Die Weihnachtsmarkt-Saison ist eröffnet: Außer Zauber gibt es alles

Der wohl früheste Weihnachtsmarkt aller Zeiten bringt viel Rummel und kaum Besinnliches nach Lichtenberg. Ein ernüchternder Rundgang.

Buden, Fahrgeschäfte, eben Rummel mit Weihnachtsflair: der „Winterzauber“-Weihnachtsmarkt an der Landsberger Allee

Enormer Hang zur Geschmacklosigkeit: der „Winterzauber“-Weihnachtsmarkt an der Landsberger Allee Foto: Joerg Carstensen/dpa

BERLIN taz | Eigentlich beginnt die Saison für die Berliner Weihnachtsmärkte erst Ende November. Aber wer sich schon jetzt ordentlich in eine ausgelassene Stimmung bringen möchte, kann das seit dem Wochenende in Lichtenberg tun: Beim „Winterzauber“ an der Landsberger Allee, der sich selbst als der am frühesten geöffnete Weihnachtsmarkt Deutschlands bewirbt – und als der größte der ganzen Stadt.

Der „Winterzauber“ hieß früher einmal „Wintertraum“ und fand da noch am Alexa in Mitte statt, aber Namen bedeuten im Zusammenhang mit diesem Event ohnehin nicht viel. Denn so wenig wie der alte Markt etwas mit einem Traum gemein hatte, lässt sich beim neuen auch nur ein Hauch von Zauber erkennen.

Die drei Schneemänner auf dem Plakat werden wohl die einzigen bleiben

Und von Winter, wo man doch mit etwas innerer Stärke immer noch draußen im T-Shirt herumrennen kann, gleich gar nicht. Die drei Schneemänner, die einen am Eingang auf einem Plakat mit den Worten „Schön, dass du da bist!“ begrüßen, schaut man sich aber ganz genau an. Weiß man doch, dass es dank Klimawandel wahrscheinlich die einzigen Berliner Schneemänner bleiben werden, die man in dieser Saison zu Gesicht bekommen wird.

Es ist gut und richtig, dass der „Winterzauber“ als erster und größter seiner Art sozusagen die Mutter aller Berliner Weihnachtsmärkte ist. Von denen gibt es jede Menge, die Stadt ist geradezu verrückt nach Weihnachtsmärkten. Und die meisten von ihnen zeichnen sich durch einen enormen Hang zur Geschmacklosigkeit aus. Sie versuchen gar nicht mehr, so zu tun, als ginge es bei ihnen um etwas anderes als um Shoppen, Fressen, Saufen.

Nur ein Simulacrum

Der „Winterzauber“ toppt auch in dieser Hinsicht klar die gesamte Konkurrenz. Er ist wirklich nur noch das Simulacrum eines Weihnachtsmarkts, in Wahrheit aber ein fast gar nicht mehr getarnter Rummel. Auf dem weitläufigen Gelände gibt es alles, was es auch auf einem Jahrmarkt gibt: eine Geisterbahn, ein Riesenrad, Fahrgeschäfte und Schokofrüchte. Nur eben dazwischen auch jede Menge Weihnachtsmannfiguren und Glühweinstände – um den Schein zu wahren. Und auf einer Werbeanzeige wird einem „Frohe Weihnacht“ gewünscht, damit man nicht komplett vergisst, wo man sich befindet.

Bei der Namenswahl „Winterzauber“ dann doch zu begrüßen ist die Tatsache, dass das Wort Weihnachten gar nicht vorkommt. Wenn der Hubsi Aiwanger das mitbekommen sollte, wird er zwar so sicher wie das Amen in der Kirche tweeten, da würde man mal wieder sehen, dass im gottlosen Berlin wegen dieser ganzen elendigen Political Correctness ein Weihnachtsmarkt nicht mehr Weihnachtsmarkt heißen darf.

Aber immerhin wirkt der fehlende Bezug auf ein christliches Fest im Namen tatsächlich integrativ, was besonders derzeit wirklich sehr zu begrüßen ist. Es gibt ja gerade einen wahren Überbietungswettbewerb darin, alle Nicht-Biodeutschen aus dem Land werfen zu wollen, die sich nicht von jetzt auf gleich so benehmen, wie es Friedrich Merz und die Bild gern hätten.

Malletaugliche Schlager

Und beim „Winterzauber“, das ist deutlich sichtbar bei den Besuchern, passen sich auch Menschen muslimischen Glaubens gern typisch christlich-deutschen Gepflogenheiten an. Hier muss niemand befürchten, dass ein Kinderchor „Ihr Kinderlein kommet“ trällert oder sonstiges christlich konnotiertes Brauchtum außer dem ollen Weihnachtsmann aufgefahren wird. Ganz im Gegenteil plärren aus den Fahrgeschäften ausschließlich malletaugliche Schlager, und an einem hört man tatsächlich den ewigen Sommerhit „Vamos a la playa“. Als wolle man damit belegen, dass es hier wirklich nur um Remmidemmi und Halligalli und ganz bestimmt nicht um Weihnachten geht.

So sieht man dann auch wirklich viele Familien mit Kopftuch tragenden Frauen, für die die Geburt Jesu wahrscheinlich nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Was auch den Vorteil hat, dass die dann wenigstens während ihres Aufenthalts auf dem „Winterzauber“ nicht auf diesen „From the river to the sea“-Demos herumrennen, die es nun ja gerade inflationär gibt. Aber leider werden sich die ganzen Achtsamkeitslinken, die, wie man gerade mit Erschrecken feststellt, gar nicht genug von diesen Demos bekommen können, hier nicht in gleichem Maße gut aufgehoben fühlen.

Eine Losbude wird von Donald Duck und halb Entenhausen geschmückt, an einer anderen sieht man Mickymaus. Und der Weihnachtsmann, der hier wie eine Art Götzenfigur überall präsent ist, das ist doch dieser von der Coca Cola Company erfundene Typ. Mehr von diesem verabscheuungswürdigen Amerikanismus, von dem es dann nur noch ein sehr kurzer Weg zum Zionismus ist, geht ja kaum. Und was noch schlimmer ist: Mehr alter weißer Mann als der Weihnachtsmann ist ja auch kaum denkbar. Der „Winterzauber“ wird diese Linken also leider nicht von diesen Demos fernhalten können.

Einen Moment lang denkt man, vielleicht sollte man doch mal seiner Reporterpflicht nachgehen und ein paar Besucher befragen. Etwa danach, ob bei ihnen bei all dem Lärm und Trubel so etwas wie vorweihnachtliche Stimmung oder gar Besinnlichkeit aufkommt. Aber dann denkt man sich, dass man das sich auch getrost selbst beantworten kann: sicherlich nicht. Einer hat einen plüschigen Riesenpenis mit Augen auf der Eichel in der Hand. Immerhin von dem möchte man wissen, wo er denn den herhat. Seine Frau hat ihn wohl gewonnen. Na, dann herzlichen Glückwunsch!

„Winterzauber“: täglich bis zum 30. Dezember an der Landsberger Allee 300 in Lichtenberg.

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