Neue Deutsche Führungsrolle: Der schüchterne Leader

Von Deutschland wird erwartet, dass es eine Führungsrolle übernimmt. Bisher galt: Frankreich liefert die Ideen, Deutschland die Bedenken.

undeskanzler Olaf Scholz von oben beim Verlassen des Plenums

Da muss einfach mehr gehen – Olaf Scholz hat es zumindest vor Foto: Michael Kappeler/dpa

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagte in dieser Woche einen Satz, der Linken kalte Schauer über den Rücken jagte: Deutschland müsse den Anspruch haben Führungsmacht zu sein, so Klingbeil in einer Grundsatzrede auf einer Konferenz zur Zeitenwende der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Reaktionen folgten prompt. Sie halte dies für ein völlig falsches Verständnis der deutschen Rolle, konterte Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal gegenüber dem Spiegel. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte, statt Deutschland in den Mittelpunkt zu rücken, solle die SPD mal lieber die Bürger in den Mittelpunkt stellen.

Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid kann über die Aufregung nur lächeln: „Wir können uns gar nicht aussuchen, ob wir Führungsmacht sind oder nicht“, so Schmid zur taz. „Wir sind es längst.“ Den meisten Deutschen sei gar nicht bewusst, wie viele Länder Deutschland in dieser Rolle sähen. Entsprechend hoch seien die Erwartungen, entsprechend scharf die Kritik, wenn Deutschland in den Augen der Welt zu zögerlich agiere.

Ähnlich sieht es die Politikwisschenschaftlerin Daniela Schwarzer von der Open Society Foundations. „Deutschland ist ein globaler Player“, sagte sie der taz. Demzufolge käme ihm auch eine besondere politische Rolle zu. Zum einen sei es Deutschlands Aufgabe, die Verbindung zu einem anderen Global Player, nämlich den USA, zu intensivieren. „Von Seiten der USA gibt es da klare Erwartungen an Deutschland.“ Und zum anderen als wirtschafltich stärkstes Land in der EU für Konsens zu sorgen. „Denn wir müssen die EU im Inneren stärken, um nach außen handlungsfähiger zu werden.“

Debatte um Deutschlands Rolle ist nicht neu

Die Debatte über Deutschlands außenpolitisches Selbstverständnis ist keine neue und entflammt immer mal wieder. Vor allem in Krisenzeiten. Ob man Deutschland, wie es 2015 der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier tat, positiv als „aktive Gestaltungsmacht“ labelt oder ihm etwas unverhohlener wie der Polititologe Herfried Münkler auch eine Rolle als „Zuchtmeister Europas“ zuweist – immer geht es darum, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt seinem ökonomischen Gewicht gemäß auch politische Verantwortung übernehmen soll.

Und zwar nicht, und das missverstehen viele Linke oft, indem die Deutschen auf den Tisch hauen und anderen ihren Willen aufzwingen, wie seinerzeit dem hochverschuldeten Griechenland. Sondern, indem man unterschiedliche Interessen zusammenführt. Kein Diktator, ein Moderator also. Oder wie es SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf ebenjener Konferenz formulierte: „Den Anstoß geben zu mehr Miteinander, das ist für mich Führung.“

Am Wochenende hat Deutschland nun Gelegenheit vor den Augen der Weltöffentlichkeit in der Rolle der inklusiven Gastgeberin zu glänzen: Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Staatschefs der G7 sowie die beiden höchsten EU-Repräsentanten, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel, nach Schloss Elmau eingeladen. Hier geht es um die großen Themen der Zeit: Um Klima, Ernährung, Demokratie.

Scholz versucht den Befreiungsschlag

Überlagert ist die Agenda allerdings vom Krieg in der Ukraine. Denn mit seinem Angriff auf das Nachbarland hat die Großmacht Russland die bisherigen Säulen der Weltordnung weggehauen. Völkerrecht? Ist Putin egal. Die Suche nach der neuen Weltordnung hat seitdem begonnen. In Elmau und auch beim darauffolgenden Nato-Gipfel in Madrid sollen neue Allianzen geschmiedet und alte erneuert werden. Und Deutschland kann sich dabei nicht – wie es Scholz so gern formuliert – im Geleitzug bewegen, sondern muss als G7-Präsidentin vorangehen.

