Kolumne Schlagloch: Bachelor of Reinigung

Die Regierung gibt sich die allergrößte Mühe, den Arbeiter abzuschaffen, um ihn irgendwie aufzuwerten. Arbeiter aller Länder, verschwindet euch!

Mehrere Bauarbeiter steigen eine Treppe auf

Bringt der Bezeichnungsaufstieg auch den sozialen Aufstieg? Foto: sol/Unsplash

Es gibt da so eine Postkarte über Arbeiter, die hat es halbwegs zu Ruhm gebracht. Darauf: ein Dutzend Bauarbeiter vor einer Baugrube. Sie stehen da wie die zwölf Apostel um das letzte Abendmahl. Bis auf einen stehen sie alle vor der Baugrube wie Kapitäne am Damm. Sie arbeiten nicht, sie tragen Titel: Communication Manager. Security Manager. IT-Manager. Der Einzige, der arbeitet, ist der schaufelnde Horst.

Nun hat das tatsächlich einmal nichts mit Horst Seehofer zu tun. Denn Horst Seehofer hat nicht mitgearbeitet, sondern als Security Manager vor allem Unsicherheit verbreitet. Obwohl er als Innenminister seiner Heimat dient, arbeitet er bislang zum Beispiel noch nicht öffentlich an der Beantwortung der Frage mit, was das jetzt für die Heimat bedeuten könnte, wenn sich „Hannibals Schattenarmee“ formiert. Oder hätte hier besser Frau von der Leyen arbeiten sollen?

Es ist ja auch ein völlig altmodischer Blick von mir, tatsächlich von Arbeiten zu sprechen. Arbeiten ist so ein gesellschaftlicher, aber auch individualistischer Vorgang, an den sich manche noch erinnern werden, der aber so gut wie von der politischen Agenda verschwunden ist. So abwesend wie die Arbeit im politischen Diskurs ist, entsteht leicht der Eindruck, alles stellt sich heutzutage von selbst her. Wozu wird die Arbeit überhaupt noch ins Ausland verlagert, wo man sie unwürdig billig kaufen kann, wenn der Arbeiter doch angeblich gar nicht mehr gebraucht wird?

Der Arbeiter rückt nur noch dann ins Visier der politisch Verantwortlichen, wenn zum Beispiel ein sozialdemokratischer Finanzminister wie Olaf Scholz sich um die Grundsteuer bemüht. Schnell fällt ihm ein, wie sich die Grundsteuer auf den Mieter umlegen ließe. Olaf Scholz scheint davon auszugehen, das trifft den Arbeiter nicht. Wichtige Teile der Politik haben sich längst auf das Motto geeinigt: „Arbeiter aller Länder, verschwindet euch!“ In so einem Deutschland, in dem der Arbeiter als arbeitender Mensch und Kategorie politisch verschwunden ist, lässt sich selbst Angela Merkel, die international gerne mit einer neo-liberalen Wirtschaftsagenda assoziiert wird, als sozialdemokratische Geheimagentin beschimpfen, die das Konservative zu zersetzen droht.

„Facharbeiter“ nun „Fachbachelor“

Die Speerspitze der konsequenten Arbeiter-Auslöschungs-Initiative bildet allerdings die Bildungsministerin dieser Großen Koalition. Anja Karliczek persönlich treibt das Verschwinden des Arbeiters jetzt richtig voran, und zwar sprachlich. Frau Ministerin Karliczek, die der interessierte Bundesbürger daher kennt, dass sie von vier Amtsjahren ein ganzes für die Einarbeitungsphase beansprucht, hat geliefert. In der Lieferung enthalten: Die Abschaffung des Arbeiters! Angeblich, um die Arbeit des Arbeiters aufzuwerten.

Im selben Maße wie die Arbeit von der Agenda verschwunden ist, verschwand auch die Sozialdemokratie

Sehen wir uns das mal näher an: Der „Facharbeiter“ soll nun „Fachbachelor“ heißen. Können wir das bitte alle einmal im schönsten Denglisch ausbuchstabieren: Fach-bätsch-älorr. Klingt dann fast nach Andrea Nahles. Eine einfache Reinigungskraft? Braucht schon heute Diplome. Wäre nach der Karliczek-Reform die Trockenreinigung Aufgabe des „Bachelor of Reinigung“, während Nasswischen dem „Master of Reinigung“ vorbehalten wäre? Im Bildungsministerium geht es tatsächlich um die existenziellen Fragen der deutschen Bildungslandschaft.

Demnach wird ein Bäcker erst wertvoll, wenn er Bachelor heißt, nicht, wenn er Brot zu backen weiß. Wer empört sich darüber? Die akademischen Zünfte! Und zwar über die Abwertung der Studienabschlüsse, die ja keine Berufsabschlüsse sein sollen. Hätten sie da mal aufgeschrien, als sie bachelorisiert wurden. Es geht um Eitelkeiten, nicht um den arbeitenden Menschen. Je länger sich dieses Trauerspiel vollzieht, desto klarer müsste jedem sein: Im selben Maße wie die Arbeit von der Agenda verschwunden ist, verschwand auch die Sozialdemokratie.

Die krasse digitale Grube

Die lautesten Debatten über Arbeit sind jene vom Verschwinden der Arbeit. Digitalisierung ist bisher vor allem das Reden vom Verschwinden der Arbeit, sonst hört (noch) keiner zu. Dabei reißt das Reden über die digitale Zukunft eine so krasse Grube auf, die könnte ein einzelner Horst gar nicht herausschaufeln: Einerseits hält man ganze Vorträge beispielsweise darüber, wie Busse und Bahnen automatisiert fahren werden, andererseits hört man Meldungen wie: Die Deutsche Bahn wird es in den nächsten Jahren über weite Strecken nicht organisiert bekommen, die Anschlusszüge zu erreichen. Wie vernetzt sind überhaupt jene, die den digitalen Wandel propagieren und jene, die wissen, weshalb schon die Technik der Gegenwart nicht funktioniert?

Jeder Arbeiter, der überhaupt noch hinhören möchte und dessen Hirn nicht stumpfdebattiert wurde, kann klar benennen, was sich in den letzten zehn Jahren verschlechtert hat. Von Arbeit können zu viele nicht mehr leben, arm trotz Arbeit, arm trotz Rente und so. Jetzt stelle man sich vor, wie diese Menschen von der neuen Idee der Bildungsministerin hören: „Arbeiter, ihr seid jetzt alle Bätschäloorr“! Und die Nöte? All jene, deren Arbeitsleben eine politische Strategie erfordert? An deutschen Flughäfen finden sich inzwischen Zustände wie in den USA: Den Reinigungs-Bacherlor dürfen Dunkelhäutige machen, Einwanderer, die kaum Deutsch sprechen. Eine Immigrantenarmee arbeitet im Niedriglohnsektor. Sie arbeiten in Hotels, Küchen und Kantinen, in Krankenhäusern, Altenheimen oder bei Pflegebedürftigen zu Hause. Politik? Das macht ab morgen der Roboter!

Es muss aber auch über das Leben jener geredet werden, die heute und jetzt arbeiten und die nicht mehr wissen, welche Partei sich überhaupt noch um Arbeiter kümmern will. Sie alle könnten es ziemlich satt haben, der Horst zu sein, dem die anderen, die mit Titel, ständig sagen wollen, was und wie er arbeiten soll. Wahrscheinlich interessiert diese Arbeiter am wenigsten, ob man sie bei ihrem alltäglichen Überlebenskampfs nun Bachelor nennt.

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