Zwei Jahre Machtübernahme in Afghanistan: Aus der Hölle für Frauen entkommen

Die Taliban in Afghanistan errichteten vor zwei Jahren ein Land ohne Frauenrechte. Viele Afghaninnen mussten fliehen. Ein Besuch im deutschen Exil.

Frauen in blauen und schwarzen Burkas kauern zwischen Lebensmittelsäcken

In Sack und Tüten: Frauen erhalten Hilfslieferungen in der afghanischen Hauptstadt Kabul Foto: Ebrahim Noroozi/ap

FRIEDBERG taz | Wenn Basira Akbar­za­da über die Taliban spricht, schüttelt sie den Kopf: „Das sind schlechte Menschen“, sagt sie. Mit einem Kochlöffel rührt sie in einem Topf. Gleich gibt es bei ihr zu Hause in Friedberg Spaghetti mit Tomatensauce. „Afghanistan ist voller guter Menschen. Die Taliban sind es nicht.“

Vor zwei Jahren hat die islamistische Terrorgruppe der Taliban die Macht übernommen. Kurz zuvor hatten Deutschland und andere westliche Staaten ihre Truppen abgezogen. Ein Schreckensereignis, das bis heute vor allem Minderheiten sowie Frauen und Mädchen jegliche Freiheiten und Rechte raubt. Frauen dürfen nicht studieren, in der Öffentlichkeit nicht arbeiten und das Haus nur noch in männlicher Begleitung verlassen. Mädchen ist es verboten, zur weiterführenden Schule zu gehen, und sie werden jung zwangsverheiratet.

Laut Welthungerhilfe gibt es 5,2 Millionen Afghan_innen, die derzeit außerhalb des Landes auf der Flucht sind. Basira Akbarzada ist eine von ihnen. In Kabul arbeitete die 28-Jährige vier Jahre bei Medica Afghanistan, einer Frauenrechtsorganisation, die sich für ein Ende von Gewalt gegen Frauen einsetzte. Zuletzt war Abkarzada Programmdirektorin. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter floh sie über Islamabad im November 2021 nach Friedberg, einer 30.000-Einwohner_innen-Stadt nördlich von Frankfurt. Bei der Evakuierung aus Kabul half Akbarzadas Arbeitgeber ihnen und 90 weiteren Frauen mitsamt Familien.

Eine Frau mit duklem Haar und Schal

Basira Akbarzada floh im November 2021 mit ihrer Familie nach Friedberg Foto: Marion Eckstein

Akbarzadas Wohnung ist minimalistisch eingerichtet: dunkler Teppichboden, der lose über dem Parkett liegt, keine Bilder an den Wänden, ab und an eine Plastikpflanze. Die 28-Jährige trägt ein grünes Oberteil und hat ihre dunklen Haare zum Dutt zusammengebunden. Azira, ihre Tochter, springt vom schwarzen Ecksofa zum Boden und wieder zurück, sie hat halblange Haare und trägt Spangen in den Haaren.

Nicht alle Afghaninnen erhalten vollen Flüchtlingsstatus

Mit ihren Eltern und Geschwistern in Afghanistan telefoniere sie alle ein bis zwei Tage verschlüsselt über Whatsapp. Akbarzada tritt weg vom Kochtopf, als sie von ihrer Schwester erzählt, die seit der Machtübernahme der Taliban zu Hause bleiben muss. Die Erklärung scheint viel zu ernst, als dass sie nebenher noch weiterkochen möchte. „Ich sage meiner Schwester immer: Sei nicht traurig. Es wird besser werden.“ Sie schüttet Salz ins Nudelwasser. „Dabei bin ich selber traurig.“ Zu den besten Medizinstudierenden Afghanistans gehörte ihre Schwester. Doch dann kam das Studierverbot durch die Taliban.

