Kriegsflüchtlinge in Berlin: Viel Engagement,viel Frust

Die Zivilgesellschaft leistet viel für Ukrainer*innen. Doch oft arbeiten Bürokratie und Politik gegen sie, klagen Flüchtlingshelfer*innen.

Blick durch ein Busfenster auf den Tower vom Ex-Flughafen Tegel

Früher „Tor zur Welt“, heute Notunterkunft für tausende Ukrainer*innen: der Ex-Flughafen Tegel Foto: Stefanie Loos

BERLIN taz | In diesem ersten Jahr des Ukraine­kriegs, der bislang gut 60.000 Menschen nach Berlin vertrieb, hat sich die Berliner Politik immer wieder auf die Schulter geklopft. Wie schnell und „professionell“ habe man reagiert, als Tausende an den Bahnhöfen ankamen! Wie toll habe man in Tegel binnen kürzester Zeit ein Ankunftszentrum aufgebaut, von dem aus Flüchtlinge bundesweit verteilt werden konnten! Wie hilfsbereit seien die Ber­li­ne­r*in­nen – und wie großartig unterstütze sie die Politik! Wie hart arbeite das Landesamt für Geflüchtete (LAF), um ganz schnell viele neue Unterkünfte zu beschaffen! Und wie stolz sei man, keine Turnhallen requirieren zu müssen – obwohl noch mehr Menschen gekommen seien als 2015/16 beim Syrienkrieg!

Hat Berlin in dieser Krise also alles richtig gemacht? Läuft alles rund bei der Unterbringung der Geflüchteten?

Wer sich anschaut, was gerade im Ankunftszentrum Tegel passiert, muss daran zweifeln. Doch die Öffentlichkeit bekommt von den Zuständen dort so gut wie nichts mit, womöglich ist das auch so beabsichtigt. Das Flughafengelände ist weiträumig abgesperrt, Security kontrolliert den Zugang – nur mit Termin und Begleitung sind Besuche möglich.

Der Flüchtlingsrat kritisiert das scharf: Eine unabhängige Beratung sei so nicht möglich, sagt Georg Classen, Beschwerden von Bewohner*innen, etwa über mangelnde Hygiene und unzureichende Sozialberatung, könnten nicht überprüft werden. Regina Kneiding, die Sprecherin des Deutschen Roten Kreuzes, das Tegel betreibt, erwidert, in so einer großen Unterkunft müsse man „schon aus Sicherheit für die Bewohner“ den Zugang kontrollieren. Flüchtlingsrat und andere Initiativen könnten aber „geführte Rundgänge“ machen.

„Jegliche Privatsphäre fehlt“

Auch Günther Schulze vom Willkommensbündnis für geflüchtete Menschen in Steglitz-Zehlendorf kritisiert die Abgelegenheit von Tegel. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die den Geflüchteten gerne helfen würden, kämen schon aufgrund der Lage gar nicht nach Tegel. „Bei den Turnhallen sahen die Leute das Elend in ihrer Nachbarschaft und haben sich gekümmert. In Tegel sind die Menschen aus den Augen, aus dem Sinn.“

Dass der Senat dennoch an dem Standort festhält, findet der Flüchtlingsrat falsch. „Trotz der völlig isolierten Lage, des Fehlens jeglicher Privatsphäre und weiterer schwerer Defizite wird diese menschenunwürdige Notunterkunft immer weiter ausgebaut“, sagt Classen. Er fordert, der Senat müsse einen Plan zur umgehenden Schließung des Ankunftszentrums vorlegen.

Georg Classen, Berliner Flüchtlingsrat

„Der Senat muss mit oberster Priorität den Zugang zu Privatwohnungen unterstützen“

Aber Tegel dichtmachen? Wie soll das gehen? Hören wir nicht täglich in den Nachrichten, dass es in Berlin und anderswo keinen Platz und erst recht keine Wohnungen gibt? Weder für Geflüchtete noch für Deutsche mit geringem Einkommen?

Schon, sagt Günther Schulze, aber das müsse nicht sein: „Wir bräuchten ein mittel- bis langfristiges Konzept für die gesamte Unterbringungssituation – von Geflüchteten, armen Menschen, Studierenden für die nächsten 20 Jahre.“

Die meisten Flüchtlinge kommen privat unter

Bei einer anderen Politik, davon ist Classen überzeugt, wären Massennotunterkünfte wie Tegel nicht nötig. „Der Senat muss endlich mit oberster Priorität den Zugang zu privaten Wohnungen unterstützen“, sagt er – „durch mehr spezifische Beratungsangebote, Sofortprüfung von Mietangeboten durch Sozialbehörden, mehr Unterstützung für private Wohnungsgeber.“ Das müsse für Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende gleichermaßen gelten.

Tatsächlich wohnt der überwiegende Teil der Ukrainekriegsflüchtlinge ohnehin in privaten Unterkünften: Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die vorige Woche vorgestellt wurde, leben bundesweit 74 Prozent in einer privaten Wohnung oder einem Haus, darunter 26 Prozent bei Familie, Freunden und Bekannten, 15 Prozent bei einer „anderen Person“.

Auch in Berlin wohnen von 60.000 Ukrai­ne­r*in­nen nur 4.200 in Unterkünften des LAF. Von Beginn des Krieges an war die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung immens: Tausende haben über Initiativen wie #UnterkunftUkraine, die Gruppe Berlin Arrival Support (BAS), die seit Kriegsbeginn auch an den Bahnhöfen das Ankommen organisierte, sowie über bereits bestehende Vereine wie „Moabit hilft“ und „Schöneberg hilft“ Zimmer und Wohnungen angeboten.

