Die Wahrheit: Streithähne mit scharfen Zähnen

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (173): Die ungestümen und wie kleine Füchse aussehenden Flughunde können sehr anhänglich werden.

Flying Fox in Australien im Anflug

Ein australischer Flying Fox überfliegt einen Bach und fächert sich zur Kühlung Wasser zu Foto: AP

Der Harvard-Philosoph Thomas Nagel fragte sich 1979 in einem Essay: „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ Er meinte, das werden wir nie wissen, da sie uns zu fremd sind. Schon allein deswegen, weil sie sich mittels Ultraschall orientieren. „Come on“, entgegneten ihm daraufhin Verhaltensforscher: „Es sind doch Säugetiere wie wir, sie haben Hunger, Durst und Angst, sie unterhalten sich, verpaaren sich, säugen ihre Jungen, richten Kinderstuben ein. Also gib dir ein bisschen Mühe!“ Sagten die einen, und die anderen: „Er ist eben ein Philosoph und hat keine Ahnung von Tieren.“

Im Angloamerikanischen sind mit dem Wort „Bats“ nicht nur Fledermäuse, sondern auch Flughunde, „Fruit Bats“, gemeint. Zusammen kommen die sogenannten Fledertiere in 900 Arten auf allen Kontinenten vor. Es sind die einzigen Säugetiere, die fliegen können.

Die Fledermäuse haben kleine Augen und große Ohren, sie jagen nachts – vorwiegend Fluginsekten, die sie mit einem radarähnlichen Echolotsystem orten, wobei sie die zurückgeworfenen Töne in Bilder umwandeln. Sie sehen also per Schall. Dass die Fledermäuse ihre Echos verbildlichen ist schwer vorstellbar, aber auch, dass Tiere, die sich sehend orientieren, in Bildern denken. Und dass wir, die wir in Worten denken, das lernen können, um uns besser mit ihnen zu verständigen.

Der berühmte russische Tierdresseur Anatoli Durow soll diese Fähigkeit besessen haben. Dem Neurologen Wladimir Bechterew führte er sie mit seinem Hund Pikki vor. Seine „Methode“ bestehe darin, erklärte er ihm, „die Aufgabe, die der Hund ausführen soll, zu visualisieren – also zum Beispiel ein Buch von einem Tisch zu holen und dann den Kopf des Hundes zwischen den Händen zu halten und ihm in die Augen zu sehen. ‚Ich präge in sein Gehirn ein, was ich mir zuvor in mein eigenes eingeprägt habe. Ich stelle ihm mental den Teil des Fußbodens vor, der zum Tisch führt, dann die Beine des Tisches, dann das Tischtuch und schließlich das Buch. Dann gebe ich ihm den Befehl oder vielmehr den mentalen Anstoß: Geh! Er reißt sich los, nähert sich dem Tisch und packt das Buch mit den Zähnen. Damit ist die Aufgabe ausgeführt.‘“

Bechterew schrieb dazu in der Zeitschrift für Psychologie (1924): „Es wäre wichtig, nicht nur die Bedingungen zu untersuchen, die die Übertragung des mentalen Einflusses vom Übermittler zum Empfänger regeln, sondern auch die Umstände, die bei der Hemmung wie der Ausführung derartiger [bildlich gedanklicher] Suggestionen von Belang sind.“

Angebot auf Bäumen

Zurück zu den Flughunden: Sie ernähren sich von Früchten, Nektar und Pollen – und sind damit neben den Wickelbären in Südamerika, wo es keine Flughunde gibt, die einzigen Säugetiere, die nicht parasitär leben. Ihre Nahrung wird ihnen von den Bäumen und anderen Pflanzen geradezu angeboten, weil sie ihre Blüten bestäuben und deren Samen verbreiten.

