Staudenmarkt I: Das Leben in voller Blüte

Auf dem Staudenmarkt im Botanischen Garten präsentiert Christian Meyer am Wochenende die betörenden Zuchterfolge seiner Farm: Seerosen.

Blütenblätter, von der Sonne verwöhnt Bild: DPA

Christian Meyer steht im Teich zwischen seinen Seerosen. Ihre riesigen Blütenteller sind geöffnet und bieten sich ausladend in Lila und Pink, in Rosa, Orange und Gelb dar. Jedes Blütenblatt, fest wie Pergament, verschwendet sich an die Sonne. Der feucht schimmernde Blütenstempel - das Innerste einer Blume - bleibt nicht länger verborgen.

Am Wochenende findet im Botanischen Garten in Steglitz der Staudenmarkt statt. Für viele BlumenliebhaberInnen ist der zweimal im Jahr stattfindende Markt entlang der großen Wege des Gartens regelrecht Kult. Hier wird das Beste und Schönste angeboten, was Menschen mit grünem Daumen so zaubern. Altes Können, altes Handwerk, alte Sorten und neueste Züchtungen in Eintracht nebeneinander. Seerosenzüchter Meyer (siehe oben) wird da sein, und Tomatenzüchter Raschke (siehe unten) bietet Verkostungen an. Auch Naturschutz- und Laubenpieperverbände sind dabei. Und selbst für die Rostbratwürste, die zu jedem Straßenmarkt gehören, gilt: Die Discounter-Nummer läuft hier nicht.

Christian Meyer kennt alle beim Namen. "Perrys Strawberry Pink" in zartem, verschwindendem Rot oder "Lemon Mist" in ganz hellem Gelb. "Nymphaea Paul Hariot" die zwischen Gelb und Rosa changiert. Elfenbehausungen sind es. Und da drüben, die ganz dunkelrote. "Black Princess" heißt sie. Man soll sie an den Rand des Teiches pflanzen, sonst verliert sich ihre Opulenz im Spiel des Lichtes auf dem Wasser. "Die haben alle so schöne Namen", sagt Meyer. "Obwohl, wir haben auch was Schnödes. Da: Hillary." Allerdings mit 70-jährigem Stammbaum. Cremefarben schwimmt sie auf dem Teich.

Wenn Meyer die Namen der Seerosen aufzählt, klingt es nach einer Komplizenschaft zwischen ihnen und dem blonden 26-Jährigen, der gerne lacht und dabei seine Augen mit dem Arm vor der Sonne schützt. Es sind seine Blumen. Er hat sie zum Blühen gebracht. Er hat ihnen geholfen, dass sie ihre Farben zwischen den großen schwimmenden Blättern wie Kleinode darbieten. Er hat sie aus Rhizomen, keimfähigen Wurzelausläufern, gezogen. Im Frühjahr in kleinen Töpfen, später in größeren, bis er sie im Teich lassen konnte.

Ein wenig sind es aber auch die Seerosen seiner Großmutter. Denn auf der Streuobstwiese hinter ihrem Haus im brandenburgischen Groß Rietz hat "La vie en rose", Meyers Seerosenfarm, angefangen. Da wurden Teiche ausgehoben und Seerosen eingepflanzt. Ihr Enkel, ein Blumenfan, einer der sich in "Wassernymphen" verliebt hatte, wollte es so. Und Elli Meyer, die Großmutter mit dem großzügigen Lachen, war leicht dafür zu gewinnen: Sie freut sich über alles, was Leben auf den Hof bringt. Die Seerosen hinterm Haus garantieren ihr Christians Besuche.

Mittlerweile allerdings garantieren sie der 80-Jährigen in ihrer blaugeblümten Kittelschürze vor allem Beschäftigung. Denn aus zwei Seerosenteichen wurden zwanzig, die sich über das Grundstück der Großmutter ziehen. Aus Christian Meyers Hobby wurde ein Beruf. Aus Elli Meyers Hof wurde so etwas wie ein Sommerreich, in dem, wer will, die Blumen bestaunen kann. Und Seerosen wollen bestaunt werden. 200 verschiedene Sorten blühen hier. Dazu noch 40 verschiedene Lotusarten. Auch Wasserhyazinthen, Wasserlilien und Wasseriris gibt es. "Blumen machen glücklich", sagt Christian Meyer. "Das Schöne überträgt sich." Und seine Oma: "Es ist doch schön, wenn man mit Schönem zu tun hat." Was braucht es mehr? Probleme werden von Christian Meyer sowieso am liebsten mit "Kein Thema" gelöst. Als wäre, was kein Thema ist, auch kein Problem.

In nur drei Jahren Aufbau ist es Meyer gelungen, Hoflieferant für das Bundeskanzleramt, die Filmstudios in Babelsberg und die Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate zu werden. "Wasser ist in der Wüste doch so ein Luxus", sagt Meyer. "Die Seerosen, die stehen dafür."

