuten lang auf ihn ein.

H.s Mitreisende waren im Zug sitzen geblieben. „Sie müssten genauso wie ich gesehen haben, was auf dem Bahnsteig passiert“, sagte H. den Lübecker Nachrichten, die in der Wochenendausgabe über den Fall berichteten. Doch als er auf den Bahnsteig hinaustrat, gingen die Türen zu, der Zug fuhr weiter. „Ich habe noch an die Scheibe gehämmert, aber keiner hat die Notbremse gezogen“, sagt H.

Zu diesem Zeitpunkt glaubte er noch, dass die Mitreisenden wenigstens die Polizei rufen würden. „Ich hatte kurz überlegt, abzuhauen. Aber was wäre dann aus dem Mann geworden?“, sagt der Berufsschüler. Nachdem die Angreifer von ihm abgelassen hatten, raffte er sich auf und fuhr mit dem Bus weiter zum Travemünder Fähranleger, wo er Freunde und Bekannte vermutete. Von dort wurde die Polizei alarmiert und ein Krankenwagen benachrichtigt. Wie sich herausstellte, hatte sich Dennis H. durch die Fußtritte und Faustschläge Prellungen am Jochbein und an den Rippen, Blutungen am Auge, ein angebrochenes Nasenbein und mehrere Platzwunden zugezogen.

Bei der Landespolizei Travemünde zeigte H. die Angreifer an, die er auf 20 bis 27 Jahre schätzt. Da sich der Vorfall auf einem Bahngelände ereignete, ist die Bundespolizei zuständig, die den Fall mittlerweile auch übernommen hat. „Derzeit hoffen wir auf Hinweise aus der Bevölkerung, leider gab es bislang noch keine“, sagt Gerhard Stelke von der Bundespolizei. Am Haltepunkt Kücknitz gibt es keine Videoüberwachung, das erschwert die Aufklärung.

Ermittlungen gegen die Mitreisenden wegen unterlassener Hilfeleistung seien nicht aufgenommen worden, da H. keine konkreten Angaben zu den Personen machen konnte, sagt Polizeisprecher Stelke. „Wenn wir Verdachtspersonen hätten, dann würden wir auch in diese Richtung ermitteln.“

Weshalb keiner der Mitreisenden die Notbremse zog, ist unklar. Rechtlich wäre es zulässig gewesen. „Das gilt immer, wenn Leib oder Leben von Bahnfahrern oder Bahnhofsbesuchern gefährdet sind“, sagte eine Bahnsprecherin der taz. Nur Missbrauch werde geahndet, doch davon könne in diesem Fall keine Rede sein – schließlich habe sich der Mann offensichtlich in einer Notsituation befunden.

Gegenüber seinen Mitreisenden hege er „keinen Groll“, sagt Dennis H. – dabei hatte ihm jemand zu allem Überfluss auch noch den Rucksack geklaut, den er in der Bahn hatte liegen lassen. Die Opferschutzorganisation „Weisser Ring“ hat Dennis H. eine Soforthilfe gezahlt, damit er die Dinge im Rucksack, darunter sein Handy, ersetzen kann. „Das Schlimmste sind die Mitschriften aus der Berufsschule, die kann ich auch nicht zurückkaufen“, sagt H.

Am 15. Juni wird der Weisse Ring Dennis H. mit der Urkunde „Zivilcourage“ auszeichnen. Außerdem wird ihm ein Sponsor eine Geldspende überreichen. „Diese Ehrung wird nur in außergewöhnlichen Fällen vergeben“, sagt Detlef Hardt, Vorsitzender des Weissen Rings in Lübeck. „Dennis hat sich vorbildlich verhalten und diese Auszeichnung verdient.“

Zur Ehrung wird der Berufsschüler in Begleitung seiner Mutter und seiner Freundin erscheinen. „Ich würde wieder so reagieren, einfach, damit ich in den Spiegel gucken kann“, sagt er. „Ich hasse solche Ungerechtigkeiten.“

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