Atompolitik weltweit: Putins strahlende Zukunft

Atomkraft ist in Russland Teil des nationalen Selbstverständnisses. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Land mit Hilfe der Kernspaltung zur Supermacht.

Greenpeace-Aktion gegen die türkisch-russische Atomfreundschaft. Bild: reuters

MOSKAU taz | Öffentliche Debatten sind kein Markenzeichen der "souveränen Demokratie" Russlands. Auch das Unglück in Fukushima löste in Moskau keine breitere Diskussion aus. Die staatlich gelenkten Medien verabreichen Nachrichten über die Havarie beim Nachbarn dosiert und gefiltert. Atomkraft steht in Russland nach wie vor hoch im Kurs. Daran konnten auch die Folgen des nuklearen Super-GAUs in Tschernobyl 1986 nichts ändern.

Im Gegenteil, die Auswirkungen der Katastrophe werden bis auf den Tag verdrängt und deren Opfer in der Öffentlichkeit totgeschwiegen. Die Sensibilität im Umgang mit dem Thema ist gering. Erst letzte Woche, als die Welt gebannt auf Fukushima schaute, brachte Premier Wladimir Putin in Minsk demonstrativ einen Vertrag über den Bau eines neuen Atomkraftwerks unter Dach und Fach. Kein anderes Land leidet unter den Spätfolgen Tschernobyls so sehr wie Weißrussland.

Atomtechnologie steht in Russland für mehr als nur Energieproduktion. Die Spaltung des Atoms verschaffte der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg den Status einer Supermacht. Die Beherrschung der Technologie ist eine Prestigefrage, weshalb zivile und militärische Nutzung bis heute auch eng miteinander verknüpft bleiben. Wer Kritik an der Atomindustrie übt, gerät daher schnell in den Verdacht, ein Vaterlandsverräter zu sein.

Putins Programm: "Renaissance der Atomkraft"

2005 legte Wladimir Putin ein ambitioniertes Programm zur "Renaissance der Atomkraft" auf. Geplant war, bis 2030 die Zahl der AKWs von zurzeit 31 auf 40 zu erhöhen. Allein 2010 erhielt die Atombranche 1,7 Milliarden Euro für den Bau neuer Atomkraftwerke. Zurzeit befinden sich zehn Reaktoren im Baustadium, 14 weitere sind geplant. Bis 2030 soll der Anteil des Atomstroms von 16 auf 25 bis 30 Prozent erhöht werden.

Da einige der elf alten störanfälligen Tschernobyl-Reaktoren in den nächsten Jahren vom Netz gehen müssten, dürfte sich der Anteil des Atoms am Energiemix jedoch kaum verändern. Dass insgesamt in russischen AKWs weniger Störfälle gemeldet werden als in westlichen Anlagen, ist im Übrigen auf die enge Verknüpfung zwischen Betreibern und Behörden zurückzuführen.

Große Hoffnungen setzt Russland in den Export des nuklearen Know-hows. Neben Rüstung und Raumfahrt zählt die Atombranche zu den wenigen konkurrenzfähigen Hochtechnologiesektoren. Da Tschernobyl dem Image erheblichen Schaden zufügte, ist die russische Atomagentur Rosatom bemüht, durch Kooperation mit Siemens den Ansehensverlust wettzumachen. Zurzeit baut Russland AKWs in China, Indien und im Iran, geplant sind sie in Bulgarien und der Türkei. Von den 60 in Russland und der Welt im Bau befindlichen AKWs ist Moskau an 15 beteiligt. Die hochfliegenden Pläne, ein Viertel des Weltmarktanteils im Schulterschluss mit Siemens zu erobern, dürften nach Fukushima indes korrigiert werden.

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