Die künftige Ordnung werde eine Konfliktordnung sein, prognostiziert die Politikwissenschaftlerin Claudia Major, die die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik leitet. „Das erfordert einen Mentalitätswechsel: Raus aus der geoökonomischen Kuschelecke rein in die geostrategische Umgebung.“ Im Klartext: Neben dem BIP entscheidet die Größe der Waffenarsenale künftig stärker darüber, wer weltweit mitreden kann. Hier haben Deutschland und die EU den größten Nachholbedarf. Von einer, wie es im Militärsprech heißt, „strategischen Autonomie“ sei die EU weit entfernt, so Lambrecht. Oder plastischer: „Weder in Moskau, noch in Teheran oder Peking schaut man auf die EU und verändert deshalb seine Streitkräfteplanung“, ist die Verteidigungsministerin überzeugt.

Bundeskanzler Scholz versuchte bereits den nationalen Befreiungsschlag. Mit der Entscheidung, in den nächsten Jahren 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu pumpen, wird Deutschland die größte konventionelle Armee Europas stellen. Sollte es gelingen, mit diesem Geld die deutsche Verteidigungsfähigkeit neu aufzustellen, „schaffen wir es auch in Europa“, ist Major optimistisch. Die deutsche Zeitenwende sei die Voraussetzung für die europäische Zeitenwende.

Keiner trägt die Sanktionen gegen Russland

Eine Neuauflage der militärischen Blockbildung wie zu Zeiten des Kalten Krieges will man im Kanzleramt jedoch unbedingt vermeiden. Der Westen versus Russland, China und die Schwellenländer, das sei nicht im deutschen Interesse, so Regierungskreise. Entsprechend hat Deutschland auch die bevölkerungsreichen Demokratien Afrikas, Asiens und Lateinamerikas nach Elmau eingeladen: Indien, Indonesien, Senegal, Südafrika und Argentinien.

Keiner der Gäste trägt die Sanktionen gegen Russland mit. Das ist euer Konflikt, so die Haltung im globalen Süden. Hat der Westen die Solidarität, die er jetzt einfordert, etwa bewiesen, als russische Kampfjets Aleppo bombardierten? Die Auswirkungen des Krieges müssen die Länder des Südens dennoch doppelt und dreifach bezahlen in Form von ausbleibenden Getreideimporten und rasant steigenden Preisen. Auch Russland buhlt um diese Schwellenländer, mit Waffen und billiger Energie. Und mit Propaganda.

Die Erzählung, der Westen mit seinen Sanktionen ist daran schuld, dass ihr leiden müsst, verfängt. Dabei gibt es gar keine Sanktionen auf Nahrungsmittel. Die Herausforderung der G7 wird es nicht nur sein, die heraufziehende und in einigen Ländern jetzt schon reale Hungerkrise zu meistern. Sondern den globalen Süden stärker zu beteiligen, und zwar nicht erst, wenn man selbst Hilfe braucht. „Entwicklungpolitik“, so die zuständige deutsche Ministerin Svenja Schulze, ist vorrausschauende Geopolitik.

Bereit, Verantwortung zu übernehmen

Das gilt auch für das Thema Klima. Scholz hat einen Klimaclub vorschlagen, einen Club, in dem all jene Mitglied werden können, die sich verpflichten, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden. Auch Klimaaktivisten finden das eine gute Idee „Doch wenn das ein reiner G7-Club wird, ist er zum Scheitern verurteilt“, so Christoph Bals, Sprecher der Klima-Allianz Deutschlands. Die spannende Frage wird also sein, ob es Scholz gelingt, weitere Mitglieder zu werben.

Man sei bereit Verantwortung zu übernehmen, hatte Scholz diese Woche im Bundestag gesagt. Ob das gelingt, hängt aber auch davon ab, wie mutig Deutschland seine Führungsrolle ausfüllt. In der EU galt bisher: Frankreich liefert die Ideen, Deutschland die Bedenken. Deutsche Europapolitik sei viel zu zurückhaltend und zu wenig risikobereit, meint Schwarzer. Diese Haltung müsse Deutschland aufgeben. „Wir sind in einer Zeit, in der wir neue Antworten finden müssen. Dazu muss Deutschland beitragen, und das erfordert den Mut auch mal eine Vision über das unmittelbar Machbare hinaus zu formulieren“, so die Politikwissenschaftlerin.

Klar ist: Gegen Deutschland geht auch derzeit schon wenig. Mit Deutschland muss mehr gehen.

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