Der Fall Till Lindemann: Jenseits des Juristischen

Ob die Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann zu einer Verurteilung führen oder nicht: Gesellschaftlich muss es Konsequenzen geben.

Rammstein Sänger mit Mikrofon

Verurteilungen sind selten. Das liegt unter anderem an schlechter Beweislage und fehlenden Zeug_innen Foto: Malte Krudewig/dpa

Nun also doch. Wochen nach den ersten Vorwürfen des Machtmissbrauchs gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft. Bei den Vorwürfen geht es um Abgabe von Betäubungsmitteln und Sexualdelikte; im Falle einer Verurteilung könnte Lindemann eine Freiheitsstrafe erhalten.

Dass es erste Ermittlungen gibt, ist für die Betroffenen eine Erleichterung. Viele sehen darin einen ersten Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Doch es wäre falsch, sich als Gesellschaft auf dem juristischen Vorgehen auszuruhen und sich so aus der Verantwortung zu ziehen.

Verurteilungen nach #MeToo-Vorwürfen sind selten: Harvey Weinstein bildet die Ausnahme, nicht die Regel. Das liegt meist nicht daran, dass die Unschuld der Angeklagten zweifelsfrei festgestellt werden kann, sondern an einer schlechten Beweislage, fehlenden Zeug_innen oder Kläger_innen, die versterben oder ihre Aussage zurückziehen.

Auch im Fall Lindemann ist eine Verurteilung unwahrscheinlich. Für die mutmaßlich Betroffenen wie für den mutmaßlichen Täter gilt die Unschuldsvermutung. Lindemann bestreitet jede Art von strafrechtlichem Vorwurf. Es steht also Aussage gegen Aussage, die Beweislage ist vermutlich dünn, der Einsatz von K.-o.-Tropfen ist nur für wenige Stunden im Blut nachweisbar.

Als Gesellschaft einen Umgang finden

Konsequenzen muss es trotz allem geben. Das soll weder die Ermittlungen kleinreden noch die Unschuldsvermutung außer Kraft setzen. Doch selbst bei fehlender Verurteilung müssen wir als Gesellschaft ja einen Umgang mit mutmaßlichen Täter_innen und Opfern finden. Ein Zurück in den vorigen Stand ist nicht möglich.

Seit Bekanntwerden der schwerwiegenden Vorwürfe ist immer wieder von einem „offenen Geheimnis“ die Rede. Ganz schön viele Menschen scheinen eine ganze Menge gewusst zu haben. Doch es hat sie nicht interessiert, sie haben es mitgetragen oder zumindest bewusst nicht hingeguckt. Eine ganze Kultur des Wegschauens auf Kosten der Frauen.

Mittlerweile hat der KiWi-Verlag die Zusammenarbeit mit Lindemann beendet, Rossmann hat den Verkauf des Lindemann-Parfüms eingestellt, das Veranstaltungsunternehmen Riggingwerk möchte künftig nicht mehr mit Rammstein arbeiten, und ihr Label Universal setzt bis auf Weiteres die Marketing- und Promoaktionen aus. Erste Konsequenzen gibt es also auch ohne Verurteilung bereits. Richtig so!

Denn uns sollte es nicht nur darum gehen, was juristisch erlaubt ist, sondern auch, was moralisch vertretbar ist. Um das zu entscheiden, braucht es einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess. Dem täte es gut, wenn alle, die lange weggeguckt haben, endlich Verantwortung übernähmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.