Die Pflege-WG

Die Autorin Ilse Biberti hat erst ihr Büro zu den Eltern verlegt, dann ihr Bett. Nun kommen auch Pfleger ins Haus. PROTOKOLL

"Im Mai 2005 hatte meine Mutter unerwartet einen Schlaganfall. Zehn Tage danach wurde ich im Krankenhaus gefragt: 'Wo wollen Sie ihre Mutter hinhaben?' Ich war fassungslos. Sie lag hilflos im Bett, ihr Sprachzentrum zerstört. Ich entschied: Meine Mutter kommt nach Hause zu ihrem Mann! Für mich war meine Mutter krank, nicht alt und für immer ein Pflegefall.

Zurück aus der Reha die Situation zu Hause: Mutter konnte nicht sprechen, Vater nicht hören. Ab sofort hatte ich die volle Verantwortung für drei Köpfe, sechs Hände, sechs Füße Ein mobiler Pflegedienst versorgte meine Mutter am Morgen. Damit ihre Intimität bewahrt bleibt. Die Putzfrau kam viermal die Woche und übernahm das Mittagessen. Mein Vater lernte das Abendbrot hereinzutragen. Zweimal die Woche kam eine Logopädin und eine Physiotherapeutin. Ich war täglich viele Stunden da, in der Nacht standby via Babyfon.

Dann brach ich mir das Fußgelenk. 'Der Not gehorchend' quartierte ich mich auf dem Sofa bei meinen Eltern ein. Ständig vor Ort erkannte ich das wahre Ausmaß ihrer Hilfebedürftigkeit. Meine Mutter brauchte für jeden Toilettengang Unterstützung, mein Vater vagabundierte die ganze Nacht durch die Wohnung.

Der Total-GAU traf uns: Bei meinem Vater wurde Alzheimer festgestellt. Nun war ich nie mehr allein. Das Buch habe ich am Mittagstisch geschrieben, beide Eltern sahen mir zu, schliefen mit offenen Mündern. Manchmal habe ich mich mit dem Laptop auf der Toilette eingeschlossen. Dieses Alleinsein wurde mir für maximal 10 Minuten gegönnt. Mein Vater hatte über Monate eine aggressive Phase. Ich habe auch zurückgeschrien, einmal mit einem Bratenwender auf die Spüle geprügelt. Ich wusste, innerlich hatte ich ihn gemeint. Ich wollte es nicht zum Äußersten kommen lassen, verreiste für eine Woche. Freunde übernahmen meinen 'Dienst'.

Nach einem Jahr musste ich die neue Situation akzeptieren: Meine Eltern waren für immer Pflegefälle. Wir sind jetzt eine Familie auf Augenhöhe. Wir lachen und weinen. Ein halbes Jahr später hatte meine Mutter einen weiteren kleinen Schlaganfall. Jetzt lebt sie im Wohnzimmer in einem Pflegebett. Von hier kann sie die ganze Wohnung überblicken. Ich schlafe wieder in meinem Kinderzimmer, ein merkwürdiges Gefühl.

Unser Motto: Alles vor dem Tod ist Leben. Wir wollen es genießen, soweit es geht. Dazu gehört, dass auch ich wieder mein eigenes Leben beginne. Wir haben jetzt mehr Unterstützung: Pflegedienst, Haushaltshilfe, Medizinstudentin für Nachtdienste, ehrenamtliche Hospizbegleitung, Therapeuten, Freunde."

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