Wissenschaftsfreiheit gestärkt: Kriminologie braucht Vertraulichkeit

Die Staatsanwaltschaft hat kriminologische Forschungsinterviews beschlagnahmt. Das war unzulässig, sagt das Bundesverfassungsgericht.

Eine uniformierte Person schließt eine Zelle auf.

Forschungsfreiheit der Kiriminologie: Interviews mit inhaftierten Islamisten geschützt Foto: Daniel Karmann/dpa

FREIBURG taz | Kriminologische For­sche­r:in­nen haben in der Regel ein Zeugnisverweigerungsrecht über ihre Gespräche mit Straftäter:innen. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht und verwies auf die Wissenschaftsfreiheit. Konkret ging es um ein Forschungsprojekt an der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Psychologieprofessor Mark Stemmler untersuchte die „Islamistische Radikalisierung im Justizvollzug“.

Dabei führte er auch Interviews mit inhaftierten Islamisten und sicherte ihnen Vertraulichkeit zu. In einem Informationsschreiben hieß es: „Wir haben Schweigepflicht und dürfen der Gefängnisleitung oder anderen Bediensteten nichts von dem erzählen, was sie uns sagen. Nur wenn Sie uns von einer geplanten Straftat erzählen, müssen wir das melden.“

Dann interessierte sich jedoch die Generalstaatsanwaltschaft München für einen von Stemmlers Interviewpartner, dem die Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS vorgeworfen wurde. Die Staatsanwaltschaft verlangte die Rohdaten des Interviews heraus und erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss.

Der Psychologe wehrte sich gegen die drohende Beschlagnahme, doch das Oberlandesgericht (OLG) München lehnte seine Beschwerde ab. Wissenschaftler hätten kein Zeugnisverweigerungsrecht. Anders als Journalisten seien sie nicht auf den Schutz ihrer Quellen angewiesen. Vielmehr müsse Wissenschaft transparent sein und die Quellen sogar veröffentlichen. Für den Professor gelte daher auch kein Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot.

Verfassungsbeschwerde unzulässig

Anschließend wandte sich der Psychologieprofessor an das Bundesverfassungsgericht und seine Verfassungsbeschwerde hätte fast Erfolg gehabt. Sie war aber unzulässig, weil sein Anwalt die Beschwerde zu spät einreichte. Eine mit drei Rich­te­r:in­nen besetzte Kammer des Verfassungsgerichts nutzte den Fall ganz unkonventionell dennoch, um klarzustellen, dass das OLG München falsch entschieden hatte. Es habe das Gewicht der Wissenschaftsfreiheit nicht angemessen berücksichtigt.

„Die Forschungsfreiheit umfasst auch die Erhebung und Vertraulichkeit von Daten im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsprojekte“, heißt es in der Karlsruher Entscheidung. Sensible Daten seien oft nur unter Zusage der Vertraulichkeit zu erlangen. Bei kriminologischer Forschung über Straftaten sei dies sogar „offenkundig“, erklärten die Verfassungsrichter:innen.

Zwar müsse auch die Wissenschaftsfreiheit im Konflikfall mit anderen Verfassungsgütern abgewogen werden, so Karlsruhe. Auch die „effektive Strafrechtspflege“ sei vom Grundgesetz geschützt. Allerdings könne sich nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch der Kriminologe hierauf berufen. „Eine effektive Verhinderung von Straftaten setzt deshalb genau jene Forschung voraus, die durch den Zugriff auf ihre Daten zum Zwecke der konkreten Strafverfolgung erheblich erschwert oder verunmöglicht wird“, betonen die Verfassungsrichter:innen.

Im konkreten Fall hatte die Staatsanwaltschaft die wissenschaftlichen Daten schon längst ausgewertet. Deshalb war das verspätete Einreichen der Verfassungsbeschwerde hier letztlich wohl kein großes Malheur. Für die Zukunft ist nun jedoch klargestellt, dass die Staatsanwaltschaft Vertraulichkeitszusagen von Kriminologen beachten muss.

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