Den kleinsten Flughundearten und auch den kleinen Fledermausarten, die ebenfalls Blüten aufsuchen, sind einige Pflanzen inzwischen entgegengekommen, um sie „blütentreu“ zu machen. Sie blühen nachts und haben Blütenblätter ausgebildet, die den Schall der Fledermäuse besser als andere reflektieren, außerdem sind ihre Blütenstände robuster gebaut, sodass sie auch einer Landung der etwas ungestümeren Flughunde standhalten. Man kann hierbei von einer Symbiose sprechen.

Zwar gibt es ein paar Flughundearten, die auch das Echolotsystem beherrschen, vor allem solche, die sich in Höhlen aufhalten – in manchen bis zu einer Million Tiere. Aber an sich orientieren die Flughunde sich vor allem mit ihren großen Augen und ihrer feinen Nase. Die meisten Arten bilden auf Bäumen und in Höhlen Kolonien, es gibt jedoch auch solitär lebende.

In Australien zieht es die Flughunde inzwischen vermehrt in die Städte, wo sie auf den Park- und Straßenbäumen schlafen oder laute „Streitgespräche“ führen, wie israelische Forscher herausfanden, etwa weil einer einem anderen zu nahe gekommen ist. Nachts auf ihren Futterbäumen streiten sie sich ebenfalls. „Sie kommunizieren spezifische Probleme mit unterschiedlichen Lauten“, schreiben die Forscher. In den Städten wird ihr Lärm zum Problem, außerdem machen sie viel Dreck und übertragen Krankheiten.

Auf dem Land wurden sie lange Zeit verfolgt, weil sie über Obstplantagen herfielen – und das gleich zu Hunderten und Tausenden. In Australien sind sie heute jedoch geschützt. Es gibt zudem immer mehr Hospitäler für Flughunde, die abgestürzt oder an Drähten hängen geblieben sind, sowie für verwaiste Jungtiere.

Auswilderung mit Schwierigkeiten

Ihnen kommt zugute, dass sie sehr schön aussehen, nicht wie Hunde, sondern eher – in Australien heißen sie denn auch „Flying Foxes“. Und dass sie schnell ihre Angst verlieren und dann nicht mehr beißen. Ihre „Auswilderung“ ist schwieriger als die von Fledermäusen, weil sie so „anhänglich“ werden, wie der Fledertierforscher Martin Straube und Autor eines Buches über „Die geheimnisvolle Welt der Fledermäuse“ (2015) aus eigener Erfahrung weiß.

So wie es in Deutschland etliche Frauen gibt, die eine Voliere im Garten haben und in Not geratene Rabenvögel pflegen, sind es auch in Australien und Israel vorwiegend Frauen, die sich in ähnlicher Weise um Flughunde kümmern. Als ich in den sechziger Jahren im Bremer Zoo arbeitete, hatte ich mich unter anderem um zwölf indische Riesenflughunde zu kümmern. Obwohl ich eimerweise Obstsalat täglich für sie zubereiten musste, waren diese zänkischen Tiere mir die liebsten. Sie stürzten sich geradezu in ihr Futter und mussten sich anschließend stundenlang putzen. Besonders pflegten sie ihre großen Flughäute, die eine Spannweite von 1 Meter 60 erreichen. Es waren noch junge Tiere, aber ich traute mich trotzdem nicht, sie zu berühren, sie hatten scharfe Zähne.

Vor einiger Zeit bekam ich von der taz eine Patenschaft für einen Flughund im Berliner Tierpark geschenkt. Zurzeit schreibe ich ein Buch über Flughunde. Von der Patenschaft habe ich aber kaum was: Die dortigen Tiere hängen am Tag wie kleine Säcke in einem Baum der Alfred-Brehm-Halle und werden erst munter, wenn der Tierpark schließt.

In der Tropenhalle des Leipziger Zoos landete allerdings ein Flughund am helllichten Tag dicht neben mir, wo eine Schale mit Obststücken stand. Seine langen Zehen funktionieren anders als unsere: Er braucht keinen Willen, um sich an einem Ast damit festzukrallen, sondern nur, um sich wieder davon zu lösen.

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kari

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