Minderjährige Geflüchtete in Bremen: Zwischengeparkt in der Turnhalle

Ak­ti­vis­t*in­nen und Jugendliche klagen über menschenunwürdige Bedingungen in einer Unterkunft. Sozialsenatorin Schilling weist die Vorwürfe zurück.

Ein Mann in orangener Johanniter-Jacke mit der Aufschrift Bevölkerungsschutz steht in einem Raum mit einfach Feldbetten

Bevölkerungsschutz, etwa bei Hochwasser, können die Johanniter. Geflüchtete betreuen auch? Foto: Robert Michael/dpa

BREMEN taz | Keine Privatsphäre, Bettwanzen, Schimmel im Bad – unter diesen Umständen sollen derzeit rund 35 minderjährige Geflüchtete in einer Turnhalle nahe des Bremer Flughafens leben. Das Bündnis Together we are Bremen hat sich mit dem Slogan „Shut down Turnhalle!“ bereits im Sommer an die Öffentlichkeit gewandt.

Der Vorwurf: Seit Anfang des Jahres bringe die Sozialbehörde dort Menschen unter, „obwohl es freie Plätze in der regulären Erstaufnahmeeinrichtung gibt“. Das Kindeswohl sei nicht gewährleistet, die psychische und körperliche Gesundheit der Be­woh­ne­r*in­nen gefährdet. Die Johanniter betreiben die Unterkunft.

Die Bedingungen für die jungen Menschen, wie sie das Bündnis beschreibt: Die Halle sei durch dünne Aufstellwände in rund sechs Quadratmeter große Bereiche unterteilt, mit je zwei Doppelstockbetten für vier Menschen. Ruhe gebe es keine. Die Spinde seien zu klein, die Betten teilweise von Parasiten befallen, die in der Nacht stechen. Und die Duschen seien von Schimmel befallen, „der förmlich aus den Fugen quillt, den Boden und die Decke bedeckt“.

Dazu komme noch der Druck durch „permanente Überwachung und Kontrolle, die von Securitys und Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Johanniter ausgeübt wird, auch mit Drohungen und Zwang“. Sozialpädagogische Betreuung gebe es keine, Taschengeld werde unrechtmäßig gekürzt. Bei den Widersprüchen gegen diese Taschengeld-Kürzungen unterstütze man die Jugendlichen, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen der taz.

Ein Video aus der Unterkunft zeigt die Bedingungen

Ein Video, das am 7. Oktober auf der Webseite von Together we are Bremen veröffentlicht wurde und aus dem Inneren der Halle stammen soll, zeigt die Enge in den Kabinen, die fehlenden Zimmerdecken, die dünnen Wände und eine Sofaecke, umgeben von lose ausgelegten Teppichfliesen. Aufnahmen aus den Sanitäranlagen zeigen einen Anblick, den wohl die meisten Brei­ten­sport­le­r*in­nen aus sanierungsbedürftigen Turnhallen kennen – wenn sie dort einen Abend in der Woche sind und sich aussuchen können, ob sie diese Duschen oder die daheim nutzen.

Am 16. Oktober veröffentlichte das Bündnis einen offenen Brief an Sozial-, Jugend- und Integrationssenatorin Claudia Schilling (SPD). Die Unterzeich­ner*innen rufen Schilling dazu auf, die Turnhalle zu schließen und einen sicheren Ort für die Jugendlichen zu schaffen.

Die Umstände konterkarierten den Passus im neuen Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und Der Linken: „Unsere Migrationspolitik und unser Umgang mit Geflüchteten sind an humanitären Maßstäben ausgerichtet.“ Im Brief ist neben den genannten Punkten auch von einer „miserablen Lebensmittelversorgung“ die Rede.

Das Bündnis wendet sich auch an die Betreiber der Halle: „Die Johanniter bauen den Jugendschutz weiter ab, fördern Gewalt gegen Minderjährige und schlagen Profit aus den Lagern.“

Senatorin Schilling weist die Vorwürfe gegen ihre Behörde und die Johanniter zurück. „Wir haben keinerlei Hinweise auf hygienische Mängel oder sonstige Probleme in der Turnhalle“, schreibt sie der taz. „Ich selbst war erst vor kurzer Zeit vor Ort und habe gesehen, dass die jungen Menschen dort gut versorgt werden.“ Eine Begehung der Einrichtung am 18. Oktober durch das Gesundheitsamt habe zudem keine Beanstandungen ergeben, schreibt Schillings Sprecherin Nina Willborn.

Die Sozialbehörde bestätigt, dass in der Halle derzeit 34 junge Männer untergebracht sind; die Kapazität reiche sogar für 40. Die Zahl schwanke jedoch täglich durch Zu- und Abgänge. Die Menschen dort befänden sich in der sogenannten vorläufigen Inobhutnahme. „Da das Land Bremen seine Aufnahmeverpflichtung übererfüllt hat, werden die jungen Menschen binnen weniger Tage nach Vorliegen eines Zuweisungsbescheides anderen Kommunen übergeben“, schreibt Willborn weiter. In der Regel blieben die Jugendlichen zwischen zwei und drei Wochen dort. Es gehe lediglich um jene, bei denen klar ist, dass sie nicht in Bremen bleiben.

Bündnis kritisiert das gesamte System der Inobhutnahme

Together we are Bremen kritisiert das gesamte System der vorläufigen Inobhutnahme. Das Bündnis nennt diese Praxis „Jugendhilfe zweiter Klasse“ und fordert von Schilling ein Ende der Umverteilung von Kindern und Jugendlichen unter Zwang.

Im Juli gab es den ersten Protest direkt vor der Turnhalle. 150 Menschen sollen dabei gewesen sein. „Minderjährige Geflüchtete werden hier vor der Öffentlichkeit versteckt, damit sie zwangsumverteilt werden können“, sagt ein Aktivist in einem Video von der Aktion.

Jetzt gab es erneut Protest: Am Dienstagabend trafen sich rund 70 Menschen vor dem Begegnungszentrum der Johanniter in der Bremer Neustadt. „Die schutzsuchenden Jugendlichen haben traumatische Fluchterfahrungen hinter sich. Sie benötigen Sicherheit, Zur-Ruhe-Kommen und Geborgenheit“, heißt es in der Mitteilung zum Protest.

Das bereits veröffentlichte Video wurde in Dauerschleife gezeigt – der Veranstaltungs- und Kunstraum Schwankhalle, der sich direkt gegenüber der Begegnungsstätte befindet, stellte den Ak­ti­vis­t*in­nen ihre Technik zur Verfügung und erlaubte das Aufhängen ihrer Banner.

Eine Aktivistin berichtete, dass man bei Besuchen in der Turnhalle vom Gelände gejagt werde, nicht mit den Jugendlichen reden dürfe. Sie sprach von den Johannitern als eine Organisation, die „zugewandt“ scheine, ein „positives Gefühl des Helfens“ vermittle. „Wir stören heute dieses Image.“

Auch Oerter machte in ihrem Redebeitrag den Trägern der Sozialen Arbeit Vorwürfe. Bei der Unterbringung handele es sich um „behördlich angeordneten und von Sozialarbeitenden ausgeführten Rassismus“.

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