Die Wahrheit: Immer auf Sendung dank Antennen

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (157): Riechende und schmeckende Hummer können bis zu 100 Jahre alt werden.

Ein weißer Hummer.

Eine Seltenheit, natürlich aus Maine: weißer Hummer Foto: reuters

Leo Tolstoi schrieb 1897 in sein Tagebuch: „Die Krebse haben es gern, dass man sie lebend kocht. Das ist beileibe kein Scherz. Wie oft hört man das. Der Mensch hat die Eigenheit, Leiden, die er nicht sehen will, nicht zu sehen.“ Tolstoi aß gerne Hummer, so dass er wahrscheinlich an diese „Könige der Krustentiere“ dachte, die zur Zubereitung auch heute noch lebend in heißes Wasser geworfen werden. Der Deutschlandfunk berichtete 2018: „In Schweizer Restaurants ist das künftig verboten. Man muss sie vorher betäuben.“

Der NDR berichtete: „Der Hummer ist rund um Helgoland selten geworden. Früher bevölkerten rund 1,5 Millionen Hummer den felsigen Sockel der Hochseeinsel. Bis zu 100 Fischerfamilien lebten in den 30er Jahren vom Fang der Krustentiere – der einen Großteil der Bevölkerung Helgolands ernährte. Damals wurden jedes Jahr 80.000 Fänge gemeldet. Seit 1980 geraten nur noch 300 bis 500 marktreife Hummer jährlich in die Fangkörbe.“ Sie sind deswegen teuer geworden: Ein Kilo Hummer kostet über 100 Euro. Auf der „Prominenteninsel“ Sylt gibt es einen Imbissstand, an dem man ausschließlich Hummer und Sekt bekommt. Und im Reichentreff Bayreuth isst man gerne Bratwürste aus Hummerfleisch.

Es gibt Europäische und Amerikanische Hummer. Die Helgoländer Hummerforscher züchten die Tiere (etwa 1.000 Jährlich, es gibt dafür Hummerpatenschaften). Damit sich die Population dort wieder erholt, werden die Hummer am Felssockel der Insel ausgesetzt – verbunden mit einem Hummerfest. „Daran, wie viele später in den Reusen der Fischer landen, versucht man zu erkennen, wie gut deren Überlebenschancen waren“, schreibt die taz. Parallel dazu gibt es die Hummerzucht als Start-up. Auf modern agriculture.com findet man „Tipps für den Einstieg in die Hummerzucht für Anfänger“, vorneweg heißt es: „Die Hummerzucht ist nicht so einfach wie der Anbau anderer Fischarten.“

Hummer riechen und schmecken mit ihren Antennen. Sie können bis zu 100 Jahre alt werden. Ein Enzym verhindert ihr Altern, peta.de schreibt: „Da sie aber immer weiter wachsen und ihr Panzer nicht mitwächst, müssen sie sich regelmäßig häuten“ – was mit zunehmender Größe immer schwieriger wird. „Spätestens wenn ein Hummer aufhört, sich zu häuten, neigt sich sein Leben dem Ende zu, denn er ist in seinem Panzer gefangen, in dem sich Parasiten und Bakterien ansammeln.“

Panzerlos

Um sich fortzupflanzen, „treffen sich die Hummer in einer Höhle. Für die Paarung wirft das weibliche Tier seinen Panzer ab, der sonst die Geschlechtsorgane verdeckt. Der Hummermann beschützt die panzerlose Hummerfrau in dieser Zeit vor Angreifern.“

Das „Ökosystem“ rund um Helgoland geriet angeblich durch den „globalen Klimawandel durcheinander“, so dass die Tiere immer seltener wurden. Aber die Hummerforscher hoffen, dass mit ihrem „Aufstockungsprogramm“ wieder eine Population entsteht, die sich „ertragreich befischen“ lässt. An der Ostküste der USA würde man stattdessen die Hummerpopulationen liebend gern reduzieren. Aus demselben Grund – wegen der Klimaerwärmung nämlich – vermehren sich dort diese Edelkrebse wie blöd: Jedes Jahr werden nun 10.000 Tonnen mehr gefangen. Laut den Behörden in der „Hummerhauptstadt“ Maine wurden bis 1990 knapp 13.000 Tonnen jährlich gefangen, 2012 jedoch bereits mehr als 57.000 Tonnen.

