Bauerntag: Der Kampf um die Milch

Weil sie sich vom Deutschen Bauernverband nicht mehr vertreten fühlen, sind 35 Milchbauern ausgetreten. Darunter Stefan Mann aus dem hessischen Ilschhausen.

Glückliche Kühe geben mehr Milch - aber was sagt die Quote dazu? Bild: dpa

ILSCHHAUSEN taz Bauer Stefan Mann kann den Spott gut aushalten. Mancher frotzelt, er wolle ein albernes Idyll retten: das Dorf mit dem Bauern, der Holzschuhe trägt, seine acht glücklichen Kühe durch die Straßen treibt und die Milch in ein paar eiserne Kannen abfüllt. Doch Mann ist nicht unrealistisch - im Gegenteil.

In verschmutzen derben Lederschuhen, Khakihose und grobem blauem Baumwollhemd steht er in seinem Kuhstall und sagt: "Ich will gerechten Lohn und ein Dorf, in dem sich Städter am Wochenende erholen."

Mann, 44 Jahre, lebt von der Milch. Sein Fachwerkhof - davor rote Geranien, dahinter eine Wiese mit Kirschbäumen - liegt in Hessen, zwischen Marburg und Gießen, weitab im Ort Ilschhausen. In der Stube ein antiker Emailleofen, eine Mausefalle und an der Wand Porzellanteller aus Urgroßmutters Zeiten mit Goldrand und Goldlettern: "In Gottes Segen ist alles gelegen". Das ist es auch schon mit dem Idyll.

Auf dem Lande rumort es. Vor zehn Jahren gab es in llschhausen noch zehn Bauern. Alle haben sie dichtgemacht - außer Bauer Mann. Das Dorf ist kein Einzelfall: Bundesweit geben jeden Tag mehr als zehn Bauer die Milchwirtschaft auf. Von Kühen lässt sich nicht gut leben.

Der Deutsche Bauernverband, 1948 gegründet, sieht sich selbst als Interessenvertretung der Land- und Forstwirtschaft in Deutschland. Über 90 Prozent der ca. 380.000 landwirtschaftlichen Betriebe sind auf freiwilliger Basis Mitglied im Verband. Von anderen agrarpolitischen Verbänden wie der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, dem Agrarbündnis oder der Interessengemeinschaft Nachbau wird dem Bauernverband vorgeworfen, dass er zu stark mit der Agrarindustrie, den Raiffeisen-Großgenossenschaften und dem Agrobusiness verflochten sei und auf vielen Politikfeldern die Interessen vieler Bauern gar nicht oder falsch vertrete. Für Donnerstag und Freitag lädt der Bauernverband in Bamberg zum Bauerntag.

Landwirten wird zwar das Jammern nachgesagt, Mann aber glaubt man, wenn er meint: "In vielen Landstrichen wird es schon 2015 kein Vieh mehr geben, falls das so weitergeht." Und dann schimpft der kräftige Bauer los - über den Deutschen Bauernverband, der "über die Köpfe der Bauern hinweg entscheidet", "keinen Willen zeigt, für gerechte Preise zu kämpfen", und "immer nur appelliert, wirtschaftlicher zu werden".

Das ist neu. Bislang ärgerten sich Bauern wie Mann über den Agrarminister, der Geld streicht, oder über den Verbraucher, der zu wenig für die Lebensmittel zahlt. Über den Deutschen Bauernverband fiel indes kein schlechtes Wort. Er hat quasi einen Alleinvertretungsanspruch. Noch sind 90 Prozent der 380.000 deutschen Bauern Mitglied. Und einmal im Jahr lädt der Verband sie zum Bauerntag - wie an diesem Donnerstag und Freitag in Bamberg.

Mann wird nicht kommen. Er ist aus dem Bauernverband ausgetreten. Und er hat auf einen Schlag 35 Kollegen aus dem örtlichen Verband mitgezogen - in eine Oppositionsbewegung. Name: Bundesverband deutscher Milchviehhalter, kurz BDM. Die Existenzangst der Bauern beschert dem BDM auch andernorts enormen Zulauf. Deutschlandweit hat er schon 27.000 Mitglieder.

