Debatte um die Haushaltskrise: Spielraum trotz Schuldenbremse

Weg mit der Schuldenbremse? Das ist unrealistisch. Man sollte das Karlsruher Urteil zum Haushalt genau lesen: Zusatzkredite sind weiterhin möglich.

Die Bundesverfassungsrichter in roten Roben

Das Verfassungsgericht gibt der Ampel Möglichkeiten: Vorsitzende Doris König bei der Verkündung Foto: Uli Deck / dpa

Die Forderung, die Schuldenbremse abzuschaffen oder umzugestalten, bringt zur Lösung der aktuellen Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nichts und lenkt nur ab. Eine Verfassungsänderung benötigt eine Zweidrittelmehrheit, die ist bis auf Weiteres nicht zu sehen. Punkt. Entscheidend ist, dass die Ampel sich darauf verständigt, die Möglichkeiten zu nutzen, die das Urteil dem Bundestag belässt. Beschlüsse zur Anwendung der Notlagenklausel sind mit einfacher Mehrheit des Bundestags möglich. Diese einfache Mehrheit hat die Koalition, hier ist sie handlungsfähig.

Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich nicht verboten, mehrjährige Konjunkturprogramme als Reaktion auf unabsehbare Notlagen mit Zusatzkrediten jenseits der Schuldenbremse zu finanzieren. Das Gericht hat dafür aber „jährlich wiederholte Feststellungen der Notlagensituation“ gefordert. Das heißt: Die Schulden dürfen nicht einmalig 2021 verbucht werden, wenn das Geld erst 2024, 2025 und 2026 ausgegeben wird.

Beim „Veranlassungszusammenhang“ zwischen Notlage und Geldausgeben hat das Gericht dem Bundestag sogar einen „Beurteilungsspielraum“ gegeben, und die Karlsruher Rich­te­r:in­nen haben ihre eigene „Kontrolldichte“ zurückgenommen. Allerdings muss die Begründung des Bundestags umso präziser sein, je länger die Ausgaben zeitlich vom auslösenden Ereignis entfernt sind. Nicht nur die Corona-Pandemie ist eine derart fortwirkende Großkrise. Auch der Ukrainekrieg, der einen weitgehenden Umbau der Energieversorgung erforderte, rechtfertigt juristisch die „jährlich wiederholte“ Durchbrechung der Schuldenbremse.

Es dürfte Finanzminister Christian Lindner leicht fallen, solche jährlichen Beschlüsse des Bundestags zu akzeptieren, wenn er sich daran erinnert, dass die FDP den Ausgaben ja bereits zugestimmt hat. Nach dem Karlsruher Urteil soll ja nicht mehr ausgegeben werden als geplant, die Ausgaben müssen nur präziser begründet und korrekt verbucht werden. Das sollte doch machbar sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.