Wie aus zwei Kairoerinnen Hadscha werden: Auf nach Mekka

Safa Schalabi und Eqbal Gabr sind zwei von zwei Millionen Muslimen, die dieses Jahr nach Mekka pilgern. Die Ägypterinnen haben sich auf die Reise lange vorbereitet - spirituell und finanziell.

Sieben Mal rund um die Kaaba - dann hat die Hadsch begonnen. : epa

KAIRO taz In der Al-Azhar-Moschee herrscht friedliche Abendstimmung. Der dröhnende Verkehr der Kairoer Altstadt dringt nur gedämpft durch das dicke Mauerwerk dieses Zentrums sunnitischer Gelehrsamkeit. Der Schein von Laternen spiegelt sich auf dem Marmorboden des riesigen Innenhofes wider, islamische Gelehrte wandeln mit ihrem Gefolge durch die Arkadengänge. Seit Wochen bereiten sich hier Pilger auf die Hadsch vor, diese für Muslime spirituell so wichtige Reise.

Die Hadsch ist die islamische Pilgerfahrt nach Mekka. Sie zählt zu den fünf Säulen des Islams und findet jährlich während des Monats Dhu l-hiddscha statt. In den nächsten beiden Tagen erreicht sie ihren diesjährigen Höhepunkt. Jeder volljährige Muslim sollte wenn möglich einmal nach Mekka pilgern. Ein Mann, der die Hadsch auf sich genommen hat, trägt den Ehrentitel Hadsch, Frauen heißen Hadscha. Während der Reise hüllen sich die Männer in zwei weiße, ungesäumte Tücher, die Totentücher symbolisieren. Sie dürfen sich während der Wallfahrt weder rasieren noch kämmen, noch Haare oder Nägel schneiden. Dieser Weihezustand wird im Arabischen ihrâm genannt.

Die Hadsch beginnt in Mekka mit sieben Umrundungen der Kaaba, des größten Heiligtums des Islams. Sieben Runden stellen einen vollständigen tawaf dar. Danach wandern sie sieben Mal zwischen den Hügeln Safa und Marwah hin und her, das symbolisiert die Suche von Abrahams Frau Hajar nach Wasser. Ein Teil des Rituals besteht aus dem Trinken des heiligen Zamzam-Wassers.

Am Dienstag brechen die Pilger zum Berg Arafat auf, dem Berg der Vergebung. Dort verweilen sie und sprechen persönliche Gebete.

Am Mittwoch ziehen sie nach Mina. Dort wird symbolisch der Teufel gesteinigt, indem man mindestens sieben, oft deutlich mehr Steine gegen eine Wand wirft. Danach rasieren sich viele männliche Pilger das Haar, Frauen schneiden sich eine Strähne ab, das symbolisiert die Befreiung von früheren Sünden.

Nun beginnt das Opferfest, der höchste islamische Feiertag. Der ihrâm ist aufgehoben, zuvor Verbotenes ist wieder erlaubt. Die Pilger kehren zurück nach Mekka zur Kaaba und vollziehen einen weiteren tawaf.

Noch zwei oder drei Tage verbringen die Pilger in Mina. Die Hadsch wird mit dem Abschieds-tawaf abgeschlossen.

An diesem Abend kommt Salah Nassar, der Imam der Moschee, gemäßigten Schrittes zu seiner mehrstündigen Vorlesung. Seine Zuhörer warten bereits, sie sitzen auf Teppichen und Bänken. Der Scheich nimmt Platz an einem provisorisch aufgestellten Schreibtisch, direkt vor der Mihrab, der reich verzierten Nische, die die Gebetsrichtung nach Mekka anzeigt. Und genau darum geht es in seiner heutigen Vorlesung: wie man sich nicht nur geistig, sondern auf physisch in Richtung Mekka wendet. Zwei Stunden lang geht der Scheich jedes noch so kleine Detail der festgelegten verschiedenen Stationen und Riten der Hadsch durch.

Deren Ablauf ist genau geregelt. Scheich Nassar erklärt, wann die Gläubigen zum Berg Arafat, dem Berg der Vergebung, ziehen sollen, wann sie nach Mina aufbrechen dürfen, um dort symbolisch den Teufel zu steinigen, wie das Opferfest gefeiert wird und wie oft sie die Kaaba, das größte Heiligtum der Muslime, umkreisen müssen.

Er schildert auch, welche Voraussetzungen jeder Pilger erfüllen sollte. "Die Hadsch ist die Krone der religiösen Pflichten", erklärt er. Wer auf die Hadsch gehe, solle seine Sünden zuvor aufrichtig bereuen - vor der Reise solle eine Art Wiedergutmachung stattfinden. "Wenn ich jemanden unrecht getan habe, muss ich das korrigieren, bevor ich fahre." Außerdem müsse das Geld, mit dem die Reise nach Mekka finanziert wird, auf ehrliche Art verdient worden sein.

In diesem Jahr hat Saudi-Arabien 62.000 Hadschvisa an Ägypter vergeben, 8.000 mehr als im Vorjahr. Entweder werden sie über Reisebüros, meist aber über Behörden vergeben, denen ein bestimmtes Kontingent zusteht. Schon Monate zuvor finden sich in den Zeitungen jede Menge Angebote - je nach Transportmittel und Hotelstandard kostet die Reise nach Mekka zwischen 1.500 und 19.000 Euro. Die billigste Variante verläuft über den mühsamen Landweg per Bus zunächst nach Nuweiba, einem heruntergekommenen ägyptischen Fährhafen im Sinai, von dort ins jordanische Aqaba und dann weiter nach Saudi-Arabien. An manchen Häfen und Grenzübergängen verbringen die Pilger Tage. Dreimal wird ihr Gepäck von ägyptischen, jordanischen und saudischen Grenzbeamten durchsucht. Für Frust sorgt regelmäßig, dass ihr Pilgergewand, der Ihram - den die Männer bereits bei ihrer Abfahrt angezogen haben, um ihren Weihezustand zu symbolisieren - von im Islam als unrein geltenden Hunden nach Sprengstoff und Drogen beschnuppert wird. In Mekka selbst gilt dann: Je billiger die Reise, desto weiter liegt die Unterkunft von der Kaaba entfernt.