Doch dieses Engagement der Zivilgesellschaft, so die Kritik, werde bis heute erschwert. So habe es in den ersten Kriegsmonaten viele Initiativen, unter anderem von Kirchengemeinden, gegeben, die kleinere Geflüchtetenunterkünfte anbieten wollten – fast alle seien jedoch vom LAF abgelehnt worden, weil das Amt auf große Massenunterkünfte setze, sagt Anne-Marie Braun von „Schöneberg hilft“.

Vom Senat alleingelassen

Auch sonst gebe es viel zu wenig Unterstützung für private Gast­ge­be­r*in­nen, klagt sie. „Warum gibt es in Berlin, anders als in anderen Kommunen, zum Beispiel keine Energiekostenpauschale für Gastgeber*innen?“ Die Angst, auf hohen Energiekosten sitzen zu bleiben, habe viele Menschen abgeschreckt, Ukrai­ne­r*in­nen bei sich aufzunehmen. Diana Henniges von „Moabit teilt diese Kritik und fragt: „„Warum gibt es keine Unkostenpauschale für Hosts, die keinen offiziellen Untermietvertrag abschließen können oder wollen?“

Auch Maria und Lu von housing.berlin, einer Gruppe innerhalb des Netzwerks BAS, erfahren in Gesprächen mit privaten Gast­ge­be­r*in­nen oft, dass diese sich vom Senat alleingelassen fühlen. Die Gruppe hat seit Kriegsbeginn tausende Ber­li­ne­r*in­nen mit Ukrai­ne­r*in­nen zusammengebracht. „Es ist auch deswegen sehr schwierig geworden, neue Gast­ge­be­r*in­nen zu finden“, sagt Maria. housing.berlin überlege daher gerade, sich neu auszurichten, beispielsweise in Richtung eines Forums, in dem private Gast­ge­be­r*in­nen ihre Geschichten erzählen und Erfahrungen weitergeben können. „Es fehlt ein Resonanzraum für die Zivilgesellschaft, die bislang eben nicht gehört wird.“

Ein weiterer Kritikpunkt, den vor allem Henniges und Braun betonen, ist, dass es nach wie vor kein vom Land organisiertes Beratungsangebot gebe, wo man sich über seine Rechte als Flüchtling und als Gast­ge­be­r*in informieren kann. Denn oft, so berichten sie übereinstimmend, würden sich Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Sozialbehörden mit der Rechtslage nicht auskennen und gäben etwa falsche Auskünfte (etwa dass man auch bei offizieller Untervermietung keine Miete vom Jobcenter bekomme).

Ständig gingen Dokumente verloren, die man mühsam wieder besorgen (und so lange auf sein Geld warten) müsse, oft würden völlig unnötige Nachweise gefordert – „etwa Kontoauszüge oder Rentenbescheide aus der Ukraine“, so Henniges. Auch Braun hat ein schönes Beispiel für Bürokratie-Irrsinn: „Für einen Antrag auf Kindergeld wurde die Unterschrift des Vaters verlangt – obwohl der in der Ukraine an der Front ist!“

„Rechtskreiswechsel“ heißt Rennerei

Einhellig kritisieren Flüchtlingshelfer auch den Zuständigkeitswirrwarr bei Berliner Behörden: Erst sind die bezirklichen Sozialämter für die Flüchtlinge zuständig, nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Jobcenter. Weil es keine elektronischen Akten gibt, bedeutet dieser „Rechtskreiswechsel“ für Geflüchtete und ihre Gast­ge­be­r*in­nen meist viel Rennerei, wochenlang kein Geld und keine Entscheidungen, etwa über Mietkostenübernahmen. Auch Umzüge über Bezirksgrenzen hinweg würden erschwert. „Verwaltungstechnisch liegt wirklich viel im Argen in Berlin“, fasst Henniges zusammen. „Wenn das besser wäre, wären Tegel und die Heime zumindest viel leerer.“

Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) weist die Kritik weitgehend zurück. „Oberstes Ziel war und ist es, die Obdachlosigkeit von Geflüchteten zu verhindern“, sagt sie – dies sei durch Zusammenarbeit aller Verwaltungen, der Bezirke „und dank des großartigen Engagements der Zivilgesellschaft erreicht“ worden. Die Verwaltung habe aus 2015/16 „die richtigen Lehren gezogen, schnell gehandelt und mit ehrenamtlichen Hel­fe­r*in­nen und Geflüchtetenorganisationen kooperiert“.

Versäumnisse in puncto Hilfen für Gast­ge­be­r*in­nen sieht Kipping nicht: Es gebe ja das Willkommenszentrum, wo man sich beraten lassen könne. Auch Erleichterungen bei der Wohnungssuche – etwa indem auch Geflüchtete bei entsprechenden Einkommensvoraussetzungen einen WBS bekommen, wie es der Flüchtlingsrat seit Jahren fordert – würden angesichts des angespannten Wohnungsmarkts „das Unterbringungsproblem nicht lösen“.

Eine weitere Hürde für Geflüchtete auf dem Weg zur eigenen Wohnung würde auch Kipping gern aus dem Weg räumen, für die ist aber Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zuständig: die sogenannte Wohnsitzauflage. Sie bestimmt, dass sowohl Asyl­be­wer­be­r*in­nen als auch ukrainische Kriegsflüchtlinge in dem Landkreis wohnen müssen, wo sie zuerst registriert wurden. Wer einmal in Berlin gemeldet ist, darf nicht nach Bernau oder Falkensee ziehen – auch wenn er dort günstig mieten könnte.

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