Weil aber die Nachfrage nicht so schnell stieg wie das Angebot, fielen die Preise. Nach Angaben des Fischerverbandes müssten die Einkäufer vier Dollar pro Pfund Hummer bezahlen, damit die Fischer keine Verluste machen. Tatsächlich würden aber nur etwas mehr als zwei Dollar gezahlt. Die Hummerfischer sind über ihre zunehmend üppigeren „Ernten“ alles andere als froh, denn das Überangebot macht mehr Arbeit und kostet mehr Benzin, gleichzeitig verdienen sie aber immer weniger. Jüngst kam es bereits zu einem heftigen Streit zwischen kanadischen und amerikanischen Hummerfischern, weil diese ihre Tiere in Kanada zu Dumpingpreisen verkauften. Nun setzen sie ihre Hummer in China ab, wo die neue Mittelschicht ganz wild auf den Edelkrebs ist. Die Hummer waren in den USA schon einmal so billig, dass man sie als Armenspeise und Gefängniskost verwendete.

Am Beispiel DFW

Dort geraten die Hummerfischer immer häufiger mit den Tierschutzorganisationen aneinander, die das Zubereiten der Großkrebse – wie auf dem „weltgrößten Hummerfest“ in Maine – als barbarisch bezeichnen: Die Tiere werden lebend in riesige Töpfe mit kochendem Wasser geworfen. Das rohe Massenvergnügen in der „Hummerhauptstadt“ wurde vom Schriftsteller David Foster Wallace kritisiert – und das ausgerechnet in einer amerikanischen Gourmet-Zeitschrift. Auf Deutsch erschien sein Essay 2009 mit dem Titel „Am Beispiel des Hummers“. Argumentationshilfe lieferten ihm US-Krebsforscher, die feststellten, dass Hummer „Nozizeptoren“ besitzen und demzufolge auch Schmerzen empfinden. Die deutschen Tierschützer fordern eine Gesetzesänderung: „Die derzeit gültige Verordnung über das Töten von Hummern stammt aus dem Jahr 1936, als über die Leidensfähigkeit der Krustentiere noch wenig bekannt war.“

Ich wollte gerne einen lebenden Hummer sehen und traf mich – leider zu spät – mit dem Bremerhavener Aquariumspfleger Werner Marwedel, der mit mir an den Becken entlang ging und zu fast jedem „Mitschwimmer“ eine Geschichte erzählte. Am großen Becken mit einem kleinen Heringsschwarm sagte er: „Bis vor Kurzem hatten wir bei denen auch noch einen Hummer mit drin. In jungen Jahren häuten die sich sehr oft, später dann immer seltener. Das ist für die nicht ohne Risiko, die sind dann nämlich, weil der neue Panzer sehr weich noch ist, der Gefahr ausgesetzt, von Fischen und anderen gefressen zu werden. So ist der hier auch gestorben: Die Heringe haben ihn angeknabbert. In der Natur verstecken die Hummer sich zwischen Steinen, hier im Aquarium ging das aber nicht. Und so ein Hummer ist für die Fische eine Delikatesse. Manchmal kommt es auch vor, dass ein Fühler oder eine Schere beim Häuten im alten Panzer steckenbleibt und dann laufen die halb amputiert herum. Sie sind aber in der Lage, sie bei der nächsten Häutung wieder neu auszubilden. Wenn es sich um eine Schere handelt, ist die regenerierte manchmal allerdings etwas kleiner – vorübergehend. Aber das grenzt auch so schon an ein Wunder, wenn man sich vorstellt, dass der unter seinem Panzer, wenn ihm eine Schere fehlt, einfach eine neue aus­bildet.“

Das Merton Magazin berichtet von Analysen des Hummerpanzers im Max-Planck-Institut für Eisenforschung: „Er besteht aus einer Schicht aus parallel angeordneten Fibrillen – das sind fünf bis sieben Nanometer dicke Fädchen aus Chitin. Darunter folgt eine weitere, im Winkel etwas versetzte Schicht. Dann noch eine und noch eine – das Schalenmaterial wird bei diesem Vorgang an seine Funktion im jeweiligen Bereich des Körpers angepasst. An den Scheren ist es hart, um die Gelenke herum weich, an den Augen transparent.“ Das sei „perfekt“.

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