Ganz anders die "Business-Hadsch": First-Class-Flug von Kairo nach Dschidda, Limousine ins hundert Kilometer entfernte Mekka und dort ab ins Fünf-Sterne-Hotelzimmer mit Blick auf die Kaaba.

Safa Schalabi, Germanistikprofessorin an der Kairoer Universität, wird auf mittlerem Preisniveau pilgern. "Das Ganze läuft wie eine All-inclusive-Reise ab", erklärt sie. Treffpunkt am Flughafen, Flug ins saudische Dschidda, von dort per Bus nach Mekka. Einchecken ins Hotel, anschließend begleitet eine Art religiöser Reiseführer die Gruppe zu allen Pilgerstationen.

An diesem Tag packt sie in ihrer Wohnung im Nordwesten Kairos ihre Reisetasche. Sie zeigt die Kleidung, die sie sich extra für die Hadsch hat anfertigen lassen: ein Kopftuch und mehrere lange leichte Baumwollübermäntel. Anders als Männern mit ihren zwei weißen Tüchern ist den Frauen die Bekleidung freigestellt. "Nicht zu eng, nicht transparent", erläutert Safa Schalabi. "Für mich ist die Hadsch die Vervollständigung meiner religiösen Pflicht. Ich bin keine Fundamentalistin, ich bin einfach nur fromm." Sie bete, faste, gebe Almosen - nun fehle ihr nur noch die Hadsch, um "seelisch beruhigt und zufrieden" zu sein.

Eqbal Gabr, eine weitere Pilgerin, wohnt am anderen Ende Kairos, in Maadi. Der Salon, in dem die Ärztin ihre Gäste empfängt, ist nach ägyptischem Mittelstandsgeschmack eingerichtet: vergoldete Polsterstühle mit vielen Schnörkeln, sehr verbreitet in hiesigen Wohnungen. "Die Hadsch, das ist ein alter Traum von mir, der jetzt erfüllt wird", sagt Eqbal Gabr, die anders als Safa Schalabi stets ein Kopftuch trägt. Gerade trifft sie letzte Vorbereitungen für die Reise ins Ursprungsland ihres Propheten Mohammed. Nachdem sie gepackt hat, liest sie noch einmal im Koran, anschließend verrichtet sie eines ihrer fünf täglichen Gebete.

Sie war schon einmal in Mekka, allerdings nicht zur Pilgerzeit. "Wenn man vor der Kaaba steht", erinnert sie sich, "dann hat man das Gefühl, eins mit Gott zu werden." Man versuche alles Weltliche zu vergessen, schließlich habe man Haus, Kinder und die ganze tägliche Routine hinter sich gelassen, "auf dem weiten Weg zur Moschee des Propheten". Ein großartiges Gefühl, meint sie, "man denkt an diesem einzigartigen Ort nur noch an Gott".

Die anstrengende Hadsch gemacht zu haben ändert auch den eigenen Namen, Rückkehrer dürfen vor ihren Vornamen den Ehrentitel Hadsch oder Hadscha setzen. "Wer einmal an der Kaaba stand, der muss Gottes Regeln befolgen", erklärt Scheich Nassar seiner Zuhörerschaft, den Hadschis in spe. "Er muss versuchen, nicht wieder zu sündigen und auf dem rechten Pfad zu bleiben. Er muss mit seinen Mitmenschen friedlich umgehen und die Manieren eines Hadsch pflegen,"

Eqbal Gabr hofft auf eine "spirituelle Neugeburt" in Mekka. "Ich reise nicht dorthin, um später mit meiner Pilgerschaft zu prahlen", sagt sie, "auch nicht wegen des Titels Hadscha Eqbal." Es gehe vielmehr um ihre Beziehung zu Gott. "Man muss sich als Hadscha vor allem von Fehlern fernhalten. Gott vergibt dir in Mekka deine Sünden, wenn er deine Pilgerschaft akzeptiert. Das sollte man hinterher nicht so einfach aufgeben."

Safa Schalabi, die Germanistin, treibt ein anderes Problem um. "Wenn ich erzähle, dass ich diesmal zur Hadsch fahre, werde ich immer gefragt, ob ich hinterher ständig das Kopftuch tragen werde." Sie ist sich selbst noch nicht sicher, aber es ärgert sie, dass alle sie immer wieder danach fragen. "Es kommt doch nicht auf das Kopftuch an, sondern auf meine inneren Werte und darauf, wie ich mich verhalte."

Eqbal Gabr verabschiedet sich von ihrer Familie. Mit vielen Umarmungen und Küssen wünschen sie alle ihr eine gute Reise, bevor die angehende Hadscha den kleinen Rollkoffer nimmt und sich auf die für sie "wichtigste Reise im Leben" macht.

Was eine gute Muslima ausmacht? Beide, Eqbal Gabr und Safa Schalabi, denken seit langem über diese Frage nach. Die beiden Ägypterinnen versuchen in den nächsten Tagen eine Antwort zu finden. In Mekka.

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