Kontextualisierung des Bismarck-Denkmals: Eiserner Kanzler unantastbar

Der Wettbewerb für einen zeitgemäßen Umgang mit Hamburgs Riesen-Bismarck-Denkmal ist gescheitert. Der Senat hatte unerfüllbare Bedingungen gestellt.

Bismarcks Monumental-Statue hinter Stacheldrahlt

Gut gesichert: Nato-Draht bewahrt Bismarcks Nazikompatibilität vor Beeinträchtigungen Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg ist stets um höchste Plätze in allen denkbaren Rankings bemüht. Das klappt nicht immer. So spielen seine zwei Fußballvereine nur in der 2.Liga. In einem aber ist Hamburg unbestreitbar weltweit Nummer eins, und das seit 117 Jahren: Zwischen Millerntor und Landungsbrücken erhebt sich mit 34 Metern Höhe das weltgrößte Bismarck-Denkmal.

Initiiert und finanziert wurde es vor allem von den Hamburger Kolonialherren und -Profiteuren, die allen Grund für ihre Verehrung hatten: Bismarcktürme überall im deutschen Land, -straßen in allen Städten, -feiern und -Karten – das musste einfach überboten werden. Gewerkschaften und Sozialdemokratie protestierten damals noch, aber es nützte wenig.

Für die politische Rechte in all ihren Auswüchsen, die Antidemokraten in der Weimarer Republik und dann bald für die NSDAP wurde der Bismarck-Koloss zu einem Kultort mit prachtvollen Aufmärschen, einfach glanzvolle Zeiten.

Die Hamburger Politik hat versäumt, sich mit der Befreiung 1945 auch von ihrer Bismarck-Verehrung zu lösen. Die britische Militärverwaltung wollten den Klotz noch sprengen, beugte sich aber dem Einspruch der Fans. Der nächste Versuch kam immerhin aus der Stadt selbst, als man das Denkmal zugunsten der Internationalen Gartenbauausstellung 1963 beseitigen wollte.

Ausgestellt sind alle Wettbewerbs-Beiträge bis 14. 8. im Museum für Hamburgische Heschichte, Holstenwall 24

Kohl-Maske aufgesetzt

Erst gut drei Jahrzehnte später wurde Bismarck durch eine ebenso kluge wie witzige Aktion für einige Tage ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, wurde des Reichskanzlers Haupt mit einer Maske des Bundeskanzler Kohl-Kopfes aktualisiert. Die eher harmlose Platzierung eines Steinbocks auf dem Haupt des Reichsgründers 2015 wurde dagegen behördlich genehmigt und finanziert. Im Sockel des Reichskanzlers blieb es muffig, wozu bis heute vor allem völkische Runen beitragen.

Indes war der Riese über all die Jahre grau geworden und bekam nur durch einige Graffitis etwas Farbe. Wirklich keine Freude für die Freunde der Tradition. Das empfanden auch zwei in Finanzfragen gewiefte Hamburger Bundestagsabgeordnete (SPD und CDU) ganz ähnlich: Sie beschafften in einer Überraschungsaktion knapp zehn Millionen Euro für die Sanierung und Aufhübschung des Monuments. Auch wenn es in der rot-grünen Regierungskoalition Bauchschmerzen gab, wollte man auf so viel Geld nicht verzichten.

2020 wurde das Denkmal verhüllt und das große Kärchern begann. Doch 2020 war auch das Jahr der weltweiten Black-Lives-Matter-Bewegung mit ihren Aktivitäten gegen die Denkmäler von Kolonia­listen und Rassisten. In Hamburg gab es gleich mit dem Beginn der Renovierungsarbeiten zahlreiche Proteste mit der Forderung, die Sanierungsarbeiten zu stoppen und über eine notwendige Umgestaltung oder den Abriss eine gesellschaftliche Debatte zu führen.

Inhaltlich ging es dabei zuerst um die Rolle des Reichskanzlers Bismarck, der vor allem mit der Kongo-Konferenz 1884/85 die Grundlagen für die deutsche Kolonialpolitik mit brutalen und rassistischen Handlungen bis hin zum Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika schuf. Aber auch Bismarcks gegen die SPD gerichteten Anti-Sozialisten-Gesetze, seine antipolnisch-katholischen Aktivitäten, seine Verachtung demokratischer Bewegungen wurden debattiert.

Skurril ist die Begründung, der Wettbewerb habe „deutlich gemacht, dass die topographischen Gegebenheiten besonders schwierige Herausforderungen darstellen“

Dabei wurde schnell klar, dass das heroische Bismarck-Denkmal einer starken und seine Ausstrahlung störenden Umgestaltung bedarf. Das sah damals auch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) so und kündigte einen künstlerischen Prozess an. Ziel sei es, diesen parallel zu den Sanierungsmaßnahmen zu verfolgen und nicht nacheinander nach dem Muster: „Erst machen wir ihn ein bisschen hübsch und wenn er dann wieder steht, fangen wir an, darüber nachzudenken.“

Nun, nachgedacht hat man, und diskutiert und Vorträge angehört, am Ende aber hat der Kultursenator fast zwei Jahre bis zur Ausschreibung eines internationalen Wettbewerbs zur Umgestaltung des Denkmals verstreichen lassen. Diese Verzögerung reichte, um den grauen Koloss nicht nur aufzuhübschen, sondern wie einen Weißen Riesen strahlen zu lassen, stärker noch als bei seiner Einweihung.

