Machtmissbrauch an Universitäten: Vorwürfe gegen Dozenten

An der Humboldt-Universität dürfen Stu­den­t*in­nen nur noch in Begleitung in die Sprechstunde eines Dozenten. Grund ist der Vorwurf sexualisierter Gewalt.

Ein Fahrradfahrer fährt am Unigebäude vorbei

Das Machtgefälle ist auch an Unis hoch – das begünstigt Machtmissbrauch Foto: E. Teister/Imago

BERLIN taz | Gegen einen Dozenten der Alten Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin (HU) werden Vorwürfe sexualisierter Gewalt erhoben. Im Raum steht auch, dass die Universität bereits seit 20 Jahren von seinem mutmaßlich übergriffigen Verhalten gewusst und kaum reagiert habe. Erst seit einigen Wochen steht auf der Webseite der Universität der Hinweis, dass Studentinnen an seiner Sprechstunde „ausschließlich nach Voranmeldung bei der stellvertretenden dezentralen Frauenbeauftragten der Philosophischen Fakultät“ teilnehmen sollen.

Diese „6-Augen-Regel“ lege fest, dass weiblich gelesene Stu­den­t*in­nen nur noch in Begleitung der Frauenbeauftragten mit dem Dozenten sprechen sollen, erklärt Maxi, die nur mit ihrem Vornamen in der Öffentlichkeit auftreten will. Sie ist Studentin und Teil von „Keine Uni für Täter“, ein Zusammenschluss von aktuellen und ehemaligen Student*innen, die ähnliche Erfahrungen mit dem Dozenten gemacht haben. Die Uni begründet die Regelung nicht. „Wir wissen aber, was der Grund ist“, sagt Maxi. Die Vorwürfe gegen den Dozenten seien ziemlich lange schon ein „offenes Geheimnis“.

Auf die Frage, was genau die Vorwürfe seien, antwortet Maxi zögerlich. Sie selbst zählt nicht zu den Betroffenen. Sie habe Bedenken, genauere Aussagen der Betroffenen, mit denen sie im Austausch ist, weiterzugeben. „Er weiß dann, wer es ist“, meint sie. Es handle sich um „Berührungen unterschiedlicher Art und Länge an verschiedenen Körperstellen“, sagt sie. Die Zahl der Betroffenen befinde sich im zweistelligen Bereich. Da er viele Grundlagenmodule unterrichte, sei es kaum möglich, „an ihm vorbeizukommen“.

In einer Stellungnahme des Re­fe­ren­t*in­nen­rats (RefRat) der HU heißt es, dass es die ersten „kritischen Anmerkungen seitens der Studierendenschaft“ bereits 1997 gab. 10 Jahre später sei der Dozent unfreiwillig als Studiendekan zurückgetreten. Grund dafür soll eine Abmahnung wegen sexueller Belästigung gewesen sein. Auf Twitter teilen Menschen Berichte von Vorlesungen, in denen der Dozent sich sexistisch verhalten habe. Teilweise liegen die Vorfälle schon Jahrzehnte zurück.

Zu wenig Unterstützung

Strukturen zur Unterstützung von Student*innen, die an der Universität sexualisierte Gewalt erleben, gebe es kaum, erklärt Benjamin Kley vom ­RefRat. Außer der Frauenbeauftragten gebe es keine weiteren Ansprechpersonen. In den bisherigen Gesprächen sei zu wenig passiert. Deshalb habe der ­RefRat zwei Beratungsangebote eingerichtet. Zusätzlich gebe es von der Fachschaft Geschichte ein Awareness Team. Kley fordert mehr Strukturen von der Uni zur Unterstützung von Betroffenen. Außerdem fordert der RefRat die Entlassung des Dozenten.

Die Fachschaft Geschichte äußert sich auf taz-Anfrage nicht zu den aktuellen Vorkommnissen. Auch die Frauenbeauftragte sagt, dass sie sich nicht äußern kann, da der Vorgang „personalrechtliche Relevanz“ habe. Die Pressestelle der Universität sagt, dass die Universität Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt verurteile.

Heike Pantelmann forscht an der Freien Universität (FU) zu sexualisierter Gewalt an Universitäten. Auf die Frage, ob die „6-Augen Regel“ eine ausreichende Maßnahme zum Schutz der Stu­den­t*in­nen sei, antwortet sie: „Auf keinen Fall. Das ist eine Notfallmaßnahme.“ Personen, die einmal übergriffig waren, würden mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit wieder übergriffig werden.

Die Vorkommnisse an der HU seien kein Einzelfall. „Übergriffe gibt es an allen Universitäten, überall“, so Pantelmann. Ein starkes Machtgefälle würde Übergriffe begünstigen. Zudem gebe es ein gesellschaftlich verbreitetes Bild, dass „intellektuelle Menschen“ nicht übergriffig würden. „Das ist natürlich total falsch und gefährlich.“

Dass der Umgang mit sexualisierter Gewalt in den Bereich der Frauenbeauftragten fällt, hält sie für falsch, denn es sei in den meisten Fällen ein Männerproblem. Zur aktuellen Lehrtätigkeit sagt sie: „Ich glaube, dass das ganz oft offene Geheimnisse sind.“ Die Aufarbeitung des Falles sei daher enorm wichtig. „Es muss darüber gesprochen werden, ganz viel. Denn im Moment ist es nicht mal sagbar.“

Vorwürfe gegen weiteren Dozenten

An der HU gibt es derzeit gegen einen weiteren Dozenten im Fachbereich Geschichte Vorwürfe sexualisierter Gewalt. Er soll im Global History Master tätig gewesen sein, der von der FU und der HU zusammen angeboten wird. Eine Mitarbeiterin des Friedrich-Meinecke-Instituts, das den Master mitorganisiert, sagt: „Ich glaube, es gibt ein größeres, strukturelles Problem an den Universitäten.“ Aus Angst vor Konsequenzen möchte sie anonym bleiben. Die aktuellen Vorfälle seien lediglich einzelne Beispiele.

Aufmerksam wurde das Institut auf die Vorwürfe durch einen Bericht einer Wissenschaftlerin über einen körperlichen, sexuellen Übergriff. Den Namen des Täters hat sie nicht genannt, doch schnell kam eine Vermutung auf, denn schon vorher seien Gerüchte und Geschichten zirkuliert, sagt die Mitarbeiterin. Alle institutionellen Verbindungen zum mutmaßlichen Täter seien nun vonseiten des Instituts gekappt.

„An Universitäten gibt es kein gutes, einheitliches System, mit solchen Vorwürfen umzugehen. Es bleibt an Einzelpersonen hängen“, sagt die Mitarbeiterin, das sei auch der Grund, warum mit den Vorwürfen von sexualisierter Gewalt in diesem Fall so anders umgegangen werde als in dem des Dozenten für Alte Geschichte.

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