Wie er zu den Pflanzen kam? "Es war eben so." Ursprünglich sammelte er Orchideen. Richtig ernst wurde es damit, als ihn seine Eltern vor die Wahl stellten, sich einen ordentlichen Ferienjob zu suchen oder Bierkisten zu schleppen beim Onkel. Er fand eine Arbeit in der Baumschule in Mahlsdorf und für seine Orchideen ein Vier-Quadratmeter-Gewächshaus im elterlichen Garten am Rand von Berlin. "Aber Orchideen sind undankbar." Da wurden eben Seerosen daraus. Die sprechen mit der Sonne. Auf jeden Fall musste sich Meyer manchmal necken lassen ob seiner Leidenschaft fürs Florale. "Blümchen" nennen ihn seine Freunde, "Blumenkind".

Jetzt steht er in Gummistiefeln, die er mit Goldfarbe besprüht hat, in Jeans und gestreiftem Hemd zwischen den Teichen und versucht zu erklären, dass das Farbenspiel der Blumen nur der Höhepunkt einer mitunter mühsamen Arbeit ist. Am Anfang habe es gar nichts von Verschwendung, wenn man im Frühling im kalten Wasser steht und nichts sieht. Denn die Seerosen ziehen sich im Winter ja in die Wurzeln zurück. Und im Sommer ist es mitunter ein geteiltes Vergnügen, wenn sich die feuchtigkeitsschwangere Luft in den Gewächshäusern auf 50 Grad erhitzt. Schnell allerdings überwiegt wieder die leichte Stimmung. "Es sind die Blumen."

Viele Seerosenzüchter gibt es in Deutschland nicht. Konkurrenz kommt eher aus Amerika, aus Asien. Da will Meyer seine Stellung behaupten mit Qualität. "Wir machen hier nicht die Baumarkt-Nummer." Er zieht die frostharten Sorten selbst. Nur die Rhizome der tropischen Pflanzen besorgt ihm ein Händler auf den asiatischen Märkten.

Als Züchter muss man immer als Erster etwas Neues anbieten, sagt Meyer. "Im Zweifelsfall will ich der Gewinner sein." Mittlerweile sind ihm selbst zwei Züchtungen gelungen. "Iolante" hat er die eine genannt, die dunkelpink leuchtet, "Rose Dawn" heißt die andere. Sie ist außen rosa und innen nachtweiß.

Obwohl der Übergang von der persönlichen Leidenschaft zum Züchter bei ihm fließend ist, hat Meyer sich auf sein Unternehmen gut vorbereitet, hat Betriebswirtschaft und Agrar-Ökonomie studiert, bevor er sich vor drei Jahren in die Nische wagte. Dass die universitäre Theorie indes nicht mit dem Leben mithalten kann, entnimmt man seinen Worten auch. "Agrar-Ökonomie - das war Getreidehandel, Schweinemast und den Kühen in den Arsch fassen." Der Blick auf die Schönheit entfällt. Da ist seine Grenze. Die Regulierung der Natur überlässt er auch lieber der Natur selbst als Bayer oder Roche. In seinen Teichen schwimmen Elritzen und was die Natur noch an Fischen eingeschleppt hat. Die vertilgen dann Käfer, die sonst die Seerosen anfressen.

"La vie en rose" ist nicht nur die Geschichte von einem, der sich eine Existenz aufbaut. Meyers unternehmerische Tätigkeit hat noch einen sekundären Gewinn, der sich nicht in Euros oder Dollars bemessen lässt. Da ist etwa das brandenburgische Dorf, abgehängt von der Bahnstrecke und schwer erreichbar. Es gibt keinen Bäcker mehr im Ort. Aber immer im Juni gibt es jetzt auf der Seerosenfarm einen Tag der offenen Tür. Inzwischen sei das wie ein Dorffest der 600 Einwohner und EinwohnerInnen, sagt Meyer. Die Frauen backen Kuchen, man zeigt sich. Selbst in der Kneipe steht eine Seerose auf der Theke. Der Wirt erklärt, nicht ohne Stolz, woher er die Blume hat und dass man jetzt draußen, bei diesem schlechten Wetter, wahrscheinlich keine offenen Blüten sehen werde. Erst nach drei Stunden Sonne ließen sich Seerosen bitten.

Von unkalkulierbarem Wert ist auch die soziale Einbindung der Großmutter, die sonst alleine leben würde. Sie verschenkt gerne mal Seerosenblüten, um Nachbarinnen zu beglücken.

Eine grüne Start-up-Millionärsgeschichte ist dies dennoch nicht. Noch trägt sich die Seerosenfarm gerade mal so. Deshalb arbeitete Meyer die letzten Winter als Florist im Palace-Hotel. Sowieso ist er Stadt- und Dorfmensch zugleich. Kultur, Dynamik, Kneipen, Freundschaften - das braucht er auch.

Spätestens im Frühling aber werden die Meyers wieder unruhig. Sie pflanzen und machen, und wenn die erste Blüte aufgeht, "das geht ans Herz", sagt Christian Meyer. Sobald Elli Meyer die ersten Kospen sieht, geht sie ständig gucken. "Aber ich gucke sowieso jeden Tag."

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