Thailand: Zerrissene Nation

Vor einem Jahr wurde gegen den Dikatator Thaksin geputscht. Seitdem regiert eine Militärjunta. Wann die Demokratie zurückkehrt, ist nicht abzusehen - Thailand ist gespalten.

Polizisten vor wenigen Wochen in Bangkok. Bild: ap

BANGKOG taz Es sind nur zwanzig AktivistInnen, die sich vor einem der Hochhäuser in der Silom Road versammeln. Alle tragen sie Schwarz, trotz der drückenden Hitze in der wichtigsten Geschäftsstraße Bangkoks. "Wir brauchen Demokratie und keinen Militärputsch", schimpft Siriworn lauthals, eine Geschäftsfrau und Demonstrantin. Sie und ihre Mitstreiter nennen sich "Netzwerk des 19. September gegen den Coup", sie demonstrieren gegen den Staatsstreich in Thailand.

Genau vor einem Jahr übernahmen die Generäle die Macht in Thailand. Einen Tag danach gründete sich das Netzwerk, dem Siriworn angehört. Es stand auf gegen die putschenden Generäle - obwohl das ganze Land damals unter Kriegsrecht stand. "Unter Thaksin hat es wenigstens mit der Wirtschaft geklappt", sagt Siriworn. Thaksin, das ist Thaksin Shinawatra, der weggeputschte Premierminister.

Ihnen stehen Demonstranten im Kampf um die Rückkehr zur Demokratie gegenüber. Bild: reuters

Nicht alle Protestler denken wie Siriwon. Die Bewegung gegen die Militärjunta gilt als gespalten. So zerrissen wie das ganze Land in Südostasien. Das hängt auch mit dem verdrängten Premier Thaksin zusammen, der alles andere als ein Demokrat war. Seine Regime galt eher als "Diktatur im demokratischen Gewand".

Thaksin Shinawatras Regierung war für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Sie hat Kritiker mundtot gemacht oder mit Verleumdungsklagen überzogen. Auf die Barrikaden gingen Thailands Bürger freilich erst, als ihr Regierungschef sich eine exorbitante Steuerbefreiung gönnte. Thaksin und seine Familie hatten ihren Telekommunikationskonzern Shin Corp an eine Holding in Singapur verkauft. 1,6 Milliarden Euro hatte der Familienclan damals erzielt - ohne dafür Steuern zu zahlen. Es folgten Massenproteste auf Bangkoks Straßen, die erst mit dem Putsch vom September ein Ende fanden. Thaksin wurde wegen Korruption angeklagt.

Die Sicht auf Thailand aus dem Ausland geht so: In aller Ruhe habe das Volk mitangesehen, wie die Militärs unter General Sonthi Boonyaratkalin die Macht übernahmen. Doch das trifft nur bedingt zu. Die traditionelle Wählerschaft von Thaksins mittlerweile aufgelösten Partei "Thais lieben Thais" war die arme Landbevölkerung im Norden und Nordosten. Sie hat weder die Kraft noch die Möglichkeiten, sich gegen die Armee aufzulehnen. Angst und Respekt vor Militär und Obrigkeit spielen für die Landbevölkerung eine zentrale Rolle. Für sie ist der im Londoner Exil lebende Expremier nach wie vor ein Held. In den ländlichen Gegenden hatte er einst ein umfassendes Gesundheitssystem eingeführt und großzügig Kredite, Mobiltelefone und Vieh verteilt.

"Ich würde Thaksin wiederwählen, er hat etwas fürs Land getan", sagt der Textilarbeiter Phannop und schaut sich scheu um. Viele Kleinbauern, Arbeiter und Taxifahrer wie er wünschen sich Thaksin zurück. Ein alter, dürrer Kleinbauer aus dem nordthailändischen Chiang Mai pflichtet Phanop bei: "Ich weiß gar nicht, was das mit dem Putsch sollte und warum man unseren Premier abgesetzt hat", sagt der Farmer leise, "er war für uns da - die anderen nie."

"Die anderen", das sind die Angehörigen der Mittel- und Oberschicht sowie die Anhänger der oppositionellen Demokratischen Partei der Südprovinzen. Sie hatten den Putsch nur deshalb begrüßt, weil er den populistischen Thaksin aus dem Amt hievte. Auch dieses Lager ist gespalten: Politische Beobachter und Intellektuelle streiten bis heute, ob ein Staatsstreich das richtige Mittel war, Thaksin zu entmachten.

Thailands König Bhumipol Adulyadej stützte zwar den Staatsstreich. Die Junta begründete ihn damit, eine nationale Krise abzuwenden, und versprach rechtsstaatliches Vorgehen. In Wahrheit aber demonstrieren sie seit einem Jahr das Gegenteil: Im Norden und Nordosten ließ die Armee Community-Radios schließen, denen sie eine Thaksin-freundliche Berichterstattung unterstellte. Internetseiten, die sich kritisch mit dem Staatsstreich auseinandersetzen, wurden zensiert oder ganz geschlossen.

Immer wieder gibt es Proteste gegen die Militärs und die von ihr eingesetzte Übergangsregierung. Doch diese glichen in nichts den Massenprotesten gegen Thaksin Anfang 2006, sie waren viel schwächer. Viele, die sich gegen die Junta auflehnen, sind dabei keineswegs prodemokratische Kräfte, sondern Anhänger des geschassten Premiers, die nur ihre Machtbasis zurückerobern wollen. Eine Demonstration endete gar in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, als die Protestler vor das Haus des Kronratsvorsitzenden General Prem Tinsulanonda zogen, in dem sie einen Drahtzieher des Putsches vermuten. Der Großteil des Volkes hingegen sehnt sich nach Ruhe und Stabilität. Von Demos und Gegendemos haben die meisten die Nase voll.