Inga Weller weiß, dass auch andere Afghaninnen Familie zurückließen. Sie ist Regionalreferentin für Afghanistan bei der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale: „Die Deutsche Bundesregierung hat nur Zusagen für Kernfamilien gemacht. Zum Teil musste die bedrohte Schwester und auch erwachsene Kinder zurückgelassen werden“, erzählt sie am Telefon. „Viele sorgen sich noch bis heute.“

Die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) befand schon im Januar, dass „Frauen und Mädchen allgemein von Verfolgung bedroht sind und daher Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus haben“. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stünde dessen Entscheidungspraxis inzwischen weitgehend mit dieser Handlungsanleitung im Einklang. Dabei gab es laut Bamf-Statistik im Jahr 2023 unter Frauen und Mädchen bis Juli knapp 8.300 Entscheidungen zu Anträgen von Frauen und Mädchen aus Afghanistan: Zwar wurden davon nur 13 Anträge abgelehnt, doch in 26,3 Prozent der Fälle wurde lediglich ein Abschiebeverbot oder subsidiärer Schutz erteilt. Anders als bei Ak­bar­zada, die als Flüchtling anerkannt ist, haben diese Frauen nur eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und kein Recht auf Familiennachzug.

Medica Mondiale stellte die Arbeit in Afghanistan 2021 ein, arbeitet aber laut eigenen Angaben mit verschiedenen Partnerorganisationen in Afghanistan. Vor allem aber engagiert sich die Organisation heute für Afghan_innen im Exil. So gibt es an der Frankfurt University of Applied Science ein Weiterbildungsprojekt für geflüchtete Afghaninnen und ihre Familien, die dort neben dem Studium der Sozialen Arbeit auch Deutsch lernen. Akbarzada nimmt daran teil. Währenddessen wartet sie darauf, dass ihr afghanischer Bachelorabschluss in Psychologie in Deutschland anerkannt wird. „Ich will selbstständig sein. Ich glaube, es ist noch viel Arbeit bis dahin, aber das ist, was ich mir als Jugendliche vorgestellt habe“, sagt Akbarzada. Sie will arbeiten, nicht auf Bürgergeld angewiesen sein wie im Moment.

Bekannte Probleme in Deutschland: Wohnungs- und Kitanot

Bis es so weit ist, organisiert sie Workshops, die geflüchteten Afghaninnen und ihren Familien beibringen sollen, mit Traumata umzugehen. Und sie gründet derzeit mit etwa 30 anderen Frauen von Medica Afghanistan eine Organisation für Afghaninnen im Exil. „Wir hatten bisher zwei oder drei Meetings und suchen gerade nach einer Person, die weiß, wie man rechtmäßig eine Organisation gründet“, sagt sie. „Wir wollen vor allem Geflüchtete beraten, die neu nach Deutschland gekommen sind.“ Trotz der Anerkennung als Geflüchtete hat auch Akbarzada Auflagen: Eigentlich würde sie gerne in Frankfurt leben. Wegen ihres Flüchtlingsstatus muss die kleine Familie allerdings bis November 2024 in Friedberg bleiben. „Wir haben anderthalb Jahre nach einer Wohnung gesucht“, sagt Akbarzada.

Die Familie lebte vorher in einem Flüchtlingsheim, zu dritt in einem Zimmer, die Küche mussten sie sich mit sechs anderen Familien teilen. „Im Heim gibt es viele Probleme, weil es zu viele Menschen gibt“, sagt Ak­bar­za­da. „Die Wohnung, in der wir jetzt leben, habe ich über Ebay gefunden.“ Allerdings übersteigt die Miete das Maß, das vom Jobcenter vorgegeben ist: 110 Euro muss die Familie dafür im Monat draufzahlen, obwohl sie selbst nur Bürgergeld bekommt.

Neben den Problemen als Geflüchtete kommt für Akbarzada der Kitanotstand in Deutschland hinzu: „Ich habe Azira im Kindergarten angemeldet, aber es gibt zurzeit keinen Platz.“ Oft überlege sie, wie sie sich entscheiden solle: „Will ich arbeiten und studieren oder eine gute Mutter sein? Ich kann mich nicht entscheiden.“

Beim Kochen spricht sie auch übers Deutschlernen: „Ich lerne am liebsten Deutsch auf Youtube und Instagram, gucke viele Comics, einmal am Tag‚ Peppa Wutz‘“, sagt sie und lacht. Am liebsten benutzt sie den Konjunktiv II: „Der ist so höflich.“ Ein Graus für die Taliban.

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