Musiker über Konzert im Dunklen: „So intensiv wie möglich“

Wenn die Zuhörenden im Dunklen sitzen: Das Orchester im Treppenhaus gibt ein „Dark Room“-Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie.

Die Comedian Anke Engelke und der Künstler Joseph Beuys, mit Schlafbrille fotografiert

Kommen heute wohl nicht ins Konzert: Anke Engelke und Joseph Beuys mit Schlafbrille auf Foto: Freddy Langer/Picasso Museum MS/dpa

taz: Herr Posth, Ihr Orchester interessiert sich für die Frage: „Was kann klassische Musik heute?“ Was kann sie denn – oder was könnte sie, wenn es nach Ihnen ginge?

Thomas Posth: Sie kann auf jeden Fall sehr viel mehr, als man so gemeinhin erleben kann. Wir sind natürlich große Fans von klassischer Musik und wissen, dass sie wohl für fast alle Menschen ein toller Teil in ihrem Leben sein könnte. Sie erleben sie vielleicht einfach nur nicht – oder nicht auf die richtige Art. Ich glaube fest daran: Wenn man die richtigen Möglichkeiten findet, diese Musik zu spielen und einzusetzen und zu den Menschen zu bringen, kann man auch sehr viele Menschen dafür gewinnen.

Wo genau liegt das Problem – ist es der Konzertsaal mit seinen Benimmregeln?

Ich würde das mal von zwei Seiten angehen. Zum einen hat das klassische Konzert natürlich ein ganz klares Profil, das viele Menschen einfach nicht anzieht oder sogar abschreckt. Unter anderem, weil es ja seit sehr langer Zeit immer gleich geblieben ist. Es gibt mit dem Sinfoniekonzert quasi nur ein Klassik-Format, dazu zwei, drei Nebenstränge. Was tun, um neues Publikum zu gewinnen? Unser Ansatz ist zum einen das Versprechen eines Gesamterlebnisses, das ungewöhnlich ist und auf jeden Fall anders, als man es üblicherweise in klassischen Konzerten findet. Und im Konzert inszenieren wir alles so, dass die Musik so intensiv und berührend wie möglich erlebt wird.

Thomas Posth

*1976 in Tübingen, hat Schulmusik, Violoncello und Dirigieren studiert und unter anderem Chor- sowie Orchesterleitung gelehrt. 2006 gründete er das Orchester im Treppenhaus in Hannover, dessen künstlerischer Leiter und Geschäftsführer er bis heute ist.

Eine andere heute sehr populäre Idee in diesem Sinne ist das Aufführen von Filmmusik. Oder gleich eines populären Films – und ein Orchester spielt dazu. Da wird die Musik geradezu in die Nebenrolle gedrängt. Darum geht es bei Ihnen aber gerade nicht.

Ja, hier finden sich die Menschen wieder, hören die ihnen bekannte Lieblingsmusik live auf der Bühne. Diese Verbindung über die Liebe zur Musik suchen wir auch. Aber wir wollen unsere Lieblingsmusik spielen, das ist nun mal Brahms, Mozart, tolle Neue Musik. Und das so, wie sie ist, ohne sie zu verpoppen oder -jazzen. Egal, was wir machen: Wir spielen tolle klassische Musik. Und während wir das tun, passiert so gut wie nie noch etwas anderes.

Was diese Abwesenheit von Ablenkung angeht, ist das nun erstmals in Hamburg anstehende Format geradezu der Gipfel: Im „Dark Room“ hört das Publikum in völliger Dunkelheit zu. Geht das denn überhaupt? Müssen in einem deutschen Konzertsaal denn nicht, sagen wir: die Rettungswege beleuchtet werden?

Wir haben da einen Trick: Die Musikerinnen und Musiker stehen schon draußen vor dem Saal, und dort bekommt das Publikum Schlafbrillen ausgehändigt. Dann bringen wir die Menschen rein – jede und jeder sitzt dann für sich in völliger Dunkelheit.

Das heißt auch: Wenn mich das alles überfordert, nehme ich einfach die Brille ab.

Genau. Aber die Allermeisten lassen sich drauf ein, vertrauen sich uns an – auch für uns ist das ein sehr schöner Vorgang. Wir denken bei allen unseren Formaten das Publikum von vornherein immer ganz intensiv mit – und wir wollen den Kontakt zum Publikum. Wir wollen, dass es ein Gemeinschaftserlebnis wird.

Was macht ausgerechnet ein Stück wie Franz Schuberts „Winterreise“ besonders geeignet dafür?

Schon vor vielen Jahren hatte ich den Wunsch, das Stück in einer eigenen Bearbeitung zu spielen. Wir haben die gesamte Winterreise neu bearbeitet und bringen gerade eine CD heraus. Und wir haben mit der Autorin Julia von Lucadou eine ganz wunderbar darum herum passende Geschichte gefunden, die wir erzählen. Am Ende geht alles Hand in Hand: die Musik, der Inhalt der Musik, diese verzweifelte Wanderung und die rahmende Geschichte.

„Dark Room – eine musikalische Spurensuche im Dunkeln“ mit dem Orchester im Treppenhaus sowie den Spre­che­r:in­nen Luise Helm und Norman Matt: Di, 14.11., 19.30 Uhr, Hamburg, Elbphilharmonie (Kleiner Saal)

Der Dark Room ist nur einer Ihrer Einfälle – b ei Ihrem ersten Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie haben Sie das Publikum im Großen Saal zum tanzen gebracht.

Wir haben viele extrem unterschiedliche Formate entwickelt, Konzerte mit Apps, Notfallkonzerte für einzelne Menschen, immersive Konzerte in Videoprojektionen. Und bei „Disco“ spielen wir ganz analog Musik auf der Schnittstelle zwischen Klassik und Club. Und dazu tanzen tausende Menschen enthusiastisch. Auch das kann klassische Musik heute.

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