Nutzung von Mobilitätsdaten im Nahverkehr: Wann kommt denn der Bus?

Die Bundesregierung will Mobilitätsdaten stärker nutzen, um den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. Werden wir nun zu gläsernen Reisenden?

Menschen steigen aus einem Bus

Noch kommt der Bus oft, wann er halt kommt Foto: Jürgen Ritter/imago

Was sind Mobilitätsdaten?

Wie viel Verspätung hat der Bus? Und wie voll ist er? Gibt es alternativ einen E-Roller zum Ausleihen in der Gegend? Und wenn es doch das Auto sein soll – wer hat eigentlich Zugriff auf Daten zu Sitzeinstellungen oder zum Fahrverhalten? All das fällt unter Mobilitätsdaten.

Wo liegen diese Daten?

Manche Daten gehören zu konkreten Personen, zum Beispiel Daten zum Fahrverhalten. Andere haben keinen Personenbezug, etwa Daten aus Fahrplänen oder zu Verbindungen. Es gibt auch Daten, die ursprünglich mit Personenbezug anfallen, doch sind sie vor allem in der Masse und anonymisiert für die Öffentlichkeit interessant – zum Beispiel Daten zur Verkehrssituation, die aus Navigationsdiensten gewonnen werden.

Manche Daten liegen bei Privatunternehmen – zum Beispiel bei Anbietern von Carsharing-Fahrzeugen, E-Rollern oder Leihrädern. Andere liegen vorwiegend bei öffentlichen Unternehmen, etwa Daten vom öffentlichen Nahverkehr. Wieder andere befinden sich in der Hand von Behörden, etwa Informationen über Baustellen. Unter das neue Gesetz sollen jedoch nicht alle diese Daten fallen – für Fahrzeugdaten etwa soll es nicht gelten.

Warum braucht es ein Gesetz?

Die grundsätzliche Idee eines Mobilitätsdatengesetzes ist es, zu regeln, wer welche Daten unter welchen Bedingungen bereitstellen muss und wer sie nutzen kann. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) nannte zum Start des Beteiligungsverfahrens im vergangenen Herbst zwei Beispiele: „Mobilitätsdaten helfen etwa Kommunen, ihr ÖPNV-Angebot zu verbessern.

Und sie helfen Pendlern dabei, einfach per App den für sie besten Verkehrsmittelmix für den Weg von der Haustür bis zur Arbeit zu finden“. Es gibt aber auch eine Reihe von EU-Vorschriften, die die Bundesregierung umsetzen muss, zum Beispiel was die Rahmenbedingungen für die Datenbereitstellung angeht oder die Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern.

Welche Alltagsprobleme könnte das Gesetz lösen?

Ein Beispiel: Wer eine Fahrt mit mehreren Verkehrsmitteln – Nah- und Fernverkehr, vielleicht noch ein Leihrad oder ein Carsharing-Fahrzeug – buchen will, muss dafür mehrere Apps oder Onlineportale nutzen. Oder dieses: Jemand möchte auf einer Reise darauf achten, möglichst wenig volle Busse und Bahnen zu nutzen. Doch Auslastungsinformationen sind gerade im öffentlichen Nahverkehr eher die Ausnahme – ebenso wie Echtzeitdaten über Ankunfts- und Abfahrtszeiten. „Mit mehr Daten werden auch noch gute Ideen entstehen, die wir uns heute noch nicht einmal ausmalen können“, sagt Marion Jungbluth, Verkehrsexpertin vom Verbraucherzentrale Bundesverband.

Was plant die Bundesregierung?

Nach einem Stakeholderprozess, worin Verbände und Unternehmen aus der Branche die Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) Ende Juli nun ein erstes Eckpunktepapier vorgelegt. Es ist – wie bei Eckpunktepapieren üblich – in weiten Bereichen noch vage. Doch ein paar konkrete Punkte stehen schon drin. So sollen Verkehrsunternehmen beispielsweise dazu verpflichtet werden, Daten über die Auslastung ihrer Busse oder Bahnen bereitzustellen – allerdings nur dann, wenn sie sie auch erheben.

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Für all diese Daten gilt: Sie sollen laut dem Eckpunktepapier „offen, ohne Registrierung zugänglich und grundsätzlich kostenlos“ bereitgestellt werden. Es soll eine Behörde bestimmt werden, die Beschwerden entgegennimmt und Verstöße gegen die Vorgaben sanktioniert. Bußgelder sollen aber nur das letzte Mittel sein. Bis Jahresende will das Ministerium einen Referentenentwurf zu dem Gesetz vorlegen.

Wie sieht es aktuell aus in Sachen Zugänglichkeit von öffentlichen Verkehrsdaten?

