Sommerserie „Wie riecht Berlin?“ (4): Der Geruch von Zuhause

Berlin riecht nach Falafel und Apfeltasche, Drogeriemärkten und Kaffee. Für Masoomeh Rezaei sind Gerüche besonders intensiv. Denn sie ist blind.

Ein Gewürzstand.

Auch ein Gewürzstand kann eine Duftreise in die Heimat sein Foto: imago

BERLIN taz | Manchmal riecht der Eingang von Masoomeh Rezaeis Wohnheim in Dahlem nach ihrer Heimatstadt Schiras. Vor dem Haus muss es eine Blume geben, die im Frühling aufgeblüht ist. Ob es die gleiche ist wie früher in Schiras, weiß die Iranerin nicht. Sie ist blind.

Seit zwei Jahren lebt die 33-Jährige in Steglitz und studiert an der Freien Universität (FU) ihren zweiten Master „Interdisciplinary Studies of the Middle East“. Wegen des Studiums und der besseren Berufschancen sei sie nach Berlin gekommen, erzählt sie. In Iran habe sie zuvor persische Literatur studiert.

Es liegt was in der Luft Das Berliner Liedgut ist in der Geruchsfrage unentschieden: Einerseits weiß es von einem „holden Duft, Duft, Duft“, die die „Berliner Luft, Luft, Luft“ sein soll. Das bekannte Paul-Lincke-Lied, das mindestens genauso als inoffizielle Hymne der Stadt gelten darf wie „Schwarz zu Blau“ von Peter Fox, der in seinem Liebeslied an Berlin allerdings nichts von einer holden Note riecht. Im Gegenteil: „Und überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben“. Berlin: Mal müffelt es, mal duftet es fein. Und vieles dazwischen.

Der ganz besondere Duft ­Manchmal muss man nur schnuppern und weiß gleich, wo man ist in dieser Stadt, die eben auch ihre besonderen Gerüche hat. In unserer Sommerserie wollen wir denen nachspüren und Berlin riechen, immer der Nase nach. Nachlesen der bereits erschie­nenen Folgen geht online unter taz.de/berlin.

Der Start in Berlin war schwer. Rezaeis kam während Pandemiezeiten hier an, fühlte sich einsam und von allem weit weg. Die ersten sechs Monate hat sie ihre Studierendenwohnung immer nur in Begleitung mit ihrem Mann verlassen – der arbeitsbedingt jedoch oft verreisen muss. So musste sie schnell lernen, allein zurechtzukommen.

Von zu Hause bis zum Campus der FU läuft Rezaei 20 Minuten. Anfangs hatte sie eine Assistentin für den Weg, mittlerweile kann sie ohne Begleitung gehen. „Aber manchmal verlaufe ich mich trotzdem“, erzählt sie, während sie ihr Gesicht in die Sonne streckt und den Blindenstock zusammenklappt.

200 Schritte sind es auf dem letzten Stück ihres Wegs bis zur Rost- und Silberlaube, dem Hauptgebäude der FU, aber es ist schon vorgekommen, dass sie an der Ampel falsch abgebogen ist und dann nicht mehr weiterwusste. Was ihr dann immer helfe: der Geruch der Mensa. „Wenn ich den undefinierbaren Geruch der Mensa rieche, weiß ich wieder, in welche Richtung ich laufen muss“, erzählt sie lachend.

Berlin riecht überall nach Essen

Auch sonst riecht Berlin für sie nach Essen. Als Rezaei noch in Schiras wohnte, war sie sich sicher, dass ihre Heimatstadt sehr viele Restaurants habe, aber: „Ich habe mich geirrt, hier in Berlin gibt es viel mehr. Falafel, Kebaps, indisch – überall riecht es nach Essen, ich kriege die ganze Zeit Hunger.“ Am liebsten läuft sie mit ihrem Mann über den Nollendorfplatz, der Geruch von Essen ist dabei ein steter Begleiter.

Masoomeh Rezaei

„Überall riecht es nach Essen, ich kriege die ganze Zeit Hunger.“

Denkt Masoomeh Rezaei über Berlin nach, kommt ihr auch die Vielfalt der Supermärkte in den Sinn: Regelmäßig besucht sie iranische, türkische und arabische Läden. Dort kann sie alle Zutaten kaufen, die sie für ihre iranischen Gerichte benötigt. Dabei hört sie auch oft andere Ira­ne­r:in­nen sprechen. So hat sie sich auch Kontakte zu ihrer Community aufgebaut – denn an der FU Anschluss zu finden fällt ihr bis heute schwer.