Gleichzeitig wurden die Forderungen der Basis-Initiativen, an der Formulierung des Ausschreibungstextes beteiligt zu werden, kalt ignoriert. So konnte der Kultursenator ohne erkennbaren Widerspruch den Bismarck-Koloss selbst für unantastbar erklären, weil er unter Denkmalschutz steht. Viel beachtete Ideen, wie zum Beispiel die Figur schräg zu legen oder durch die Abnahme des Kopfes zu dekonstruieren – wie vom Autor vorgeschlagen –, waren damit vom Tisch.

Dabei gibt es in Hamburg etliche Beispiele dafür, dass der Denkmalschutz für schönere Gebäude als das Bismarck-Denkmal außer Kraft gesetzt wurde. Es bedarf dafür noch nicht einmal eines Parlamentsbeschlusses, sondern nur eines Federstrichs des jeweils amtierenden Kultursenators.

Plötzlich die Topographie entdeckt

Für den Wettbewerb wurden 76 Entwürfe eingereicht. Am Ende aber wurde keiner ausgewählt, weil, so die Jury, „durch eine einzelne künstlerische Intervention die Aufgabe in ihrer Komplexität und mit all ihren Facetten nicht erfüllt wurde“. Diese Begründung erinnert an Schulaufgaben, die so komplex formuliert sind, dass auch die beste Schülerin daran scheitern muss. Das hätte man vorher nicht wissen können?

Skurril ist zudem die Begründung, erst „der Wettbewerbsprozess“ habe „deutlich gemacht, dass auch die topographischen Gegebenheiten besonders schwierige Herausforderungen darstellen würden.“ Haben die ehrenwerten und klugen Mitglieder der Jury vergessen, dass sich das Denkmal auf einer Anhöhe befindet? Ist das der „wichtige weiterführende Erkenntnisgewinn“, für den Christina Weiss, Hamburger Kultursenatorin a.D., der von ihr geleiteten Jury dankt?

Kultursenator Brosda, dem die Jury mit ihrer Entscheidung eine heftige Klatsche verpasst hat, reagiert ganz gegen seine Art wortkarg. Er halte das Ergebnis für „bedauerlich“. Verständlich, denn mit Unterstützung der Regierungs-Fraktionen hatte er 250.000 Euro für den Wettbewerb locker gemacht. Außer Spesen also nichts gewesen?

Leute platzieren einen Steinbock auf Bismarcks Kopf

Tut keinem weh: Steinbock auf Bismarcks Kopf Foto: Christian Charisius/dpa

Auffällig still ist die Reaktion der Hamburger Parteien auf dieses peinliche Ergebnis. Von den Regierungsparteien SPD und Grünen war erst mal gar nichts zu hören. Sie mögen den Bismarck zwar nicht, aber noch weniger mögen sie es, die teure Aufhübschung des Denkmals als Fehlentscheidung einzugestehen. Die CDU macht ein bisschen in Opposition, indem sie mit einem gewissen Recht die Geldverschwendung anprangert. Sie unterlässt es aber tunlichst, einen eigenen Vorschlag für die Umgestaltung zu machen.

Der AfD dürfte das gefallen. Ihr kulturpolitischer Sprecher Alexander Wolf der aus seiner Sympathie für den deutschen Kolonialismus keinen Hehl macht und die „These vom Völkermord in Deutsch-Südwest“ für absurd und für „Quatsch“ hält, kann sein Glück kaum fassen: Sein Bismarck-Heros bleibt tatsächlich, wie er schon vor zwei Jahren gefordert hatte. So können auch die Burschenschaften als aktivistischer Arm der AfD ihre kleinen Kundgebungen mit Fackeln, nationalem Getöse und einigen Flaschen Schnaps zu Bismarcks Füßen abhalten.

War es das also mit der Umgestaltung des Bismarckdenkmals? Rien ne va plus? So ganz ohne Perspektive will die Jury sich dann doch nicht verabschieden. Sie „empfiehlt, in einem aufbauenden nächsten Verfahrensschritt, den Schwerpunkt auf Vermittlung und gesellschaftlichen Diskurs zu verlagern“: Das ist allerdings eine zynische Empfehlung. Sie brüskiert all jene Menschen und Initiativen wie den „AK Hamburg Postkolonial“, die seit Jahrzehnten diesen gesellschaftlichen Diskurs betreiben.

Was also verbirgt sich hinter dem Fazit der Jury? Hamburgs Postkolonial-Professor Jürgen Zimmerer, selbst Mitglied der Jury, redet Klartext „Es waren die Regeln des Wettbewerbs, die den Wettbewerb zum Scheitern brachten.“ Es sei „absurd, dass der Denkmalschutz die Grenzen der Dekolonisierung eines Denkmals festlegt“.

Es wäre für den Kultursenator ein leichtes, den Denkmalschutz aufzuheben und einen neuen Wettbewerb ohne Einschränkungen auszuschreiben. Gleichzeitig müsste der Nato-Draht bewehrte Bauzaun um den Denkmalsockel erhalten bleiben, als Symbol dafür, dass Hamburgs Erinnerungskultur noch eine Riesen-Baustelle hat.

Ulrich Hentschel, Theologe und Aktivist, hatte 2020 eine Dekonstruktion des Denkmals angeregt und selbst einen Entwurf für den Wettbewerb eingereicht.

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