Aigner als neue Agrarministerin: Seehofers schwieriges Erbe

Macht es überhaupt noch Sinn, Agrarpolitik und Verbraucherschutz in ein Ministerium zu packen? Aigners Aufgabe ist komplex, ihre Aufgabenliste lang.

Der Milchpreis ist nur eins von vielen Problemen, mit denen sich Aigner künftig herumschlagen darf. Bild: dpa

Ilse Aigner übernimmt den Posten von Horst Seehofer als Agrar- und Verbraucherminister. Was sie zu tun hat? Als Erstes müsste sie dem Ressort einen neuen Namen geben - falls sie ihren Job so angehen will wie der Vorgänger und die Vorvorgängerin: Seehofer und die Grüne Renate Künast machten mit einer Umbenennung klar, wofür sie und das Ressort stehen. Der Name zeigt, ob sich ein Minister als Sachverwalter der Agrarindustrie oder als Streiter für Kundenrechte versteht.

Zur Erinnerung: Künast übernahm das Ministerium vom SPD-Mann Karl-Heinz Funke. Das war 2001, als die Kühe wahnsinnig wurden und die Bürger auch. Die Juristin aus Berlin wandelte das Haus des behäbigen Bauern aus dem friesischen Dangast, Liebhaber von Doppelkorn und anzüglichen Witzen, um. Künasts Beamte kümmerten sich fortan um die Anliegen der 80 Millionen deutschen Konsumenten. Und im Ministeriumsnamen tauchte zum ersten Mal nach 52 Jahren das Wort "Verbraucherschutz" auf - an erster Stelle.

Dann kam Seehofer. Er wollte es sich mit den Verbrauchern zwar nicht verscherzen, ging aber auch nicht zurück zum reinen Agrarministerium. Er verbannte den "Verbraucherschutz" wieder an die letzte Stelle im Namen und nannte sich Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Ulrich Kelber, Fraktionsvize der SPD-Fraktion und Koordinator der SPD-Arbeitsgruppen für Nachhaltigkeit, Umwelt, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, urteilt: "Seehofer gab sich immer dann als Fürsprecher der Kunden, wenn er selbst nicht zuständig war." Er wollte Fahrgastrechte stärken, lästige Telefonwerbung eindämmen, beides regelt allerdings die Justizministerin. Musste Seehofer die Gesetze formulieren, meint Kelber, "nahm er Rücksicht auf die eigene Klientel". Er meint die Bauern als Stammwähler der CSU, aber auch die Ernährungsindustrie. Und so mancher klagt, dass Seehofer sich in vielem nicht festlegte. Was das für den Nachfolger heißt? "Es gibt noch viele Baustellen", meint Ulrich Jasper von der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

Baustelle 1: Bislang sahnen die großen Bauern und Lebensmittelkonzerne am meisten bei den Agrarsubventionen ab. Der Molkereigigant Campina (Mark Brandenburg, Südmilch, Tuffi) kassiert Millionen Euro als Zuschuss für Milch, die er an Schulen verkauft. Der Stromkonzern RWE streicht Geld ein, etwa für die Rekultivierung von Braunkohlerevieren. Und auch der wieder zu Grund und Boden gelangte Adel bekommt etwas ab für seine Güter. Weil die EU-Subventionspolitik seit langem in der Kritik steht, unterzieht Brüssel die Agrarsubventionen - pro Jahr etwa 55 Milliarden Euro - gerade einem "Health-Check", einer Gesundheitskontrolle. Fest steht bereits: Die Kommission will das Geld umtopfen. Größere Höfe sollen zunächst um bis zu 17 Prozent weniger bekommen; alle, die etwas für Umweltschutz tun, dafür mehr.

Nur: Bisher lehnt die Bundesregierung das ab und schützt so vor allem die großen Agrarbetriebe im Osten. Es sei nicht zu verstehen, warum diejenigen, die ihre Kühe und Schweine in Megaställen halten und Wiesen in monotone Maisäcker verwandelten, gefördert würden, meint Ulrich Jasper vom AbL. Er sagt: "Das müsste Aigner schnell ändern, wenn sie die Unterstützung der Gesellschaft haben will." Die Entscheidung auf EU-Ebene steht Ende November an.

