Stück „The Mushroom Queen“ in Hamburg: Im Reich der Pilze

Der Klimawandel zerstört die Idee, dass sich der Mensch die Erde Untertan machen könnte. Was kommt stattdessen? Das Schauspielhaus gibt eine Antwort.

Die Schauspielerin Ute Hannig blickt entrückt durch eine Scheibe.

Hat ihr Menschenleben mit dem eines Pilzes getauscht: Ute Hannig als „Mushroom Queen“ Foto: Hendrik Lietmann

Das Schauspielhaus in Hamburg ist das größte Sprechtheater Deutschlands, aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen die theatralen Mittel. Im Fall des Stückes „The Mushroom Queen“ heißt das: Es gibt auf der Bühne keine gesprochene Sprache mehr. In 90 Minuten fallen zwei Sätze, mehr nicht. Alles andere, was als Text zur Erläuterung nötig ist, wird auf eine Leinwand über die Bühne projiziert.

Was es auch nicht mehr gibt in diesem Stück von Liz Ziemska, ist Psychologie. Zwar geht es darin um eine Trennung am Ende einer Ehe, aber wer da wen warum verlässt, ist nicht wichtig. Einfach deshalb, weil in „The Mushroom Queen“ nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern die Natur.

Auf der Bühne sehen wir vier Schauspieler*innen, sie liegen schlafend auf einem runden Bett: Ute Hannig und Markus John spielen das Ehepaar, Sachiko Hara und Maximilian Scheidt spielen Hunde. Die Frau erhebt sich und verabschiedet sich durch die Terrassentür in die unterirdische Welt der Pilze. Nachdem sie weg ist, betritt die Mushroom Queen den Raum: Als Doppelgängerin nimmt sie den Platz der Frau ein, ist aber ein Pilz. Dem Gatten fällt das nicht weiter auf, nur einer der Hunde merkt, dass mit Frauchen was nicht stimmt.

So schräg die Geschichte ist, so unkonventionell ist die thea­trale Umsetzung: Die Schau­spie­le­r*in­nen bewegen sich ausschließlich in Zeitlupe, kommunizieren in aller Langsamkeit mit Gebärden und Minenspiel. Zu hören gibt es eine durchgängige Tonspur aus sphärischen Sounds; und das Krächzen, Fauchen und Sabbern der Mushroom Queen, aus deren Perspektive das Stück erzählt wird. Im Bühnenhintergrund hängt eine Leinwand mit sphärischen Visuals und verstärkt den Eindruck einer entrückten, lichtarmen Welt.

„The Mushroom Queen“. Nächste Vorstellungen: 23. + 25. 3.; 10., 14. + 15. 4., Hamburg, Deutsches Schauspielhaus/Malersaal

Regisseurin Marie Schleef möchte darstellen, wie ein Pilz einen Mann und seine zwei Hunde erlebt. Das ist auf eine anregende Art irritierend, manchmal lustig, auch mal langatmig. Vor allem aber ist es ein sehenswerter Beitrag zur sehr aktuellen Frage, wie das Theater die grundlegenden Fragen verarbeitet, welche sich durch Klimawandel und das Anthropozän stellen, das Zeitalter also, in dem der Mensch zum wesentlichen Einflussfaktor auf biologische, geologische und atmosphärische Prozesse geworden ist.

Sehr lange war ja die Idee, der Mensch möge sich die Erde Untertan machen. Dieses Konzept ist am Ende, sofern der Mensch vorhat, halbwegs kommod weiter zu leben auf dem Planeten. Zuletzt beschäftigte sich am Schauspielhaus Katie Mitchell mit dieser Frage: In ihrer Inszenierung des „Kirschgartens“ stellte sie dessen Niedergang in den Mittelpunkt, nicht mehr Tschechows ausdefinierte Figuren.

Auch in „The Mushroom Queen“ ist der Mensch weder die Hauptsache noch die treibende Kraft. Er ist nur noch ein Lebewesen, das sich mit der Natur ins Benehmen zu setzen hat, weil es von der Natur abhängt und nicht andersherum. Deshalb sollte er verstehen, wie die Natur funktioniert, um Teil des Ganzen zu werden.

Im Fall der Mushroom Queen ist die funktionale Idee die des Netzwerkes: ein weit verzweigtes Miteinander, in dem alle verbunden sind und korrespondierend leben. Auch auf der Grundlage des Recyclings, für das die Mushroom Queen selbstredend Expertin ist.

Das Leben im Pilzzeitalter ist dann kein Drama mehr. Auf der Bühne des Malersaals ist es vielmehr eine Performance, die auch einiges vom Tanz hat: Das sphärische Gluckern bekommt zum Ende hin einen Beat hinzugefügt, die Bewegungen in Zeitlupe entwickeln eine Poesie jenseits des reinen Fortkommens. Am Ende gehen dann alle ein ins Reich der Pilze und kommen so wieder zusammen mit der Frau, die dort verblieben ist. Es ist ein tröstliches Ende – zumindest aus der Perspektive eines Pilzes.

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