Friedensnobelpreise 2022: Eine Ehrung als Kommentar zur Zeit

Dass Ales Bjaljazki, Memorial und das Civil Liberties Comittee ausgezeichnet werden, ist richtig, wird aber leider folgenlos bleiben.

Das gelbe Logo der russischen Gruppe «Memorial» (M) und Fotos der Friedenspreisträger stehen in einem dunklen Raum der von kleinen farbigen Lichtern auf dem Boden beleuchtet wird

Das Logo von Memorial und Bilder der Friedenspreisträger der vergangenen Jahre sind im Nobelgarten zu sehen Foto: Rodrigo Freitas/dpa

Der Friedensnobelpreis 2022 zeichnet einen Dreiklang aus: Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft in Russland, Belarus und der Ukraine werden geehrt. „Wenn die Zivilgesellschaft Autokratie und Diktatur weichen muss, dann ist Frieden oft das nächste Opfer“, heißt es in der Begründung. Dass das keine steile These ist, sondern eine schlichte Wirklichkeitsbeschreibung, zeigt der seit Februar andauernde Angriff Russlands auf die Ukraine – unter belarussischer Beteiligung.

Wäre Belarus so strukturiert, wie es dem Menschenrechtsverteidiger Ales Bjaljazki vorschwebt oder Russland so, wie es die inzwischen in Russland verbotene Organisation Memorial anstrebt, dann müsste das Civil Liberties Comittee in der Ukraine heute nicht Tausende von Kriegsverbrechen dokumentieren.

Insofern hat das Nobelkomittee eine gute Entscheidung getroffen. Der Nobelpreis 2022 ist ganz sicher kein Fauxpas wie die Auswahl der Europäischen Union 2012 oder Barack Obamas 2009 – von der skandalösen Vergabe an Henry Kissinger 1973 ganz zu schweigen.

Aber wie eigentlich immer nach der Bekanntgabe des Nobelpreises stellen sich Fragen. Da ist die grundsätzliche: Können fünf vom norwegischen Parlament bestimmte Kommitteemitglieder wirklich so etwas wie ein Weltgewissen des Friedens für sich beanspruchen? Aber auch: Steht die Aufmerksamkeit, die die Preisvergabe jedes Jahr erzeugt, wirklich in einem leidlich gesunden Verhältnis zum Frieden, der damit geschaffen wird?

In den 2000er Jahren stellte der damalige US-Präsident George W. Bush mit seinem „Krieg gegen den Terror“, dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf den Irak und seiner Abscheu vor multilateralen Institutionen die Grundlagen internationaler Friedensordnung in Frage. Das Nobelkomittee reagierte mit einer ganzen Reihe von Preisvergaben: Die Uno wurde 2001 ausgezeichnet, Jimmy Carter 2002, die Internationale Atomenergieorganisation 2005, Al Gore 2007 und als Höhepunkt dann eben auch noch Barack Obama 2009.

Das war politisch eindeutig – aber auch eindeutig politisch und insofern von denen leicht zurückzuweisen, die der Preis angriff. So wenig, wie die Vergabe 1975 an den Dissidenten Andrej Sacharow – einem späteren Mitbegründer von Memorial – die damaligen sowjetischen Machthaber zum Umdenken brachte, bewirkten die Anti-Bush-Preise eine Wende in Washington. Und weder Russlands Kriegsherr Wladimir Putin an seinem 70. Geburtstag noch der russische Diktatur Alexander Lukaschenko werden aufgrund des Preises in sich gehen und nunmehr reumütig einsehen, dass Krieg, Diktatur und Menchenrechtsverbrechen doch keine gute Idee sind.

Das aber kann nicht dem Nobelpreiskomittee angelastet werden. Es ist eine Marketingmeisterleistung der letzten gut 120 Jahre, dass der Preis überhaupt eine derartige Aufmerksamkeit genießt. Alfred Nobel hatte seinerzeit geschrieben, der Friedenspreis solle „an denjenigen [gehen], der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat“. Eine Ehrung also, kein Game Changer. Leider.

Bestes Beispiel: 2017 erhielt ICAN den Preis, die Internationale Organisation zur Abschaffung von Atomwaffen. Just am Tag vor der diesjährigen Bekanntgabe spricht der US-Präsident Joe Biden davon, die Welt sei seit der Kubakrise vor genau 60 Jahren nicht mehr so nah an einem nuklearen „Armageddon“ gewesen wie heute.

Keine Bindung an nichts

Genau wie im UN-Sicherheitsrat, der wirklich etwas entscheiden könnte, regelmäßig Handlungsunfähigkeit herrscht, sobald eine der fünf Vetomächte Nein sagt, binden auch die mit der Vergabe des Friedensnobelpreises implizierten Forderungen keine Macht der Welt an nichts.

Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die drei in diesem Jahr Geehrten ist nicht furchtbar überraschend, aber richtig. Es hätte nahezu absurd gewirkt, keine Ak­teu­r*in­nen aus den unmittelbar am Ukraine­krieg beteiligten Ländern auszuwählen. Nur zu Frieden führt das leider nicht.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

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