Antisemitismus an Stadtkirche Wittenberg: Vom Schandmal zum Mahnmal

Der BGH hat entschieden: Die „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche muss nicht beseitigt werden. Der jüdische Kläger scheitert.

Stadtkirche in Wittenberg.

Hier hat schon Luther gepredigt: Stadtkirche in Wittenberg Foto: Winfried Rothermel/imago

KARLSRUHE taz | Das antisemitische Sandsteinrelief an der Stadtkirche von Wittenberg (Sachsen-Anhalt) kann bleiben. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) an diesem Dienstag. Die evangelische Kirchengemeinde habe sich ausreichend von der Hetzplastik distanziert.

An der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg, an der einst Martin Luther gepredigt hat, ist seit dem 13. Jahrhundert in vier Metern Höhe eine antisemitische Skulptur angebracht. Sie stellt unter anderem Juden dar, die an den Zitzen eines Schweins saugen. Umgangssprachlich wird die Skulptur deshalb als „Judensau“ bezeichnet.

Seit einigen Jahren klagt der Bonner Jude Michael Düllmann gegen die Wittenberger Kirchengemeinde. Sie solle das antisemitische Machwerk beseitigen, das ihn und alle Juden beleidige. Er hatte jedoch weder beim Landgericht Dessau noch beim Oberlandesgericht Naumburg Erfolg. Nun lehnte auch der BGH seine Revision ab.

„Der Kläger kann nicht verlangen, dass die Beklagte das beanstandete Sandsteinrelief beseitigt“, sagte der Vorsitzende BGH-Richter Stephan Seiters. Es fehle an der „gegenwärtigen“ Rechtsverletzung.

Rechtswidriger Zustand wurde beseitigt

Der BGH stellte fest, dass die „Judensau“-Plastik an sich durchaus rechtsverletzend war. „Sie diente dazu, Juden verächtlich zu machen, zu verhöhnen und auszugrenzen“, betonte Richter Seiters. Wie schon bei der Verhandlung vor zwei Wochen sprach er von „in Stein gemeißeltem Antisemitismus“. Es sei „kaum eine bildliche Darstellung denkbar, die in höherem Maße im Widerspruch zur Rechtsordnung steht“.

Die umstrittene Schmähplastik.

Die umstrittene Schmähplastik „Judensau“ an der Stadtkirche Wittenberg Foto: Annegret Hilse/reuters

Im November 1988 habe die evangelische Kirchengemeinde jedoch den rechtswidrigen Zustand beseitigt, so der BGH, indem sie eine künstlerisch kommentierende Bodenplatte und einen informierenden „Schrägaufsteller“ unter dem Relief anbrachte. Damit habe sich die Kirchengemeinde von der diffamierenden und judenfeindlichen Aussage des Reliefs distanziert.

Düllmanns Anwalt Christian Rohnke hatte in der Verhandlung zwar kritisiert, die künstlerische Bodenplatte enthalte „wirres Geschwurbel“ und der Informationstext sei „verharmlosend und relativierend“. Dazu sagte Richter Seiters nun: „Es kommt nicht darauf an, ob man die Distanzierung auch anders oder besser hätte machen können. Entscheidend ist, ob sich die Kirchengemeinde ausreichend distanziert hat“. Dies nahm der BGH an.

Eine „Möglichkeit der Aufklärung“

Aus der Sicht eines verständigen Betrachters sei 1988 das Schandmal in ein Mahnmal umgewandelt worden, argumentierte Richter Seiters. Es sei nun ein „Zeugnis für die Jahrhunderte währende judenfeindliche Geisteshaltung der christlichen Kirche“ und biete die „Möglichkeit der Aufklärung“.

Der BGH verlangte also weder eine Beseitigung der Plastik noch eine Nachbesserung des Mahnmals. Es gebe nicht nur eine einzige Möglichkeit, die Rechtsverletzung zu beseitigen, die Auswahl bleibe der Kirche überlassen. Nach der Verhandlung sagte der Wittenberger Pfarrer Alexander Garth, er könne Kläger Düllman durchaus verstehen, ihm sei die Distanzierung auch nicht deutlich genug. „Wir müssen nachlegen“ erklärte der Pfarrer, „wir müssen etwas installieren, was lauter spricht als das Schandmal oben. Wir brauchen etwas, das als Bild um die Welt geht.“ Er wolle aber dem kreativen Prozess nicht vorweggreifen.

Kläger Düllman war nicht zur Urteilsverkündung angereist. Bei der Verhandlung vor zwei Wochen hatte er aber angekündigt, er werde im Falle einer Niederlage das Bundesverfassungsgericht anrufen.

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