Milchbauer Dieter Müller aus der Nähe von Ilschhausen hat dem Bauernverband noch nicht den Rücken gekehrt. Er bekennt: "Wir sind ganz schön unter Druck." In der Stadt kennt den BDM bislang kaum jemand, auf dem Lande ist er überall. Auf der Heckscheibe von Manns Audi klebt in jeder Ecke ein BDM-Aufkleber. Am Stall hängen zwei BDM-Plakate. Und an der Hauptstraße im Dorf fällt sofort das BDM-Plakat ins Auge: "Milchlieferstopp? Wir sind dabei!"

Lieferstopp? "Wir wollen 40 Cent pro Liter Milch von den Molkereien - notfalls per Streik", sagt Mann, der auch BDM-Vorstand ist. Derzeit kriegen die Bauern 28 Cent, das deckt nicht einmal die Kosten. Mann: "Milch ist das einzige Druckmittel, das wir haben." Und einfach die Molkerei wechseln gehe nicht. - "Statt wie vor fünfzehn Jahren zwanzig Molkereien gibt es heute in Hessen nur noch vier." Die Vermarktung liegt in wenigen Händen.

Immer mal wieder haben Bauern Campina und Co. die Milch aus Ärger über die Preise vor die Tür gekippt. Bundesweit und so groß geplant wie für den Herbst jetzt von Mann und BDM war das aber noch nie. Der Bauernverband hat sich machtlos gezeigt: Moderat hat er mal wenige Cent mehr gefordert. Er animiert Bauern aber eher dazu, größere Mengen zu produzieren.

Protest: Milchbauern aus dem Schwarzwald im Mai Bild: dpa

Für Bauer Mann ist das "keine Lösung". Mit mehr Menge hat er es schon versucht. Mann hat mit 19 den Hof von seinem Vater übernommen, da hatte er 25 Hektar und 25 Kühe. Der Vater bekam neue Hüftgelenke und konnte nicht mehr, wie er wollte. Jetzt sitzt der 79-Jährige auf der Bank vor dem Hof. Und sein Sohn hat 150 Hektar, 100 Kühe und einen Hightechstall.

Dieser steht auf einer Anhöhe, ein paar Schritte vom Hof entfernt. Im Dorf war kein Platz mehr für den Neubau. Wert: eine Million Euro. Expansion ist teuer. Bauer Mann hat vor allem in Kuhkomfort investiert. Die Tiere sind nicht mehr angebunden wie früher. Sie laufen in der luftigen Halle frei herum, fressen den Tag über bis zu 70 Kilo Gras und saufen an heißen Tagen bis zu 250 Liter Wasser.

Mann sagt: "Kühe geben mehr Milch, wenn sie sich wohlfühlen." Eine Kuh steht unter einer großen, gelben Bürste, die ähnlich wie die in einer Autowaschanlage rotiert - und den Rücken kratzt. Auch eine Kuhdusche, eine Art Sprinkleranlage, hat der Bauer installiert. Zur Abkühlung: Eine Kuh wird schon bei über 15 Grad Celsius dösig.

Mann liefert Ökomilch. Er macht davon aber nicht viel Aufheben. Er sagt: "Bei der Milch kämpfen alle gleich." Er melkt morgens und abends, jeweils zwei Stunden. Urlaub ist selten. "Ostern zwei Tage im Rheinland." Die Frau und seine 75-jährige Mutter helfen. Angestellte hat er keine. Dennoch bringt der Hof die Bauernfamilie mit Großeltern und zwei Söhnen gerade so über die Runden.

Mehr Wachstum ist nicht drin. Dafür fehlt Geld. Zumal Bauer Mann Superstall und Superkühe allein nichts nützen. Er musste auch Milchquoten kaufen. Bauern dürfen nur die Menge Milch liefern, die ihnen zugeteilt ist. Das System gibt es schon seit 1984. Brüssel führte es damals ein, um die Überproduktion zu stoppen und den Butterberg abzubauen. Wer seinen Hof vergrößern und mehr produzieren will, muss jemand finden, der Verkaufsscheine abgibt. Mann kaufte den Bauern im Umkreis die Quote ab.

