Nürnberg digitalisiert Wohngeldanträge: Wo der Woggybot schuftet

Ein Roboter übernimmt Behördenaufgaben, die selbst den feurigsten Sach­be­ar­bei­te­r*in­nen keinen Spaß machen. Das spart nicht nur ein paar Minuten.

Blick über die Dächer der Stadt Nürnberg

Ein Preis für digitales Wohngeldverfahren: Nürnberg Foto: Imago

Zuerst denkste: Das darf ja wohl nicht wahr sein. Ausgerechnet Nürnberg hat einen Preis für sein innovatives Wohngeldantragsbearbeitungsverfahren bekommen. Dabei gehört die Stadt in Franken landauf, landab zu den Beispielen, wenn es darum geht, zu zeigen: Das dauert zu lang. Sechs Monate bis zum Bescheid scheinen dort eher die Regel als die Ausnahme zu sein.

Das bestätigt auch Alissia Müller, die fürs lokale Obdachlosenmagazin Straßenkreuzer zum Thema recherchiert. Im Frühjahr hatte sie eine Frau beim Wiederbewilligungsantrag unter den neuen Wohngeld-Plus-Bedingungen begleitet. Sprich: bei einem Antrag, bei dem im Grunde schon alles klar und die erneute Zustimmung kaum mehr als eine Formsache ist. Jetzt, nach einem halben Jahr, liege immerhin der Positivbescheid ihrer Informantin vor, so Müller zur taz. „Aber da steht noch nicht drin, wann das Geld endlich überwiesen wird.“ Und von Rückfragen werde gebeten abzusehen.

Weia. Und dafür bekommt diese Stadtverwaltung jetzt auch noch eine Auszeichnung?! Es klingt fast zynisch, und lokale Medien von Nürnberger Nachrichten bis Franken TV. scheinen die Erfolgsmeldung vorsichtshalber gar nicht aufgegriffen zu haben. Dabei war der Digital-Award ja im Rahmen der „Kommunale 2023“ verliehen worden, also der Fachmesse für die Selbstverwaltung von Städten und Gemeinden, die, Sie ahnen es, in Nürnberg stattfand.

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Und Nürnberg hat den ersten Preis in der Kategorie „Städte ab 20.000 Ein­woh­ne­r*in­nen“ auch wirklich verdient. Statt freie Digitalisierungsgelder in prestigeträchtige Spielereien zu stecken, hat man Woggybot entwickelt, also einen Roboter fürs Wohngeldverfahren. Den hat vor exakt einem Jahr ein Team aus Sozialamt, IT-Abteilung und dem Amt für Digitalisierung programmiert und trainiert. Seit Jahresbeginn ist er regulär in Betrieb.

Sachbearbeiter ohne Gesicht

Man dürfe beim Wort Roboter nicht an einen Humanoiden denken, warnt ein Sprecher des Amts vor SciFi-Vorstellungen. Auch könne das Programm weder dringliche Wohngeldfälle priorisieren noch den gesamten Antrag erledigen. „Ich würde das nicht mal als KI bezeichnen“, so der Sprecher. Genau genommen geht es darum, dass der Bot den Antrag mit dem Melderegister abgleicht und die Daten von Formular und Register in einer Stammakte zusammenführt.

Das sind zeitfressende Routineaufgaben, die auch den feurigsten Sach­be­ar­bei­te­r*in­nen keinen Spaß machen. Auf „zwischen sechs und acht Minuten“ könne die Zeitersparnis durch diesen Automatisierungsschritt beziffert werden. Was für andere Verwaltungen, die mit demselben Problem zu kämpfen haben, eine wichtige Info ist. Denn sechs Minuten, das klingt wenig. Ist es aber nicht: Den sechs Monaten durchschnittlicher Bearbeitungsdauer entsprechen ja auch nur rund 90 Minuten reiner Bearbeitungszeit. Aufs Jahr hochgerechnet bedeutet das mindestens 2.500 Stunden Entlastung für die Leute vom Amt.

Den Mehraufwand, den die Einführung von „Wohngeld Plus“ zum 1. Januar bedeutet, kompensiert das freilich nicht. Mit 50.000 Anträgen kalkuliert Nürnberg 2023. Das entspricht rund 17,4 Prozent der Haushalte. Bewilligt werden dürfte davon fast die Hälfte. Das Aufkommen hat sich also mehr als verdreifacht, ohne dass dreimal so viel Personal da wäre. Den Wartenden bleibt als schwacher Trost, dass der kleine Minsky Woggybot ihr Freund ist: Er kann helfen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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