Iran-Proteste in Berlin: „Was wäre die Alternative?“

Auf mehreren Demos wurde am Wochenende der Ermordung von Jina Mahsa Amini gedacht – große Menschenmassen kamen aber nicht mehr zu den Veranstaltungen.

Demonstration auf dem Kurfürstendamm zum ersten Todestag von Jina Mahsa Amini, Menschen halten Schilder hoch

An der Demonstration auf dem Ku'damm nahm auch die Schauspielerin Jasmin Tabatabai teil Foto: Jens Jeske

BERLIN taz | Gleich mehrere Demonstrationen waren in Berlin zum ersten Jahrestag des Todes der Iranerin Jina Mahsa Amini angemeldet – und schon im Vorfeld wurde das Thema in Chat-Gruppen der iranischen Community, aber auch bei vielen persönlichen Treffen intensiv und teils kritisch diskutiert. Die Veranstaltungen am vergangenen Wochenende haben ein Schlaglicht auf die Vielfalt, aber auch die Spaltung innerhalb der iranischen Diaspora-Community geworfen.

Am Großen Stern demonstriert die Anhängerschaft der Monarchie: eine Fraktion der iranischen Opposition, die in Berlin auf keine allzu große Beliebtheit stößt. Die Vereinigung der Familien der Opfer des Flugs PS752 dagegen hat zu einer Demonstration auf dem Breitscheidplatz aufgerufen. In der Organisation sind Angehörige der Opfer eines Passagierflugzeugs zusammengeschlossen, das im Januar 2020 durch die Raketen der iranischen Revolutionsgarde abgeschossen wurde, 167 Menschen kamen dabei ums Leben. Seitdem setzen sich die Familienmitglieder für Gerechtigkeit ein, im Laufe der Proteste des vergangenen Jahres haben sie sich politisiert.

Elf iranische Gruppen und Kollektive, die sich als Zusammenschluss der linken und demokratischen Kräfte in Berlin verstehen, veranstalten derweil eine Demonstration, die auf dem Bebelplatz in Mitte startet. Dabei sind Kollektive wie „Woman–Life–Freedom-Collective Berlin“ und „Bolandgoo“ („Sag es laut“), die sich im Zuge der aktuellen Protestwelle im Iran gebildet haben, aber auch etablierte Organisationen wie der Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin, seit über drei Jahrzehnten einer der wichtigsten Akteure in Berlins Diaspora-Szene.

Viele kurdische Gruppen

Während sich auf dem Bebelplatz langsam eine Menschenmenge bildet, weist eine Rednerin auf die feministischen Aspekte des Aufstands und die Rolle ethnischer Minderheiten sowie marginalisierter Gruppen hin. Der Kampf gegen den Faschismus finde nicht nur in Iran, sondern auch in Deutschland, Europa und weltweit statt. Weil kurdische Gruppen die Demonstration mitorganisiert haben, sind viele Flaggen mit Kurdistanbezug zu sehen. Als sich der Zug in Bewegung setzte, wird ein revolutionäres kurdisches Lied gespielt.

Auch wenn die Demonstration von Anfang an größer zu sein scheint als die Versammlungen der iranischen Opposition in den letzten Monaten: Mit den Aktionen im letzten Oktober und November, als die Proteste gerade ausgebrochen waren, ist sie nicht vergleichbar. Trotzdem ist A. vom Bolandgoo-Kollektiv mit der Zahl der Teilnehmenden nicht unzufrieden: „Da heute keine zentrale Demonstration stattfindet und die Menschen sich in mehrere Veranstaltungen aufgeteilt haben, finde ich das okay.“ Aus Sorge um die Familie im Iran will A. nicht mit vollem Namen genannt werden.

Unter den Teilnehmenden ist auch die deutschiranische Filmemacherin Maryam Zaree, die für ihren Dokumentarfilm „Born in Evin“ mehrmals ausgezeichnet wurde. „Meine Hoffnung ist, dass wir Menschen dazu motivieren, Druck auf die Politik auszuüben“, antwortet sie auf die Frage, warum sie mitläuft. Die deutsche Zivilgesellschaft solle sich so stark mit der Bewegung im Iran solidarisieren, dass die Politik nicht mehr wegschauen könne.

Nichts tun ist keine Option

Ein Jahr nach dem Ausbruch der revolutionären Bewegung im Iran haben bereits zahlreiche Protest- und Solidaritätsaktionen im Ausland stattgefunden, darunter die Großdemonstration am 22. Oktober in Berlin mit über 80.000 Teilnehmenden. Haben die Aktionen bisher einen realen Effekt gehabt? Maryam Zaree glaubt das eher nicht, aber sie fragt: „Was wäre die Alternative?“ Aus ihrer Sicht ist es keine Option, die Menschen im Iran alleinzulassen. „Ich bin manchmal auch überfordert und ohnmächtig.“ Am Ende des Tages denke sie aber: „Wenn wir hier ohnmächtig sind, was ist mit den Menschen, die diesen Kampf vor Ort kämpfen müssen?“

Die Demonstration, die sich zum Rosa-Luxemburg-Platz bewegt, unterscheidet sich darin von den anderen Versammlungen der iranischen Community, dass so gut wie nie nationalistische Parolen gerufen werden – dafür viel mehr gegen Faschismus und Rechtsextremismus. Neben „Jin, Jiyan, Azadî“ ist häufig „Weder Monarchie noch Theokratie / Freiheit und Demokratie!“ und „Kurdistan wird zum Friedhof der Faschisten“ zu hören.

Als die Dunkelheit einbricht, erreicht der Marsch den Platz vor der Volksbühne. Auf 2.800 Teilnehmende schätzt die Polizei die Menge. Kann das irgendetwas im Iran bewegen? „Ich bin nicht sicher, ob man von hier aus irgendwas bewegen kann im Iran“, sagt A., „denn was passieren soll, wird innerhalb des Landes passieren. Hier können wir unsere Solidarität zeigen. Wir müssen die Flamme am Brennen halten, wo immer wir sind.“

Nach einem Jahr der Demos und Aktionen im Ausland gelte es, die Rolle der Diaspora zu überdenken, findet A. aber auch. Sie ist immer noch hoffnungsvoll, aber nicht mehr so optimistisch wie im vergangenen Jahr. Als Mitorganisatorin der Demonstration weiß sie, dass solche Aktionen immer auch ein Akt der Verzweiflung sind.

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