Heute besitzt er das verbriefte Recht, 650.000 Liter Milch im Jahr zu liefern. Der Wert liegt bei 250.000 Euro: In Hessen wird derzeit jede Quote für 35 Cent gehandelt. Mann: "Im Lieferrecht steckt Kapital." Das könne man nicht einfach abschaffen, meint er - und geht damit schon wieder auf Konfrontation zum Bauernverband.

Der will die Quote nämlich lieber heute als morgen wieder los sein. Er plädiert für "mehr Markt und weniger Planwirtschaft". Die Quote habe ohnehin nie gehalten, was sie versprochen hatte: das Angebot zu drosseln und den Preis zu stabilisieren.

Tatsächlich werden in der EU etwa 15 Prozent mehr Milch produziert als gebraucht wird. Das erlaubte Kontingent ist zu hoch. Nur sagt Mann: "Wegfallen darf die Quote darum noch lange nicht." Käme das Aus, könnten die Bauern vielleicht ungehemmt produzieren. Wer das Angebot ausweite, riskiere jedoch, dass der Preis "noch weiter in den Keller sackt".

Anders als der Bauernverband glaubt Mann nicht an neue Exportchancen für die deutschen Bauern. Milch wird zwar längst in Form von Trockenpulver weltweit gehandelt. Und wachsende Länder wie China oder Indien kommen gerade erst auf den Geschmack, sodass die Nachfrage steigt. "Deutsche Milch ist auf dem Weltmarkt aber nicht wettbewerbsfähig", meint Mann.

Im Vergleich zu den großen Milchhöfen in Nord- und Ostdeutschland, die gut 400 Kühe haben, ist Mann Kleinbauer. Er fühlt sich einmal mehr bestätigt: "Unsere Interessen vertritt der Bauernverband nicht." Mann prophezeit, dass die Mitglieder "reihenweise austreten" werden, wenn sich der Bauernverband vehement für das Quoten-Aus einsetzt. So wie die Milchpolitik hat noch kein Thema die Bauern gespalten.

Die Bauernverbände in Hessen und Bayern haben Umfragen gemacht, wie es mit der Quote weitergehen soll. Sie haben mit dem klaren Votum nicht gerechnet: In manchen Gegenden in Hessen wollen knapp 90 Prozent der Bauern die Quote behalten. In Bayern sind es bis zu 97 Prozent. Alle haben Angst vor einem gewaltigen Strukturwandel.

Die Spitze des Bauernverbandes hält das Ergebnis jedoch für "nicht repräsentativ". Es seien zu wenige Mitglieder beteiligt worden. Eine bundesweite Umfrage ist nicht geplant. Stattdessen soll jetzt in Bamberg "entschieden und eine klare Position" bezogen werden. Dort kommen vor allem die Funktionäre.

Helmut Born, Generalsekretär des Bauernverbandes, hat das Ergebnis in den letzten Tagen schon vorweggenommen: "Die Mehrheit der Delegierten" sehe "wahrscheinlich" keine Chance mehr für die Quote, sagte er. Die Bauern sollten aber Hilfe bekommen. Dafür werde man kämpfen: "Wir lassen die Milchbauern nicht versauern!"

Das überzeugt Mann nicht. Woher soll das Geld auch kommen? Entscheiden kann der Bauernverband natürlich aber auch nichts. Er ist jedoch bekannt für seinen guten Kontakt zu CSU-Bundesagrar- und -verbraucherminister Horst Seehofer. Und bislang hat der sich nicht starkgemacht für die Quote.

Viel Zeit bleibt für Milchlobbyist Mann nicht, um Seehofer auf seine Seite zu ziehen. Schon 2008 wird der Minister mit seinen EU-Kollegen entscheiden, ob die Quote bleibt oder 2015 automatisch ausläuft. Fest steht bisher nur: Großbritannien und Dänemark sind gegen sie.

Allein: Bauern-Rebell Mann hat erst einmal mit Seehofer gesprochen.

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