Oneohtrix Point Never und Forest Swords: Gespenster, die nicht vergehen

Neue Alben von US-Produzent Oneohetrix Point Never und vom britischen Künstler Forest Swords schlittern ohne Nostalgie durchs Gestern.

Oneohtrix Point Never sitz auf einem Sessel im Halbschatten

Näher an die Sonne: Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never Foto: Andrew Strasser

Nichts geht mehr, alles ist nur noch Variation von Sounds und Stilen, die es im Pop bereits gibt. Eine endlose Variation des Vergangenen dominiere, hat der britische Autor Simon Reynolds bereits 2011 diagnostiziert und diesen von ihm beklagten Zustand „Retromania“ genannt. Eine endlose Wiederaufführung, über die Pop den exzessiven Drang nach Übermorgen hin zu einer utopisch imaginierten Zukunft verloren hätte.

Zur Retromania-These passte damals eine Musik, die klang, als wäre sie aus den Erinnerungen an vorangegangene Stile gemacht. Gespensterklänge, zusammengesetzt aus verwaschenen Samples, verhallten Stimmen und manchmal stolpernden Beats.

Daniel Lopatins Soloprojekt Oneohtrix Point Never ist einer der produktivsten und ausdauerndsten Künstler jenes Genres. Seit Anfang der Zehnerjahre, als diese Form von Ambient tatsächlich komplett neu wirkte, firmiert sie unter dem Begriff Hauntology oder Hypnagogic Pop.

Formvollendete Geistermusik

Auf seinen stilbildenden Alben „Returnal“ (2010) und „Replica“ (2011), die den Blick zurück und die Repetition schon im Titel ankündigen, fließen Ambient-Flächen, Störgeräusche-Loops und stark verfremdete Samples aus Werbung und alten TV-Formaten zur formvollendeten Geistermusik ineinander. Jetzt ist ein neues Album von Oneohtrix Point Never erschienen, mit dem Titel „Again“.

Oneohtrix Point Never: „Again“ (Warp/Rough Trade)

Forest Swords: „Bolted“ (Ninja Tune/Rough Trade)

Die Herkunft des einem Text von Jacques Derrida entlehnten Begriffs Hauntology zeigt an, wie gut sich Lopatins Sound kulturtheoretisch aufladen lässt: Geräusche, die aus dem Unbewussten des Pop kommen sollen, wie Gespenster, die nicht vergehen wollen, und die klingen, als wären sie der Soundtrack für Zwischenstadien.

Zum Beispiel für den somnambulen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein. Lopatin hat am Diskurs über seine Musik gerne mitgestrickt. Der erste Impuls dafür käme aus einer Art Verwirrung bezüglich der eigenen, sozusagen falschen Erinnerung an Musik von Anderen, hat er kürzlich dem Online-Magazin The Line of Best Fit erzählt.

Jenseits der Wiederholung

Die Musik auf „Again“ lässt sich auch als Ergebnis einer idiosynkratischen Weise hören: Als Musik, die in ihn als Schöpfer eingegangen ist, die er verarbeitet und zu etwas Neuem formt. Etwas, das den einfachen Blick zurück und die Wiederholung tatsächlich überschreitet. Dabei lief Oneohtrix-Point-Never-Sound immer wieder Gefahr, gimmickhaft zu klingen. Gerade nachdem Künst­le­r:in­nen wie ANOHI, Charli XCX, und The Weeknd mit Daniel Lopatin zusammengearbeitet und die Verfremdung von irgendwie trashigen Muzak-Sounds in latent erhabene Klanggebilde für sich genutzt haben.

„Again“ ist nun das erste Album von Oneohtrix Point Never, dem nichts Durchdachtes mehr anhaftet. Bislang gab es stets ein konzeptuelles Gerüst, das alles zusammenhielt. Mit „Garden of Delete“ hat Lopatin 2015 ein Metal-Album ohne Metal produziert. „Age of“ klang dann drei Jahre später wie surreale Kammermusik, und zugleich war es das popaffinste Oneohtrix-Point-Never-Album bis dato. „Again“ wiederum wirkt wie eine einzige Jamsession. Die Düsternis ist verschwunden, und in den besten Momenten entsteht jetzt der Eindruck, dass hier einer angetörnt von Neuem im Heimstudio ausprobiert, was er mit dem Gerätepark anstellen kann.