Von nationaler Versöhnung ist Thailand weiter entfernt denn je: Ein Grund ist der weiterhin ungelöste blutige Konflikt in den vorwiegend von Muslimen bevölkerten Südprovinzen. Die Muslime sind eine Minderheit im buddhistischen Thailand. Thaksin hatte im Januar 2004 das Kriegsrecht über die Region verhängt, nachdem mutmaßliche Rebellen ein Armeecamp im Süden überfallen hatten. Thaksins Machtpolitik war für Massaker und zahlreiche andere Menschenrechtsverletzungen im Süden verantwortlich. Folge ist eine ausufernde Gewalt, die in tägliche Terroranschläge durch militante Separatisten mündete.

Diesem Dilemma steht die derzeit amtierende Übergangsregierung von Premier Surayud Chulanont hilflos gegenüber. Denn sie ist selbst Teil des Problems, die Gewalt im Süden hat sich weiter verschlimmert. Zwar hat sich der als besonnen geltende Surayud öffentlich bei den Muslimen für die Verbrechen der Thaksin-Ära entschuldigt. Doch von den verantwortlichen Generälen und Sicherheitskräften wurde bislang keiner juristisch zur Verantwortung gezogen. Kritiker wie die in Hongkong ansässige Asiatische Menschenrechtskommission monieren, dass man zwar die Menschenrechtsverletzungen der früheren Regierung anprangere, gleichzeitig aber die anhaltende Mittäterschaft von Militärs und Polizei herunter spiele.

Der Norden gegen den Süden, die Wohlhabenden gegen die Armen: Die tiefe Spaltung des Landes ließ sich auch am Ergebnis des Verfassungsreferendums ablesen, das Mitte August in Thailand stattfand: Während sich die Bewohner der Hauptstadt Bangkok, Zentralthailands sowie des Südens mehrheitlich für den vom Militär gestützten Entwurf entschieden, lehnten die Bewohner des Nordostens diesen mit rund 62 Prozent der Stimmen ab. Auch im Norden gab es ein starkes Votum dagegen. "Stimmt mit Nein", war schon Wochen vor dem Referendum auf kleinen roten Aufklebern zu lesen. Thaksins Anhänger hatten diese vor allem unter den Taxi- und Tuk-Tuk-Fahrern verteilen lassen.

Die Armen des Nordens und Nordostens gelten als "vernachlässigte Wählerschaft", denen die Elite des Landes demokratisches Verständnis abspreche, moniert der Politikwissenschaftler Giles Ungpakorn von der Uni Bangkok: "Diese Leute sagen, die Armen auf dem Lande seien zu dumm, um Demokratie zu verstehen. Und deshalb hätten sie auch nicht das Recht, zu wählen." Ein Ende der politischen Zerrissenheit ist nicht in Sicht - trotz der für Dezember angekündigten Neuwahlen.

"Der Konflikt, den wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben, ist tief verankert", sagte Thitinan Pongsudhirak, Chef des Institute of Security and International Studies, der taz. "Die Junta hat in diesem Jahr nicht die Kontrolle erlangt, die sie wollte." Für die neue Verfassung hatten denn auch nur rund 58 Prozent der Thais gestimmt, rund 42 Prozent waren dagegen. Sie gilt als "Anti-Thaksin-Verfassung", was besagt: Künftig wird der Allmacht einer "Ein-Parteien-Regierung", wie es sie zuletzt unter Thaksin gab, ein Riegel vorgeschoben. Der künftige Premier soll zudem leichter seines Amtes enthoben werden können. Kritiker gehen dennoch davon aus, dass die Demokratie außen vor bleiben wird. Denn die Hälfte des Senats soll künftig ernannt werden - von einem Rat aus Technokraten und Juristen, heißt es. Er wird voraussichtlich voll sein mit Repräsentanten des Militärs.

Somit zementiere die neue Verfassung klar den Führungsanspruch der alten Eliten, sagt Thitinan Pongsudhirak. Der Putsch habe das Land um etwa 15 Jahre zurückgeworfen, in die Zeiten vor der populären, im Lande allseits akzeptierten Verfassung von 1997. In Thailands künftiger politischer Landschaft würden die Parteien schwach sein und Koalitionsbündnisse sich entzweien, wie es das demokratische System schon in den 1990er-Jahren erlebt hatte: "Die wirkliche politische Macht wird zurückkehren in die Hände von Militär, Bürokratie und Monarchie", meint Thitinan.

Für Beobachter steht fest: Das künftige politische System ist ein Misstrauensvotum gegen das Volk. Den Menschen werde offenbar nicht zugetraut, seine eigenen Vertreter zu wählen. Derweil ist aus Bangkok zu hören, Thailand verdiene als funktionierende Demokratie behandelt zu werden. Die Europäische Union hatte kürzlich angeboten, zu den für Dezember angekündigten Neuwahlen Beobachter zu schicken. Diese dürfen zwar einreisen, haben aber bei mutmaßlichen Wahlverstößen keinerlei Handhabe.

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