Auch Kochen ist eine wichtige Verbindung zu ihrer Heimat. Die meisten iranischen Gerichte müssen mehrere Stunden köcheln, sie seien ein Prozess, erklärt Rezaei. In ihrem Wohnheimkomplex in Steglitz lebe noch eine andere Iranerin, sie könnten beide sofort erschnuppern, wenn die andere kocht und sich der Duft von Zimt, schwarzem Pfeffer und anderen Gewürzen in der Luft verteilt. „Dann schreiben wir uns gegenseitig, ob wir vorbeikommen und einen Happen mitessen können“, erzählt sie.

Wie wichtig ihr Geruchssinn ist, hat Rezaei jedoch erst gemerkt, als sie – noch in Iran – an Corona erkrankte. Für sie als blinde Person ist das Gehör der wichtigste Sinn, das gilt auch für ihr jetziges Leben in Berlin. Doch als sie damals einen Monat kaum riechen konnte, sei ihr erst bewusst geworden, wie wichtig ihr Riechvermögen für sie sei, berichtet sie. Sie habe damals immer jemanden aus der Familie fragen müssen, welches Gewürz sie in der Hand hielt, in welches Obst sie gleich beißen würde. „Seitdem schätze ich meinen Geruchssinn viel mehr“, bemerkt die 33-Jährige.

U-Bahnen riechen besonders intensiv

So schnuppert sich Rezaei nun durch Berlin. Für sie riecht die Stadt nach Kaffee und Bäckereien, die Fusion dieser Gerüche signalisieren ihr oft den Eingang einer U-Bahn-Station. Trotzdem benutzt sie die U-Bahn nicht allzu gern, denn dort bemerkt sie oft beißende Gerüche: „Manche Menschen riechen unangenehm, das kommt mir in der U-Bahn sehr intensiv vor. Aber weil ich nicht genau weiß, woher die Gerüche kommen, kann ich mich nicht umsetzen.“ Den Berliner Nahverkehr möchte sie trotzdem nicht missen, betont sie – er schenkt ihr Freiheit.

Berlin riecht manchmal auch nach Zigarettenrauch, der zeigt ihr, wie nah eine Person an ihr vorbei läuft. Manchmal tragen Ber­li­ne­r:in­nen Parfüm, das gefällt Rezaei. Denn auch hieran kann sie erkennen, wie nah ihr jemand kommt. In einigen Fällen erkennt sie einzelne Personen auch an ihrem Parfüm. „Was ich an Berlin auch genieße, ist der Duft von DM und Douglas. Überhaupt mag ich es, in Drogerien zu gehen“, schwärmt sie. Die kann sie beim Vorbeigehen erschnüffeln, sie signalisieren ihr, in was für einer Straße sie sich gerade befinden könnte. Sie selbst trägt auch gern Parfüm, heute riecht sie nach Rosen.

Auch der Gang in deutsche Supermärkte sei ein intensives Geruchserlebnis, versichert die Iranerin. Zwar kann sie als blinde Person nicht alleine einkaufen gehen, dafür sind die Produkte zu unterschiedlich angeordnet in den einzelnen Märkten. In einigen können blinde Personen zwar nach einer Assistenz bitten, doch das funktioniere nicht immer. Deswegen dient auch hier der Geruch als Orientierung für Rezaei.

Die Hygieneabteilung findet sie schnell, auch die Obstabteilung hinterlässt Duftspuren. Bananen riechen süß, ein wenig klebrig, die kann sie gut ertasten. Doch am meisten genießt sie deutsche Läden aus einem anderen Grund: „Ein Halt beim Einkaufen ist für mich immer ist das Backwarenregal. Ich hole mir dann eine Apfeltasche, die kann ich am Geruch erkennen, und die liebe ich einfach.“

Der Sommer riecht hier anders als Zuhause

In Dahlem fühlt sich Masoomeh Rezaei sicher und frei, sie kann abends nach Hause gehen, wann sie will. Sie liebt die – wie sie findet – ebenen, nahezu perfekten Bürgersteige. Sie mag den Geruch des Wetters, gerade jetzt im Sommer kann sie die Feuchtigkeit fast riechen, während die Luft in Schiras zu dieser Jahreszeit trocken riecht. Auch wenn sie das wechselhafte Wetter Berlins im Sommer manchmal anstrengend findet.

Bald wird Rezaei wieder umziehen müssen, ihr Mann hat einen neuen Job in den USA gefunden. Sie, die den Master fast fertig hat, wird ihm folgen, und versuchen, dort einen Job zu bekommen, während sie sich an eine neue Stadt gewöhnen muss. Doch auch wenn sie geht, wird Berlin bleiben: Durch Erinnerungen an Gerüche, mit denen sie jetzt nicht nur Schiras verbindet, sondern auch Berlin.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.