US-Jazzerin Carla Bley ist tot: Gesellschaftsverändernde Musik

Die Jazzkomponistin und Bandleaderin Carla Bley ist eine wichtige Stimme der US-Avantgarde. Nun ist die 87-jährige gestorben. Ein Nachruf.

Carla Bley am Piano beim Jazzfestival in Turin, April 2018

Carla Bley am Piano beim Jazzfestival in Turin, April 2018 Foto: Marco Destefanis/imago

Zuletzt wirkte sie unendlich ­schmal und zerbrechlich, die Augen unter dem tiefsitzenden Pony kaum zu erkennen, als ihr Lebenspartner, der Bassist Steve Swallow, sie behutsam auf die Bühne und zum Klavier führte.

Carla Bley, US-Komponistin von einigen der ergreifendsten Melodien des Jazz, wie „Ida Lupino“, das sich auch im Repertoire großer Pia­nis­t*in­nen findet, etwa bei Irène Schweizer, Aki Takase und Carlas erstem Ehemann Paul Bley.

Besonders auf dessen Soloalbum „Open, to love“ (1972). Vorsichtig erkundend, verspielt und repetitiv das Thema immer variierend, unendlich zärtlich. Auch Carla Bleys andere Kompositionen auf diesem Album sind filigrane, beinahe flüchtige Miniaturen ihrer frühen Jahre.

Zigarrettenmädchen im Birdland

Kennengelernt hatte sich das Paar im New Yorker Jazzclub „Birdland“, wo die 1936 in Oakland, Kalifornien, als Lovella May Borg geborene Musikerin zunächst unter dem Namen „Carla Borg“ als Zigarettenmädchen arbeitete. Sie hatte ihr streng religiöses Elternhaus verlassen und war im Alter von 17 Jahren nach New York getrampt.

In der Kirche, in der ihr Vater als Organist tätig war, hatte sie schon im Kindesalter Orgel gespielt und bald begonnen, eigene Musik zu komponieren. 1971 war ihre Avantgarde-Oper „Escalator Over The Hill“ erschienen, ein Gesamtkunstwerk aus Jazz und neuer Musik mit Rockelementen und indischer Perkussion, aufgenommen zwischen 1968 und 1971 in New York.

Es ist ein Tripplealbum in goldendem Cover und einem Libretto des surrealen Dichters Paul Haines über ein Zusammentreffen verschiedenster Figuren und Dinge in einem fiktiven Hotel in Indien. Darunter Carla Bley in der Rolle als Mutantin, Don Cherry als „Sandhirte“, Sheila Jordan als „Gebrauchte Frau“ und Roswell Rudd als „Lautsprecher“.

Vom Orchester zur Genossenschaft

Auch Karl Berger, Charlie Haden und Jeanne Lee befanden sich unter den Mitwirkenden, als Teil des Jazz Composer’s Orchestra, das Carla Bley 1965 gemeinsam mit dem Trompeter Michael Mantler gegründet hatte, den sie 1967 heiratete. Zu diesem Zeitpunkt gehörte sie bereits zu den prägenden Figuren der musikalischen Avantgarde.

Um eigene Vertriebswege und Förderung zu ermöglichen, war sie Mitgründerin des „Jazz Composer’s Guild“, eines genossenschaftlichen Zusammenschlusses von Kom­po­nis­t*in­nen für die Selbstverwaltung ihrer Musik.

Gemeinsam mit Mantler gründete sie dafür das Indie-Plattenlabel JCOA und später für ihre Solowerke Watt. Rückblickend erinnerte sie sich, wie sie als Frau in der Gilde immer wieder herablassend bis ablehnend behandelt wurde. Sun Ra weigerte sich sogar, Bley als gleichwertig stimmberechtigt zu akzeptieren, wie sie 2021 dem Internetmagazin The Quietus berichtete.

Für Peter Brötzmann und Peter Kowald war sie dagegen früh ein wichtiges Vorbild. Zusammen mit den beiden tourte sie 1966 durch Europa. Ab 1969 war Carla Bley zudem Dirigentin und Arrangeurin des Liberation Music Orchestra von Charlie Haden, das sich mit der Politik der USA und deren Folgen künstlerisch auseinandersetzte: Vom Vietnamkrieg bis zum Irak­krieg.

Auch auf ihren eigenen Aufnahmen und noch auf ihrem letzten Trio-Album „Life Goes On“ (2020) mit ihrem langjährigen Lebenspartner, dem Bassisten Steve Swallow, und dem Saxofonisten Andy Sheppard nahm sie immer wieder politisch Bezug.

Am 17. Oktober ist Carla Bley in ihrem Haus in Willow, New York, 87-jährig an den Folgen eines Hirntumors gestorben. Bis zuletzt blieb sie eine kompromisslose Künstlerin, die an die gesellschaftsverändernde Kraft von Musik glaubte.

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