Die Wahrheit: Abrakadabra für Deutschland

Eine politische Sensation erregt das deutsche Publikum und sorgt für die Lösung eines dringenden Problems: Die Verzauberung der AfD.

Harry Houdini, 1908

Bereits 1908 schuf der Magier Harry Houdini einen genialen „Antisemiten-Verschwindetrog“ Foto: Reuters

Daniel Kupferberg kann es sich nicht erklären. „Ich habe den Trick ausgeführt wie immer, aber so was ist noch nie passiert.“ Kupferberg ist Magier, noch nicht ganz so bekannt wie seine großen Vorbilder, die Ehrlich Brothers, aber er zählt im Magischen Zirkel Deutschlands zu den aufstrebenden Talenten. Mit einer eigenen Show tourt er gerade durch Deutschland und zeigt verblüffende Tricks – teils auch aufwändige. Den „Verschwinde-Käfig“ zum Beispiel, bei dem zufällig ausgewählte Zuschauer auf der Bühne in einen Käfig gesperrt werden und aus ihm wie von Geisterhand verschwinden.

Bei Kupferbergs Auftritt im Mehrzweckveranstaltungssaal des thüringischen Mondetal geschah nun das Unmögliche: Kupferberg bat, wie immer, 13 Zuschauer auf die Bühne – darunter den AfD-Landrat Roland Schemelmann, Bürgermeister von Mondetal. „Das wusste ich aber nicht“, betont Kupferberg, „den hatte ich nie zuvor gesehen.“ Zwölf von ihnen tauchten auch wieder auf – nur Schemelmann nicht.

„Ich verstehe das nicht“, sagt Kupferberg. „Der Trick ist eigentlich total simpel. Die Zuschauer halten eingeschaltete Taschenlampen in der Hand, dann wird über den Käfig ein großes Tuch geworfen. Wegen der Taschenlampenlichter, die wir unbemerkt durch Scheinwerferlichter ersetzen, glaubt das Publikum, die Zuschauer befänden sich noch in dem Käfig. Tatsächlich werden sie aber durch einen unterirdischen Gang ans andere Ende des Saales geführt. Wenn ich das Tuch lüfte, ist der Käfig leer. Das ist ein spektakulärer Effekt.“

Zunächst habe Kupferberg geglaubt, Schemelmann sei „da unten irgendwo falsch abgebogen“, aber die Suche nach ihm blieb erfolglos. „Mein Team hat überall nachgeschaut, wirklich ü-ber-all, im Keller, im Saal, in der Garderobe, aufm Klo, aber der Typ ist weg. Er ist auch nicht zu Hause aufgetaucht.“ Kupferberg schüttelt den Kopf. „Ich kann niemanden wegzaubern, das kann niemand, das gibt’s nur bei Harry Potter.“ Er schaut mit verblüfftem Blick wieder auf. „Oder?“

Kultur statt Hokuspokus

In Schemelmanns Kleinstadt Mondetal ist die Aufregung groß. „Das ist kein Zufall“, mutmaßen die Menschen, die sich vor dem Rathaus zu einer Protestaktion versammelt haben. Sie halten Schilder in die Luft, auf denen steht: „Hände weg von unserem Bürgermeister!“, „Zauberer in den Knast!“ und „Deutsche Kultur statt Hokuspokus!“. Schemelmanns Ehefrau ruft: „Mein Mann wurde entführt, ganz klar!“ Bislang gibt es aber kein Bekennerschreiben oder eine Lösegeldforderung. Ein Polizeibeamter erklärt: „Was sollen wir denn da ermitteln? Es liegen keine Hinweise auf ein Verbrechen vor. Da scheint einfach ein Zaubertrick aus dem Ruder gelaufen zu sein.“

In sozialen Medien wird Kupferberg nun nicht mehr als Magier bezeichnet, sondern als „der Mann, der die AfD wegzaubern kann“. Der renommierte Politikwissenschaftler Wolfram Schröter sagt: „Das ist ein völlig neues Phänomen. Bislang hat man geglaubt, die AfD,entzaubern' zu können. Das hat schon Herr Bosbach von der CDU 2014 falsch eingeschätzt und nach ihm viele andere aus unterschiedlichsten Parteien. In der politischen Alltagsarbeit in den Parlamenten werde die,Entzauberung' der AfD beginnen, glaubte man. Zu Unrecht, aktuell liegt sie in bundesweiten Umfragen stabil über 20 Prozent.“ Schröter ergänzt: „Um dem Erstarken dieser Partei etwas entgegenzusetzen, helfen offenbar nur noch übersinnliche Kräfte.“

Die Ehrlich Brothers, Deutschlands berühmtes magisches Duo, halten das nicht für völlig ausgeschlossen. „Auch wir können Menschen verschwinden lassen, am liebsten Schwiegermütter“, sagt Andreas Ehrlich augenzwinkernd. „Ja, das ist Teil unseres Programms, das Teleportieren. Die meisten Teleportierten kehren aber wieder zurück“, sagt sein Bruder Chris und lacht.

Magie ohne Grenzen

„Im Ernst. Der Verschwindekäfig ist natürlich eine der klassischen Nummern von David Copperfield. Ich wüsste nicht, dass daraus jemand mal nicht wieder aufgetaucht ist. Aber die Magie kennt keine Grenzen. Copperfield hat einen Ferrari verschwinden lassen, ein Flugzeug und sogar die Freiheitsstatue. Dagegen ist ein Bürgermeister schon eher, na ja, provinziell.“

Dem widerspricht Politologe Schröter: „Was in der Provinz begann, besitzt die Kraft, eine Hoffnung für das ganze Land zu sein. Die Verzauberung der AfD hat begonnen!“

An den plötzlichen Ruhm muss sich Daniel Kupferberg zwar noch gewöhnen, er arbeitet aber schon an einem Konzept für sein neues Programm. Derzeit trainiere er einen weiteren Verschwinde-Trick, „die Nummer mit dem Käfig ist ja jetzt durch, die kann ich nicht mehr bringen“. Er sage nur so viel: „Björn Höcke wird bald Geschichte sein.“

Die Firma Matell sei an einer Kooperation für den Zauberkasten „Abrakadabra für Deutschland“ interessiert, mit dem schon die Kleinsten „ans Nazis-Verschwindenlassen herangeführt werden sollen“, freut sich Kupferberg. Außerdem habe sich Matell nach dem Kinokassenschlager „Barbie“ bereits sämtliche Filmrechte bei „Abrakadabra für Deutschland“ gesichert.

Und noch eine, hierzulande bislang einmalige magische Sensation ist geplant: „David Copperfield ist durch die Chinesische Mauer gegangen. Auch ich werde durch eine Mauer gehen – durch die Mauer.“ In Berlin habe bereits der Wiederaufbau am Brandenburger Tor begonnen, RTL übertrage die für den 9. November geplante Show dann live.

„Na bitte, die Brandmauer steht!“, jubelt die begeisterte Moderatorin Andrea Kiewel. Einen Show-Titel gibt es auch schon: „Zeit für eine neue Wende.“

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.