Ideen in Songs stapeln

Dabei kommen dann immer wieder in Schieflage herumschlitternde Tracks raus, „Nightmare Paint“ zum Beispiel, der freudig-kopflos zwischen Neoklassik, Postrock und kaputten Breakbeats umherzappt. Wie überhaupt oft der Höreindruck entsteht, dass auf „Again“ drei bis vier Tracks in einen gestapelt worden sind. „Memories of Music“ etwa, der in der zweiten Hälfte klingt, als hätte man eine betrunkene Progrock-Band im Keller eingeschlossen und ihr die Gitarren weggenommen.

„On An Axis“ ist dann glasklarer Shoegaze-Pop, nur eben mit freidrehenden Synthesizern. Am Ende ist „Again“ so zum verspieltestem Oneohtrix-Point-Never-Werk bislang geworden. Eine wesentlich direktere, sozusagen weniger intellektuelle Hauntology-Variante hat der britische Musiker Matthew Edward Barnes unter seinem Künstlernamen Forest Swords in die Welt gesetzt.

Vokoder-Geister-Stimme, schwergängige Beats, melancholische Postrock-Gitarren: Auch auf dem neuen Album „Bolted“ ist so etwas wie eine melodramatische, gar nicht abstrakte Hypnagogic-Pop-Variante entstanden. Zum Beispiel die Single, „Butterfly Effect“, die um ein vorsichtig zerhacktes Neneh-Cherry-Sample gebaut ist. Was beim ersten Hören klingt wie eine Variante oder auch ein Rip-off der Musik von Burial, ist dann doch noch mal etwas anderes, eigenes.

Forest Swords im Selbstporträt

Forest Swords: Geschichtsbewusst, aber nicht zu ehrfürchtig Foto: Matthew Barnes

Eine Erinnerungsmusik, die an die große britische Elektronik-Tradition anschließt, sie aber nicht ehrfürchtig wiederholt, sondern als etwas Vergangenes melancholisch wieder aufscheinen lässt. Und die trotzdem tatsächlich tanzbar ist; manchmal zumindest, und wenn auch sehr langsam. Die Musik von Forest Swords vertraut weiterhin auf die Unmittelbarkeit von Pop und Breitwandsounds. Das gerät dann manchmal, etwa im Track „Caged“, mit verfremdeten Chorsounds ins Kinematografische und rückt bedenklich nahe an Kitsch.

Lücke im Mikrogenre

Aber egal, Barnes hat eine Lücke im Mikrogenre gefunden, in der sich Soundtrack-Ästhetik, Dancefloor und melancholische Geister miteinander verbinden. Irgendwie geht es also doch weiter. Vielleicht hat Reynolds mit „Retromania“ auch nur eine temporäre Stillstandsphase diagnostiziert und zur Universaltheorie aufgeblasen, die seither oft von Mu­sik­kri­ti­ke­r:in­nen hergenommen wird, wenn ihnen nichts einfällt.

Wenn auch musikalisch eine Revolution wie Punk oder Hip-Hop so heute nicht mehr denkbar ist, verschiebt und verändert sich doch laufend einiges: Produktionsbedingungen, auf Gender-Zuschreibungen basierende Machtverhältnisse, die Rolle der Popkritik selbst. Der auch in „Retromania“präsente Kulturpessimismus wirkt da latent boomerhaft. Und Reynolds’ These lässt sich eben leider auch als rhetorisch brillante und argumentativ sehr überzeugende Variation von „Früher war alles besser“ lesen.

Die Melancholie in der Musik von Forest Swords und Oneohtrix Point Never ist aber auch ohne Verfallsdiagnose beschreibbar. Mark Fisher hat in seinem Buch „Ghosts of My Life“ den Diskurs über das Mikrogenre ins Politische gewendet: Hauntology würde von den unter kapitalistischen Bedingungen und allgemeiner Entfremdung zwangsläufig uneingelösten Versprechen des Pop erzählen.

So verstanden, sind die Alben von Forest Swords und Oneohtrix Point Never Beiträge in der Weiterentwicklung von elektronischer Musik: Sie schildern neue Kapitel, die sich auf Vergangenes beziehen, aber, eben weil sie dieses Vergangene kenntlich machen, nie alt klingen. Und doch so, als sei ihre Musik im Wissen entstanden, dass in der nicht mehr rekonstruierbaren Erinnerung zwangsläufig etwas verloren gegangen ist.

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