EU-Mitgliedstaaten scheitern: Kein Kompromiss zur Wochenarbeitszeit

Die EU-Mitgliedstaaten schaffen es wieder nicht, sich auf eine europaweit einheitliche Obergrenze zu einigen. Bereitschaftsdienste bleiben ein zentraler Streitpunkt.

Der Europarat will, dass Bereitschaftsdienste nur teilweise zur Arbeitszeit gerechnet werden. Bild: dpa

BRÜSSEL taz | Die Verhandlungen für eine neue EU-Arbeitszeitrichtlinie sind gescheitert. In der Nacht zu Dienstag hatten sich Unterhändler von Rat, Parlament und Kommission zu einem letzten Vermittlungsversuch getroffen. Ziel war, eine einheitliche Obergrenze für die Wochenarbeitszeit in der EU zu finden. Die Neuregelung ist nötig, da der Europäische Gerichtshof festgestellt hat, dass jede Art Bereitschaftsdienst voll als Arbeitszeit zu berechnen ist. Das bringt vielen Branchen Probleme.

Nach dem Treffen machten sich Rat und Parlament gegenseitig dafür verantwortlich, dass kein Kompromiss zustande kam. Während der Rat eine Regelung will, nach der Bereitschaftsdienste nur teilweise zur Arbeitszeit gerechnet werden, um Branchen wie das Gesundheitswesen nicht zu stark zu belasten, wollte das Parlament die Obergrenze von 48 Stunden für alle Berufszweige durchsetzen. Die SPD-Sozialexpertin Karin Jöns sagte nach der Sitzung: "Sieben Jahre Übergangszeit plus verantwortbare Ausnahmen für Bereitschaftsdienste hätte alle Probleme einzelner Mitgliedsstaaten gelöst." Darauf habe der Rat nicht eingehen wollen. "Die derzeit geltende Regelung ist besser als alles, was der Rat jetzt wollte."

Das sieht Arbeitskommissar Spidla anders. "Wir haben für Branchen, wo viele Bereitschaftsdienste anfallen, keine Perspektive eröffnet. Diese Branchen haben Probleme, die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs umzusetzen. Nun werden mehr Mitgliedsstaaten eine Ausnahmegenehmigung beantragen, was ich nicht begrüße."

Konservative EU-Abgeordnete nutzten den Streit für etwas Wahlkampfgeplänkel. Bundesarbeitsminister Scholz (SPD), deutscher Vertreter im zuständigen Fachministerrat, sei an dem Scheitern schuld, kritisierte Markus Ferber (CSU). "Das Beharren von Bundesarbeitsminister Scholz auf individuellen Ausnahmen von der Höchstarbeitszeit hat die Stellung der Tarifparteien geschwächt." Scholz habe befürwortet, dass Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag individuell höheren Wochenarbeitszeiten zustimmen können. Damit wachse der Druck auf den Einzelnen, die Position der Tarifparteien werde geschwächt.

Für die sozialdemokratischen EU-Abgeordneten ist es nicht leicht, die Rolle der eigenen Bundesregierung und speziell der SPD in den Kompromissgesprächen zu erklären. Deutschland hatte mit Großbritannien, Polen, der Slowakei und Malta eine Sperrminorität gebildet und damit eine Einigung verhindert. "Fast wie Stahlbeton", beschrieb Mechthild Rothe (SPD) die Haltung der Nein-Fraktion. Sie vermutet einen Deal: Wenn sich Deutschland beim Thema Wochenarbeitszeit auf die britische Seite schlägt, zeigt sich Großbritannien entgegenkommend bei einer europaweiten Mitbestimmungsregelung.

Auf die Rolle des SPD-Arbeitsministers angesprochen, sagte Rothe der taz: "Wir haben von Brüssel aus versucht, auf die deutsche Position einzuwirken, aber es war nicht möglich …" Deutlicher wird die grüne EU-Abgeordnete Elisabeth Schrödter: "Wir hätten uns gefreut, den Bürgern Europas zu den Wahlen eine gute Arbeitszeitrichtlinie geben zu können, die Mindeststandards in der EU setzt. Das war mit dieser deutschen Bundesregierung und den anderen Blockierern leider nicht möglich." DANIELA WEINGÄRTNER

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