Baustelle 2: Milch ist mittlerweile billiger als so manches Mineralwasser. Zu billig, finden die Bauern. Und das sollte längst anders sein, so hatte es Seehofer auf einem Milchgipfel mit dem Handel und der Industrie besprochen. Auf 35.000 Höfen stehen Milchkühe. Die Bauern drohen erneut mit Streik.

Baustelle 3: Gentechnik auf dem Acker. Vor der Landtagswahl in Bayern versprach Horst Seehofer den CSU-Wählern, keiner müsse sich an Gentechnik gewöhnen, er werde gentechnikfreie Regionen per Gesetz absichern. Viele Bayern wollen dem lieben Gott nicht ins Handwerk pfuschen. Auch andernorts sind Genpflanzen verschmäht: 22.300 Landwirte in 105 Regionen Deutschlands haben erklärt, auf Genpflanzen zu verzichten. Per Gesetz ist dieser Boykott aber noch nicht abgesichert. Reinhild Benning vom Umweltverband Bund: "Das muss sich ändern." Zudem müsse der neue Minister den umstrittenen Genmais Monsanto 810 verbieten, der im Verdacht steht, für Raupen und Schmetterlinge giftig zu sein. Seehofer hatte ihn zugelassen.

Baustelle 4: Dickmacher im Essen. In Großbritannien gibt es sie schon: die Ampelkennzeichnung. Die Farben Rot (nur gelegentlich essen), Gelb (darf man häufiger essen) und Grün (gesunde Wahl) zeigen den Verbrauchern beim Einkauf den Zucker-, Fett- und Kaloriengehalt an. Seehofer war mal dagegen, mal dafür. Henrik Düker von Foodwatch: "Verbraucher haben ein Recht auf eine klare und verbindliche Kennzeichnung."

Neueste Baustelle: die Finanzkrise. Seehofer beließ es bisher dabei, Geld für eine Hotline bereitzustellen, bei der sich besorgte Bürger Rat holen können. Vorgängerin Renate Künast meint: "Der Verbraucherminister muss sich jetzt wirklich engagieren" - das heißt, sich für Sparer und Anleger einsetzen. Er sollte eine Haftpflicht für Bankberater fordern und Informationspflichten zu Anlageprodukten festlegen. Die Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest bräuchten eine bessere finanzielle Ausstattung, um für alle Bürger unabhängige Finanzchecks zu gewähren. Obendrein müsste auch der Datenschutz beim elektronischen Handel verbessert werden.

Natürlich kann auch die Vogelgrippe jederzeit wieder ein Thema werden. Vergammelte Döner, chemieverseuchtes Gemüse, verbotener Genreis auch. Die SPD fordert einen Informantenschutz für - wie Ulrich Kleber sagt - "aufmerksame Arbeitnehmer, die üble Machenschaften aufdecken."

Die Aufgabenliste ist lang, vielleicht zu lang. Macht es denn überhaupt noch Sinn, Agrar- und Verbraucherpolitik in ein Ministerium zu packen? Mancher fordert bereits, die Landwirtschaft, in das Wirtschaftsministerium zu schieben, weil die Interessen zwischen Produzenten und Kunden zu verschieden seien: Die einen wollen viel Geld verdienen mit Lebensmitteln, die anderen wenig dafür ausgeben. Dazu Frau Künast: "Die kurzfristigen finanziellen Interessen gegen die Verbraucher zu akzeptieren, das hilft auch den Landwirten langfristig nicht" - es sei richtig, Kundenwünsche und die Zukunft der Bauern in einem Haus im Blick zu haben."

Ilse Aigner bleibt jedoch gar nicht viel Zeit, um dem Ministerium ein eigenes Profil zu geben, sich und das Amt in den Vordergrund zu spielen. Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Darum hatten auch viele andere zuvor den Job abgelehnt: CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer etwa. Es hieß, sie wollten sich nicht als Agrarminister in einem sehr kurzen Zeitraum verbrennen lassen. Seehofer kommentierte übrigens die Suche nach einem Nachfolger: "Sie glauben gar nicht, wie gut ein Ministerium arbeiten kann ohne Minister."

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