Nahost-Krisendiplomatie: Frostiger Empfang in Ankara

US-Außenminister Blinken trifft auf Nahost-Krisentour seinen türkischen Ministerkollegen. Präsident Erdoğan verzichtete – er war nicht da.

Antony Blinken

Vor dem Abflug: US-Außenminister Blinken am 6. November auf dem Flughafen in Ankara Foto: Jonathan Ernst/reuters

taz | Antony Blinken ist auf Krisendiplomatie-Tour. Der US-Außenminister versucht zurzeit, von Zypern über Jordanien bis zum Irak Unterstützung für die amerikanischen Bemühungen einer humanitären Feuerpause zu gewinnen. Seit Donnerstag ist er in der Region unterwegs. Auf der letzten Station seiner Reise war Blinken am Montag in der türkischen Hauptstadt Ankara. Doch statt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu sprechen, musste er mit seinen Außenministerkollegen Hakan Fidan vorliebnehmen.

Erdoğan hatte schon am Sonntag öffentlich mitgeteilt, er werde Blinken nicht empfangen. Er sei zurzeit auf einer Reise am Schwarzen Meer und gedenke nicht, für den US-Außenminister extra nach Ankara zu kommen. Ein gezielter Affront, der dazu führte, dass auch sein Gespräch mit Hakan Fidan wohl im Austausch von bekannten Positionen bestand. Blinken sagte im Anschluss, er gehe davon aus, dass es in den nächsten Tagen mehr humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen geben werde. Mit Zypern sei ein humanitärer Schiffskorridor verabredet worden. Jordanien habe Hilfsgüter aus der Luft über Gaza abgeworfen.

Erdoğan fordert seit dem Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen einen sofortigen Waffenstillstand. Eine humanitäre Feuerpause, wie die USA sie wollen, reicht ihm bei Weitem nicht. Genau wie der jordanische König und der Ministerpräsident des Irak verurteilt Erdoğan den massiven Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen als „Kriegsverbrechen“. Nachdem Erdoğan sich unmittelbar nach dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober noch als Vermittler auch bei der Befreiung der aus Israel entführten Geiseln angeboten hatte, hat er nach und nach seine Position radikalisiert. Er unterstützt nun mehr oder weniger offen die Hamas.

In einer Rede nannte er die Hamas neulich „Freiheitskämpfer“, von den israelischen Opfern war da keine Rede mehr. Vielleicht merkte Erdoğan, dass er als Vermittler keine Rolle spielen kann, ohnehin lehnt Israels Premierminister Netanjahu das Angebot der Hamas, alle Geiseln gegen alle rund 6.000 palästinensischen Gefangenen auszutauschen, kategorisch ab. Erdoğan ist nun im Kampfmodus gegen Israel und die USA als dessen wichtigster Unterstützer. Schon vor Tagen hatte er angekündigt, Ministerpräsident Netanjahu „nie mehr“ sprechen zu wollen. Die diplomatischen Beziehungen zu Israel wolle er aber nicht gänzlich abbrechen. Zwar sind sowohl der israelische Botschafter aus Ankara als auch der türkische Botschafter aus Tel Aviv längst zurückgerufen worden, doch ein türkischer Geschäftsträger ist nach wie vor in Israel.

Protestmarsch zu Nato-Luftwaffenstützpunkt

Mittlerweile ist Erdoğan auch innenpolitisch unter Druck. Zahlreiche islamistischen Gruppen, die alle zum Unterstützerumfeld Erdoğans gehören, demonstrieren längst unter der Parole „Tod Israel“. Sein Koalitionspartner Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP, forderte gar, türkische Soldaten an die Seite von Hamas nach Gaza zu schicken. Aus Protest gegen den Besuch von Antony Blinken organisierte die islamische Wohlfahrtsorganisation IHH am Wochenende einen türkeiweiten Marsch zum Nato-Luftwaffenstützpunkt İncirlik, eines der wichtigsten Drehkreuze der US-Luftwaffe für den Nahen Osten.

International als Organisation bekannt wurde die IHH, als sie 2010 eine Schiffsflotille organisierte, die die israelische Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollte. Die Schiffe wurde von der israelischen Marine vor Gaza, aber noch in internationalen Gewässern, gewaltsam gestoppt, zehn türkische Aktivisten auf dem Führungsschiff „Mavi Marmara“ wurden getötet. Die Aktion bekam vor 13 Jahren weltweite Aufmerksamkeit und war mit ein Hauptgrund für den zeitweiligen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel.

Jetzt wollte die IHH mit ihrem Marsch auf İncirlik Ähnliches wiederholen. Tatsächlich versuchten am Sonntag Tausende islamistische Demonstranten, den Zaun rund um den Militärflughafen zu durchbrechen. Die Polizei musste Wasserwerfer und Tränengas einsetzen. Zeitgleich versuchten IHH-Anhänger am Sonntag und Montag, US-Einrichtungen in Ankara zu blockieren und zu belagern. Vor diesem Hintergrund war es nicht verwunderlich, dass er sich lieber nicht persönlich mit dem amerikanischen Außenminister blicken lassen wollte.

Die Türkei und die USA haben angespanntes Verhältnis

Die Türkei hat aber auch jenseits des Krieges zwischen Israel und der Hamas noch weitere tiefgreifende Konflikte mit ihrem Nato-Partner USA. Seit Jahren beklagt die Türkei die amerikanische Unterstützung für die Kurden in Syrien, die gemeinsam mit US-Truppen den IS bekämpft haben. Ankara ist der Meinung, die kurdisch-syrischen Milizen seien ein direkter Ableger der PKK-Separatisten, gegen die die türkische Armee seit nunmehr fast 30 Jahren kämpft.

Darüber hinaus hängt der Nato-Beitritt Schwedens immer noch an einem positiven Votum des türkischen Parlaments. Dieses zögert Erdoğan zum Ärger Washingtons hinaus, weil der US-Kongress nach wie vor nicht der Lieferung von Kampfjets des Typs F-16 an die türkische Armee zugestimmt hat. Mit seinem Konfrontationskurs gegen die USA und den Westen insgesamt entfernt Erdoğan die Türkei allerdings immer mehr von den übrigen Nato-Mitgliedern. Seine Weigerung, Antony Blinken zu empfangen, wird nicht dazu beigetragen haben, die Beziehungen zu verbessern.

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