Kanzler bei Philosophiefest phil.cologne: Alle müssen gehört werden

Bundeskanzler Olaf Scholz gelingt es bei der phil.cologne, über inhaltliche Minenfelder hinwegzuhüpfen. Mühelos gibt er den Mann des Volkes.

Olaf SCholz vor lavendelfarbenem Hintergrund

Sein Hemd ist lockerer geknüpft, seine Körperhaltung entspannter: Olaf Scholz auf der Phil.Cologne Foto: Christoph Hardt/imago

Wussten Sie, dass Köln nicht nur grauer Beton ist, sondern auch Jane Austen? Dass man etwa unweit des Stadtzentrums einen pompösen, sattgrünen Märchengarten mit Palästchen namens „Flora“ finden kann? In dieser Tüll-und-Hofknicks-Atmosphäre präsentierte die phil.cologne ein Gespräch zwischen Olaf Scholz und dem Sozialphilosophen und Habermas-Schüler Axel Honneth, moderiert von Svenja Flaßpöhler. Man unterhielt sich dort am Montag jedoch selbstverständlich nicht über den Auftakt der nächsten Ballsaison, sondern über Arbeit.

Auf die Frage, warum man sich hitzeverklebt und jetzt schon sommermüde bei 33 Grad durch den Stadtverkehr quält, antwortet die Schülergruppe genauso wie das junge Paar und die Frauengruppe kurz vor Renteneintritt: Einmal den Kanzler sehen, „den Olaf“, endlich wissen, ob er eigentlich doch ganz lustig ist, ob die Fernsehkamera nicht immer eine Menge Ausstrahlung verschluckt, vielleicht, hoffentlich, ganz bestimmt. Und als hinter mir noch einige Jusos leise davon schwärmen, wie viel einfacher man bei der CDU Karrierepolitiker werden könnte, betritt dieser, unser Kanzler die Bühne – und man könnte meinen, er hätte vorher dieselbe Feldforschung im Publikum durchgeführt.

Scholz ist ein Wohlfühlkanzler an diesem Nachmittag. Sein Hemd ist lockerer geknüpft, seine Körperhaltung entspannter, sein Lachen häufiger als üblich. Er verweist auf seine Zeit als Anwalt für Arbeitsrecht, sein Kämpfen für die Interessen von Arbeitnehmer:innen, darauf, dass er froh sei, erst mit Anfang 60 Kanzler geworden zu sein – „die ganze Lebenserfahrung vorher hilft ungemein“. Hier in Köln ist er mühelos ein Mann des Volkes, so unangreifbar freundlich wie die Lavendel- und Vanilletöne im Hintergrund. Er weiß, wie viel eine Tageszeitung kostet, „und dass das eine Menge Geld für die meisten Leute ist“. Er habe „ganz viele ganz tolle Menschen“ außerhalb des intellektuellen Großstadtmilieus getroffen, „die genau wissen, was in der Welt los ist“.

Der Amazon-Lieferant, der Schlachter, der Maurer: Alle werden sie bedacht. „Die können das! Und deren Arbeit ist gleichwertig!“ Er grenzt sich ab von den „Kindern reicher Eltern, die Bücher in Paris schreiben“ und fordert den obligatorischen, am Laptop im Café arbeitenden Werbetexter, über den immer alle reden und den kaum jemand je sieht, auf, nicht zu vergessen, wer ihm da seinen Latte Macchiato bringt. Obwohl man im Milieu des Werbetexters eigentlich nur noch Flat White bestellt.

Kritische Fragen zur Agenda 2010 werden mit einem charmanten Verweis auf die Gegenwart gekonnt übergangen, tiefgehende Diskussionen über Begrifflichkeiten ebenfalls. Scholz gelingt es, gewinnend über inhaltliche Minenfelder hinwegzuhüpfen und zu seiner zentralen Botschaft zurückzukehren: Jede Arbeit ist relevant für unsere Gesellschaft, Menschen aller Berufe müssen gehört werden, „nicht nur die aus dem Milieu von uns dreien hier oben. Die Putzfrau ist genauso wichtig wie ein Philosophieprofessor und eine Journalistin“.

Seine Arbeitsmarktanalyse fällt höchst optimistisch aus: „Seit 20 Jahren wird prognostiziert, dass uns die Arbeit ausgeht. Das ist nie eingetreten und wird auch nie passieren.“

Das nachdrückliche Applaudieren des Publikums, das Heranzoomen der Handykameras an Scholz' Lächeln, das Nicken geben ihm Recht: Scholz ist genau der, den es an diesem Nachmittag braucht. Nicht noch eine pessimistische Einschätzung über eine volldigitalisierte, menschenentleerte Zukunft, nicht noch eine krisenbelastete Aufforderung zum Durchhalten. Einfach ein Kanzler, der das affirmiert, was so dringend gehört werden will: Alles wird gut und je­de:r bleibt wichtig.

Fragt man Be­su­che­r:in­nen beim Herausgehen, wie sie denn nun unseren Kanzler fanden, leuchten die Augen. „So nahbar und so klar. Überhaupt nicht abgehoben.“ Einfach märchenhaft.

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