EU will Finanzmärkte regulieren: Informieren, kontrollieren, strafen

Derivate haben die globale Krise mit ausgelöst und verschärft. Jetzt will die EU-Kommission den Handel mit ihnen regulieren. Erstmals sollen außerbörsliche Derivategeschäfte meldepflichtig werden.

Will die Derivate in den Griff kriegen: EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Bild: dpa

Die EU-Kommission will gegen den Missbrauch von hochspekulativen Finanzinstrumenten vorgehen. Auf den Tag genau zwei Jahre nach der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers, die den Übergang der US-Immobilienkrise in eine globale Finanzkrise manifestierte, legte sie am Mittwoch umfassende Vorschläge vor. Danach soll der Handel mit komplexen Finanzprodukten wie Derivaten transparenter werden und so die Grundlage für mehr Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden.

Derivate gehören zu den jüngeren Erfindungen der Branche. Sie sind "abgeleitete Finanzinstrumente", also Wetten darauf, wie sich Aktien, Rohstoffe oder Devisen entwickeln. Da man genauso gut auf fallende wie auf steigende Kurse setzen kann, dienen sie im Idealfall dazu, andere Geschäfte abzusichern. Weil sich aber mit wenig Einsatz riesige Gewinne - oder Verluste - machen lassen, sind sie auch ein beliebtes Spekulationsinstrument.

Der Milliardär und Investor Warren Buffett nennt sie deshalb "finanzielle Massenvernichtungswaffen". Dass etwa der damals weltgrößte Versicherungskonzern AIG vor zwei Jahren ins Straucheln geriet, lag unter anderem daran, dass er massiv in Wetten gegen eine Lehman-Insolvenz verstrickt war - und seine Spielschulden nicht bezahlen konnte, als diese doch eintrat.

Die Summen, um die es geht, sind gigantisch: 615 Billionen US-Dollar nach Schätzungen der EU-Kommission, laut der Bank für internationalen Zahlungsausgleich sogar mehr als 700 Billionen beträgt das Volumen der weltweiten Derivategeschäfte. Das ist das Zehn- bis Zwölffache des Werts sämtlicher Güter und Dienstleistungen, die in allen Ländern der Erde in einem Jahr erzeugt werden.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass mindestens 80 Prozent der Kontrakte direkt zwischen den Vertragspartnern abgewickelt werden, also außerbörslich. Damit sind sie bislang nicht meldepflichtig und niemand weiß, wo sich gerade welche Forderungen auftürmen.

Das soll sich ändern. Kernstück der geplanten Verordnung, der das Europaparlament und die Mitgliedstaaten noch zustimmen müssen, sind Transaktionsregister, die von der neuen europäischen Börsenaufsichtsbehörde ESMA überwacht werden sollen. An sie sollen außerbörsliche Derivategeschäfte spätestens einen Arbeitstag nach ihrer Abwicklung gemeldet werden. Um das Risiko zu verringern, dass der Ausfall eines Vertragspartners so gigantische Schieflagen verursacht wie bei AIG, sollen möglichst viele Geschäfte künftig nicht mehr direkt zwischen Käufer und Verkäufer, sondern vermittelt über Clearinghäuser abgewickelt werden.

Damit sich mögliche Probleme dann nicht dort anhäufen, müssen diese etwa bestimmte Eigenkapitalquoten vorweisen. Die Regeln sollen nicht nur für den Handel zwischen Banken gelten, sondern - zumindest ab einem bestimmten Volumen - auch für Unternehmen, die sich mit Derivaten gegen Schwankungen bei Rohstoffpreisen oder Devisen absichern.

Der Bremer Finanzwisssenschaftler Rudolf Hickel sieht in den EU-Plänen einen "wichtigen ersten Schritt". Erstmals bekommen man nun überhaupt Informationen über den Derivatemarkt. "Das ist nicht nur interessant für die Aufsicht, sondern auch dafür, wie viel Geld mit einer Finanztransaktionssteuer eingenommen werden könnte." Er bemängelte jedoch, dass der Entwurf in wichtigen Punkten zu vage sei. So bleibe offen, von welchen Schwellenwerten an Geschäfte meldepflichtig würden, oder mit welchen Sanktionen Banken und Unternehmen bei Verstößen rechnen müssen. In der Vorlage heißt es schlicht: Die Strafe muss "wirkungsvoll, angemessen und abschreckend" sein.

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