Durchwachsen. Welche Daten zugänglich sind und ob die, die einen gerade interessieren, dazugehören, ist häufig Glücksache. Eine gute Übersicht bietet die Website mobilithek.info, die das Bundesverkehrsministerium vor einem Jahr gestartet hat. Sie macht auch die Lücken sichtbar. Es ist zu sehen, welche Regionen etwa Daten zu Car- und Bikesharing veröffentlichen und welche nicht. Oder dass Frankfurt am Main als einzige Stadt Verkehrsmeldungen zum Fahrradverkehr über das Portal bereitstellt. Auch nach Echtzeitdaten des öffentlichen Nahverkehrs werden Nut­ze­r:in­nen in vielen Regionen vergeblich suchen.

Welche Punkte des geplanten Gesetzes sind umstritten?

Die verschiedenen Interessenverbände debattieren derzeit über eine Reihe von Dingen. Ein Beispiel dafür, wie tief die Konflikte gehen, ist die Diskussion über Echtzeitdaten zur Auslastung von Bussen und Bahnen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert, dass nur Unternehmen diese Daten bereitstellen müssen, die sie ohnehin erheben. Für Reisende wäre das ein Nachteil. Der Verband fordert daher, dass alle Unternehmen die Daten erheben und zur Verfügung stellen müssen.

Dagegen wehren sich jedoch die Verkehrsunternehmen. Sie fürchten die Kosten für die Umsetzung und Wettbewerbsnachteile, denn die Daten wären auch von potenziellen Konkurrenten einsehbar. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen argumentiert in seiner Stellungnahme zu dem Eckpunktepapier, dass mit den Auslastungsdaten im öffentlichen Nahverkehr ohnehin keine Fahrgastlenkung erfolge und „die theoretische Diskussion um die vorgetragenen Mehrwerte deutlich überzogen“ sei. Das hält Verbraucherschützerin Jungbluth für falsch: „Die Pandemie hat gezeigt, dass Auslastungsdaten durchaus eine wichtige Information sind.“

Werden wir nun alle gläserne Reisende?

Das ist noch nicht ganz klar. Der Verbraucherzen­trale Bundesverband kritisiert: „Die Eckpunkte verpassen die Chance, Grundsätze zur Anonymisierung und verbesserter Transparenz für Mobilitätsdaten festzuschreiben.“ Es brauche eine gesetzliche Vorgabe zur Anonymisierung von Mobilitätsdaten. Dafür müsse es klare Anforderungen und Schutzkonzepte geben, die auch verhindern, dass sich Daten doch wieder Personen zuordnen lassen. Tatsächlich sind Mobilitäts­daten ­deutlich einfacher zu de-anonymisieren, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Das liegt daran, dass unsere Bewegungsmuster erstaunlich individuell sind. Schon 2013 gelang es For­scher:in­nen der Harvard-Universität und des Massachusetts Institute of Technology, aus einem Pool von Daten von 1,5 Millionen Personen mit nur vier zufällig ausgewählten Kombinationen von Ort und Zeit 95 Prozent der Personen zu identifizieren. Mit höchstens elf Ort-Zeit-Punkten gelang ihnen das für jede Person.

Was ist mit den Daten von Autofahrer:innen?

Die aktuellen Genera­tio­nen der Pkws sind echte Datensammler: Von Sitzeinstellungen über das Fahrverhalten bis zu den Gurtstraffungen, die auf abruptes Bremsen hindeuten, erheben sie eine ganze Reihe an Daten. Momentan haben die Hersteller den Zugriff auf diese Daten und geben diese nur in ausgewählten Situationen weiter, zum Beispiel an Behörden oder Versicherungen nach einem Unfall.

Die Bundesregierung argumentiert, die EU lege dazu demnächst eine Regelung vor, der wolle man nicht vorgreifen. Doch Verbraucherschützerin Jungbluth rechnet nicht so bald damit und fordert daher, die Fahrzeugdaten in das deutsche Gesetz einzubeziehen. Ihr Vorschlag: Die Daten sollen nicht mehr bei den Herstellern liegen, sondern bei einem Treuhänder; und wer die Daten nutzen will, muss sich vorher bei der Person, zu der die Daten gehören, das Okay holen.

Was würde das für die Branche bedeuten?

Das wäre ein deutlicher Umbruch. Denn momentan ist es selbst für die Au­to­be­sit­zer:in­nen schwierig bis unmöglich, an die eigenen Fahrzeugdaten heranzukommen. Das zeigt ein Versuch, den die Computerzeitschrift c’t 2022 veröffentlichte. Und auch darüber, welche Daten überhaupt erhoben und wie lange sie gespeichert werden, herrscht kaum Transparenz.

Jungbluth hofft, dass Fahrzeugdaten auch dabei helfen können, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen: zum Beispiel, indem sich Bedarfe erkennen lassen, die aktuell noch nicht – etwa durch eine Buslinie – abgedeckt werden; oder indem Daten aufzeigen, wann etwa ein Stau zu Verspätungen eines Busses führen könnte.

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