Kommentar: Das Ende der Gemütlichkeit

Lafontaines scharfe Rhetorik suggeriert umstürzlerischen Elan. Doch das Ziel der Linken ist nicht die Revolte, sondern die Rente mit 65.

Als der Soziologe Max Weber 1906 einen Parteitag der revolutionären SPD besuchte, entdeckte er keine Bürgerschreckproleten, sondern "kleinbürgerlichen Habitus". Die Rhetorik war zwar klassenkämpferisch, doch die Partei bestand nicht aus jugendlichen Himmelsstürmern, sondern eher aus "behäbigen Gastwirten".

So ähnlich wirkte der Gründungsparteitag der LINKEN in Berlin. Vor allem Lafontaines scharfe Rhetorik suggeriert politische Leidenschaft und umstürzlerischen Elan. Doch das Bild der Partei prägen grauhaarige Gewerkschaftsfunktionäre aus dem Westen und 60-jährige Mittelschichtsangehörige aus dem Osten. Ihr Ziel ist nicht die Revolte, sondern die Rente mit 65. Und dazu singt Konstantin Wecker.

Die neue LINKE hat, kulturell und intellektuell, wenig Mitreißendes. Trotzdem ist sie nötig für die Demokratie. Sie bindet Frustrierte, die ansonsten nach rechts abdriften könnten. Und sie hat mit dafür gesorgt, dass die Zeit der Sachzwanglogik in sozialen Kernfragen vorbei ist. Es gibt wieder Alternativen: hier den sozial tauben FDP-Individualismus, dort die auf Sozialstaat gepolte LINKE. Und die Zukunft? Im Moment scheinen die Aussichten der LINKEN glänzend. Sie besetzt glaubwürdig das von allen anderen links liegengelassene Thema Gerechtigkeit. Beim Mindestlohn treibt sie die SPD vor sich her. Und sie will die grüne Marktgläubigkeit angreifen, um ihr Bild als etatistische Partei zu komplettieren.

Ob die LINKE langfristig Erfolg haben wird, hängt vor allem von den PDS-Reformern ab. Mit der WASG strömen viele enttäuschte Ex-SPDler in die Partei, die mit Realpolitik nicht viel am Hut haben und für die der stets wirkungsmächtige, nicht immer kluge Oskar Lafontaine spricht. Sie treffen auf eine harmoniesüchtige PDS, für die der stets kluge, doch selten wirksame Lothar Bisky steht. Die Partei sieht sich nun erstmals vor scharfen inneren Kontroversen. Denn der Streit, ob sich die LINKE in Richtung Rot-Rot-Grün bewegt oder in verbitterter Rechthaberei endet, ist unvermeidlich. Dabei wird es krachen. Der Reformflügel der alten PDS sollte sich warm anziehen. Seine Ausdauer und Klugheit werden entscheiden, ob der LINKEN der Rückfall ins Sektierertum erspart bleibt.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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