Janine Wissler über Zukunft ihrer Partei: „Die Linke wird überleben“

Linken-Vorsitzende Janine Wissler möchte ihre Partei mehr für soziale Bewegungen öffnen – und AfD-Wähler:innen gewinnen. Wie stellt sie sich das vor?

Linken-Vorsitzende Janine Wissler lacht vor schwarzem Hintergrund in die Kamera

Das Auftreten der Linken war zuletzt nicht optimal, sagt Janine Wissler Foto: Stefan Boness/Ipon

taz: Frau Wissler, Sie haben am Montag verkündet, dass Carola Rackete und Gerhard Trabert für Die Linke in den Europawahlkampf ziehen. Die Seenotretterin und der Sozialmediziner sind parteilos. Warum haben sie die beiden vorgeschlagen?

Die 42-jährige ist zusammen mit Martin Schirdewan Parteivorsitzende der Linken. Von 2008 bis 2021 war sie Abgeordnete im Hessischen Landtag. Seit 2021 ist sie Mitglied im Deutschen Bundestag.

Janine Wissler: Wir wollen uns noch stärker öffnen gegenüber sozialen Bewegungen, Engagierten aus der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften. Mit Gerhard Trabert kandidiert der „Arzt der Armen“, der mit seinem Arztmobil Obdachlose versorgt und in Krisen- und Kriegsgebieten auf der ganzen Welt im Einsatz war. Carola Rackete will Klimagerechtigkeit und Klassenpolitik miteinander verbinden. Wenn die Zeiten rauer werden, müssen die fortschrittlichen Kräfte näher zusammenrücken. Es braucht einen neuen linken Pol der Hoffnung. Deshalb freuen wir uns sehr, dass die beiden für Die Linke zur Europawahl antreten wollen.

Ein positives Zeichen an die Bewegungslinke, eine Abfuhr an das Wagenknecht-Lager. Der Parteivorstand hat mittlerweile mit Sahra Wagenknecht offiziell gebrochen. Doch ihre Fans könnten mit Carola Racketes Position zu Flucht und Asyl ein Problem haben. Wieso sollten diese Leute trotzdem weiter Die Linke wählen?

Dieser Vorschlag ist eine Einladung und ein Angebot an alle, die sich eine andere, solidarische EU wünschen. In der Linken sind wir uns völlig einig, dass man nicht zulassen darf, dass immer mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken und Geflüchtete an den Außengrenzen inhaftiert werden. Der Vorschlag spiegelt die Vielfalt der Linken wider. Neben Rackete und Trabert kandidieren wollen auch Özlem Demirel, eine aktive Gewerkschafterin und Friedensaktivistin sowie der Parteivorsitzende Martin Schirdewan, der sich für Umverteilung und gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West einsetzt.

Umverteilung, das müsste vielen Leuten gefallen. Vor allem jetzt, wo die Preise steigen. Wieso profitiert Ihre Partei davon nicht?

Das hat mehrere Gründe. Das Auftreten der Linken war in den letzten Monaten nicht gerade optimal. Das müssen wir selbstkritisch feststellen und verändern. Viele Menschen hatten den Eindruck, wir sind mehr mit uns selbst beschäftigt als mit ihren realen Problemen.

Wann sind Sie denn mit der Selbstbeschäftigung fertig?

Mit dem Beschluss, den der Parteivorstand getroffen hat [gemeint ist der einstimmige Beschluss vom 10. Juni, mit dem Sahra Wagenknecht zur Rückgabe ihrer Mandate aufgefordert wird; d. Red.], haben wir eine klare Linie gezogen. Auf der Grundlage wollen wir wieder vorankommen und die Lähmung überwinden, die uns Mitglieder, aber auch Vertrauen von Bündnispartnern gekostet hat. Aber dass man das nicht in drei oder vier Wochen schafft, ist auch klar. Das braucht einen langen Atem.

Sie sagten, der fehlende Zuspruch für Die Linke habe mehrere Gründe. Was sind denn die anderen?

Ich denke, ein zentraler Punkt ist schon, dass die Leute uns im Moment nicht zutrauen, dass wir wirklich für Veränderung kämpfen.

Wie sieht die Strategie für die Restlinke jetzt eigentlich aus? Die AfD und Wagenknecht haben ja einen klaren Plan.

Also wir sind schon die deutliche Mehrheit und nicht der „Rest“ [lacht].

Vielleicht im Hinblick auf die Mitglieder. Aber in den Wahlvorhersagen dümpelt Die Linke bei 5 Prozent. Wie wollen Sie aus dieser Krise herauskommen und bei der Bundestagswahl 2025 über die 5-Prozent-Hürde klettern?

Dafür haben wir den „Plan 25“ gemacht, in dem wir festgehalten haben, was wir tun müssen, damit Die Linke in zwei Jahren gestärkt wieder in den Bundestag einzieht. Der erste Schritt ist, innerparteiliche Streitigkeiten zu klären und zu beenden. Der zweite ist, dass wir unser Profil schärfen wollen, insbesondere bei der sozialen Gerechtigkeit. Genau, es gibt eine große Unzufriedenheit mit der Ampel und gerade deshalb halte ich eine soziale Alternative zur Ampel für dringend notwendig. Gerade in den sozialen Fragen müssen wir Druck auf die Bundesregierung machen.

Und was ist mit dem Klima?

Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das Leben vieler Menschen und führt zu großen sozialen und gesellschaftlichen Zerwürfnissen. Im Globalen Süden aber auch hierzulande. Hungersnöte, Dürren, Hitzetote in den Städten, Überschwemmungen: Der Planet brennt und das Zeitfenster, den Klimawandel auf unter 2 Grad zu begrenzen, schließt sich. Eine Linke auf der Höhe der Zeit darf nicht die Hüterin der Öl- und Gasheizungen sein, sondern muss deutlich machen: Die Energiewende muss durchgesetzt werden. Und zwar jetzt und auf sozial gerechte Weise. Denn anders als es die rechte Opposition behauptet, geht die Ampel die Energiewende ja nicht zu schnell an, im Gegenteil: Sie tut das viel zu langsam und wälzt die Kosten auf die ab, die ohnehin wenig haben. Alle, die durchs Land fahren, sehen, dass jede Wiese verbrannt ist und überall Wassermangel herrscht, dass Wälder brennen.

Die Leute, die das stört, wählen ja oft immer noch die Grünen.

Das stimmt. Aber von den Grünen gibt es ja gerade auch Ablöseprozesse. Weil viele enttäuscht sind: wegen Lützerath, wegen der Klimapolitik, auch jetzt wegen der Asylpolitik. Die Grünen verlieren ja in den Umfragen.

Stimmt, aber das führt nicht dazu, dass die Linken dazugewinnen.

Daran arbeiten wir jetzt. Wir wollen unter anderem eine Mitgliederkampagne machen, ausgetretene Mitglieder zurückgewinnen und uns öffnen gegenüber sozialen Bewegungen. Wir haben eine gute Programmatik und tolle aktive Mitglieder. Wir brauchen jetzt so etwas wie einen Neustart für Die Linke.

Und was tut die Linke, um den aktuellen Höhenflug der AfD zu stoppen?

Wir zeigen klare Kante gegen rechts und gegen Rassismus. Es wird ja oft diskutiert, ob wir AfD-Wähler zurückgewinnen wollen oder nicht. Das ist die falsche Frage. Die Frage ist doch: Wie gewinnt man Wähler? Und man gewinnt sie doch nicht, indem man selbst rechte Narrative bedient oder rechte Forderungen übernimmt, so wie die Ampelregierung es gerade mit der Asylrechtsreform tut. Das stärkt die AfD bloß.

Was hilft dann?

Wir müssen deutlich machen: Nicht die Geflüchteten sind dafür verantwortlich, dass es zu wenig Wohnraum gibt, sondern ein Grund ist, dass alle 12 Minuten eine Sozialwohnung aus der Bindung fällt. Es sind nicht die Geflüchteten dafür verantwortlich, dass viele Menschen in Armut leben, sondern das ist Folge der Hartz-Reformen, von Niedriglöhnen und Rentenkürzungen. Nicht die Migration ist die Mutter aller Probleme, sondern die soziale Ungleichheit und die Klassengesellschaft.

In anderen europäischen Ländern konnten linke Parteien mehr Wirkung entfalten, zum Beispiel La France insoumise in Frankreich, Podemos in Spanien oder die KPÖ in Österreich. Was kann die deutsche Linkspartei sich da abgucken?

Wir hatten gerade einen spannenden Austausch mit der KPÖ. Eine Sache, die wir uns da abgucken können, ist: praktische Solidarität. Das wollen wir noch stärker machen, also zum Beispiel Sozialberatung und die finanzielle Unterstützung sozialer Projekte in der Nachbarschaft. Ein gutes Beispiel dafür fand ich, während Homeschooling in der Coronazeit zu sagen: „Ihr müsst etwas kopieren? Kommt doch einfach in unser Büro und macht das hier!“ Zum anderen können wir noch einiges darüber lernen, wie man sich gegenüber Kräften öffnen kann, die bisher nicht in der Partei sind, also lokale Initiativen oder soziale Bewegungen.

Das ist Carola Rackete auch wichtig. Sie will keine Einzelkämpferin sein. Was tut die Linke denn dafür, um innerhalb der Partei neues Personal aufzubauen, das bestenfalls genauso beliebt wird wie Sahra Wagenknecht?

Es ist klar, dass sich Politik auch immer über Personen überträgt. Allerdings sollten sich linke Abgeordnete nicht ständig an der eigenen Partei abarbeiten, sondern an den gesellschaftlichen Verhältnissen und am politischen Gegner, und die demokratisch beschlossenen Positionen der Partei vertreten.

Was sind die konkreten Maßnahmen, um Nachwuchs zu begeistern und zu fördern?

Ja, zum Beispiel Mitgliederseminare, politische Bildung, eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Aber natürlich ist klar, dass es eine Weile dauert, bis Menschen sich eine bundesweite Bekanntheit aufgebaut haben. Es stehen wichtige Landtagswahlen in Bayern und Hessen an, wo wir auch neue Gesichter bekannt machen wollen. Wir haben auch schon viele großartige Leute, die lokal verankert und bekannt sind, beispielsweise in Rostock, Köthen und im Vogtlandkreis, dort haben die Kandidierenden der Linken die Bürgermeisterwahl gewonnen. Auch in Konstanz, Mainz und Kassel haben wir sehr gut abgeschnitten.

Wie schätzen Sie denn die Überlebenschancen der Linken ohne Sahra Wagenknecht ein? Können Sie das in Prozent ausdrücken?

Die Linke wird überleben. Da bin ich mir sehr sicher. Aber unser Ziel ist ja nicht, einfach nur zu überleben, sondern erfolgreich zu sein, etwas zu bewegen und die Gesellschaft positiv zu verändern. Wir wollen der erstarkenden Rechten etwas entgegensetzen, linke Ideen voranbringen und die herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse infrage stellen.

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