Peking: Petitionsdorf soll geräumt werden

Kurz vor dem Parteitag will die KP das "Petitionsdorf" räumen. Dort warten Menschen, bis ihre Beschwerden von den Behörden bearbeitet werden. Manche seit Jahren.

Sie kamen aus der Provinz nach Peking, um sich über ungerechte Behandlung in ihrer Heimat zu beschweren: Bewohner des Petitionsdorfes. Bild: ap

Ganz Peking wird von Kommunisten regiert. Ganz Peking? Nein. Bis heute gibt es einen heruntergekommenen Stadtteil in der Pekinger Südstadt, Bezirk Fengtai, in dem sich ein paar Mutige aus dem ganzen Land zusammengefunden haben, um gegen ihre Misshandlung durch die kommunistische Regierung zu protestieren. "Petitionsdorf" nennt sich der Flecken aus ebenerdigen, halb verfallenen Ziegel- und Steinhäusern. Einen Monat vor dem nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteitag will die KP nun offenbar für "Ordnung" sorgen. Seit gestern Mittag gilt der Abrissbefehl. Alle Bewohner des Petitionsdorfes können seither zwangweise aus der Stadt gewiesen oder umgesiedelt werden.

"Ich habe keine Angst", sagt He Banghua in seiner Mao-Jacke und legt bedächtig seine Hände in den Schoß. "Wenn sie uns hier wegjagen, dann verstecke ich mich." Wie viele Bewohner seines Stadtteils trägt He eine zerfledderte Papiermappe unter dem Arm. Darin befinden sich seine Beschwerdebriefe an die Regierung. Einst war He Fischer und fuhr jeden Tag mit seinem Boot auf den Jangtse hinaus. Heute geht er seinen täglichen Weg vom Petitionsdorf zum Beschwerdebüro des Volkskongresses. Er überquert eine große Autobahnbrücke, macht Bögen um Haufen von Unrat und Schutt. Er trottet an müde aussehenden Grüppchen vorbei, die sich vor Kopierläden, Kiosken und Imbissstuben versammelt haben, ebenfalls mit Mappen im Gepäck.

Die Menschen in Fengtai teilen ein gemeinsames Schicksal: Sie sind Opfer der Willkür der chinesischen Behörden. Illegale Häuserabrisse, ungeklärte Todesfälle oder verschwundene Verwandte sind die Gründe, die sie aus den Provinzen in die Hauptstadt geführt haben. Zu Hause sind sie auf taube Ohren gestoßen, nun fordern sie teils seit Jahren per Petition von der Zentralregierung Gerechtigkeit. Das hat in China lange Tradition, bis zurück in die Kaiserreiche. Man hofft auf die Unbestechlichkeit der Pekinger Beamten.

Auch Fischer He hofft noch. Er ist im April aus dem Kreis Wushan am Jangtse-Fluss nach Peking gekommen. Wegen des Drei-Schluchten-Staudamms hat der Fischer seine Arbeit, sein Haus und seine Familie verloren. Die lokale Regierung habe vor drei Jahren sein Haus abgerissen, seine Frau und die sieben Kind irgendwohin mitgenommen, erzählt He. Seither fordert er Entschädigung, und nimmt dafür die Heimatlosigkeit in Kauf. "Wir haben hier alle das selbe Ziel", sagt der Fischer über seine neuen Nachbarn in Fengtai, "deshalb helfen wir uns hier so gut wir können."

Genau diese Beschwerdegemeinschaft aber droht jetzt den Bulldozern und Baggern zum Opfer fallen. Die Behörden sehen die Petitionäre als Querulanten an. Geschäftsleute und Anwohner betrachten die oft verwahrlosten Typen aus der Provinz, die die Straßen im Viertel bevölkern, mit Argwohn. "Zwischenfälle häufen sich, die Umgebung ist chaotisch und schmutzig", stellte der Parteisekretär von Fengtai, Yang Songwei, fest. Nach dem Willen von Yang soll das Petitionsdorf einer Schnellstraße und dem neuen Südbahnhof weichen. Damit die Gegend besser verwaltbar werde, so Yang.

Die Bauarbeiten können nun jeden Tag beginnen. Was dann aus He und seinen Mitstreitern wird, weiß keiner. Für umgerechnet 50 Cent, dafür muss er 40 Plastikflaschen sammeln, hat er heute einen Schlafplatz ergattert. Er teilt sich die zweite Etage eines Stockbetts mit einem anderen Mann. Handtücher hängen an den fünf Bettgestellen, und der wichtigste Besitz der Menschen hier, die Falldokumente, die jeder in mehreren Ausführungen dabei hat. Auf dem vernarbten Holztisch in der Mitte stehen dellige Emaillebecher. Die öffentliche Toilette liegt ein paar Häuser entfernt. "Ich hab auch schon unter der Brücke geschlafen", sagt He.

Fischer He setzt sich an die Spitze eines Pulks von Petitionären. Über eine große Kreuzung hinweg liegen auf der anderen Straßenseite die Petitionsstellen des Nationalen Volkskongresses und des Obersten Gerichtshofes. Vor dem klotzigen, frisch geweißten Gebäude des Volkskongressbüros sind die Eisentore für heute schon geschlossen. "Dann kommen wir morgen wieder", sagt He, "wir geben nicht auf."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.