Kommentar Maulkorb in Stasiakten-Behörde: Birthler und die Freiheit der Rede

Das Mandat der Birthler-Behörde ist wissenschaftlich, nicht politisch. Deshalb ist der Maulkorb der Chefin für einen Mitarbeiter unangemessen.

Politisches Unrecht aufzuarbeiten, nicht aber selbst Politik zu machen - das ist der staatliche Auftrag der Birthler-Behörde. Doch für die Behörde zur Aufklärung von Stasi-Verbrechen arbeiten auch Wissenschaftler. Und die dürfen nur einem verpflichtet sein: ihren Erkenntnissen. Wenn diese Forscher sprechen, dann tun sie das nicht im Namen der Einrichtung. Sie haben das Recht, sich ohne Absprache oder Genehmigung der Leitung zu äußern. Die Bundesbeauftragte Marianne Birthler aber scheint das anders zu sehen.

Von Anfang an war die Mischung von staatlichem und wissenschaftlichem Auftrag heftig umstritten. Durch die aktuelle Debatte über die Bündnisfähigkeit der Linkspartei droht der Konflikt nun endgültig aus dem Ruder zu laufen. Dabei ist es ja sogar nachvollziehbar, wenn sich CDU-Politiker ereifern, dass Wissenschaftler zu der Anschauung kommen, manche Mitglieder der Linkspartei in Brandenburg seien mit der Aufarbeitung ihrer Stasi-Vergangenheit weiter als viele Blockflöten. Inakzeptabel ist hingegen der Versuch der Behördenleitung, genau jene Stimmen zu unterdrücken.

Denn hier geht es um einen klaren Verstoß gegen die Freiheit der Forschung, und Marianne Birthler wird akzeptieren müssen, dass sie ihre Wissenschaftler nicht so behandeln kann wie Wolfgang Schäuble einen Ministerialrat im Innenministerium.

Es ist bekannt, dass Birthler gerade aus konservativen Kreisen unter extremem Druck steht. Mit Hubertus Knabe haben jene einen prominenten Fürsprecher, die die ganze Einrichtung am liebsten sofort auflösen würden.

Die ehemalige Bürgerrechtlerin muss nun sehr aufpassen, dass sie unter diesem Druck nicht zur Verräterin an ihren eigenen Idealen wird. Die Behörde an sich hat kein politisches Mandat, die Linkspartei und ihre Bündnisfähigkeit zu bewerten. Wenn einige ihrer Wissenschaftler zu dem Schluss kommen, einzelne Landesverbände und Mitglieder der Linkspartei seien durch die Art ihrer Vergangenheitsbewältigung demokratiefähig geworden, muss sie solche Aussagen zulassen.

Das schmälerte ja nicht das Verdienst der Aufarbeitung von Verbrechen, die im Namen der DDR begangen wurden; sondern es zeigte im Gegenteil, dass die Behörde in ihrer speziellen Konstruktion in der Mitte der Demokratie angekommen ist.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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