Reform des Staatsangehörigkeitsrechts: Kein Pass für benachteiligte Gruppen

Die Ampel will Einbürgerungen erleichtern. Zugleich droht eine Verschärfung, die vor allem Frauen und Menschen mit Behinderung treffen könnte.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) steht beim Einbürgerungsfest des Freistaates Thüringen im Erfurter Kaisersaal mit eingebürgerten Menschen für ein Gruppenfoto beisammen

Einbürgerungsfest in Erfurt: Die Ampel will schneller einbürgern, aber die Anforderungen verschärfen Foto: Martin Schutt/dpa

BERLIN taz | Ich hoffe, dass wir bleiben dürfen“, sagt Hafsa Shamalieh. „Ohne die Angst, immer wieder vor neuen befristeten Aufenthalten oder einer Abschiebung zu stehen.“ Vor zehn Jahren kam die Syrerin mit ihrer schwerbehinderten Tochter nach Deutschland. Shamalieh lebt heute getrennt von ihrem Mann und ist alleinerziehend. Ihr Ex-Mann ist mittlerweile Deutscher. Vor zwei Jahren hat auch Shamalieh die Einbürgerung beantragt. Sie wartet immer noch auf eine Entscheidung. Doch wenn es nach der Bundesregierung geht, wird es in Kürze weder für sie noch für ihre Tochter möglich sein, Deutsche zu werden.

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Das Staatsangehörigkeitsrecht soll reformiert werden. Die Reform soll schnellere Einbürgerung ermöglichen und somit den Zugang zu gesellschaftlicher und demokratischer Teilhabe für Menschen erleichtern, die bereits lange in Deutschland leben. Nach dem Entwurf soll eine Einbürgerung künftig in der Regel schon nach fünf Jahren möglich sein, statt wie bisher nach acht Jahren. Bei besonderen Integrationsleistungen und fortgeschrittenen Sprachkenntnissen könnte sie sogar nach drei Jahren erfolgen.

Auch die doppelte Staatsangehörigkeit soll möglich werden. Für die sogenannte Gastarbeitergeneration soll zudem auf den Deutsch- und Einbürgerungstest verzichtet werden. Jedoch gibt es eine geplante Änderung, die diese fortschrittlichen Reformvorschläge aus der Sicht von Kritikern regelrecht in den Schatten stellt: Die Regelungen zum Lebensunterhalt sollen deutlich verschärft werden.

Eine der Voraussetzungen, um eingebürgert zu werden, ist schon jetzt die wirtschaftliche Integration, also das selbstständige Finanzieren des Lebens ohne staatliche Hilfe. Wer diese Voraussetzung nicht erfüllt, kann in der Regel nicht eingebürgert werden.

Die Ausnahme fällt weg

Bisher gilt dabei aber eine wichtige Ausnahme: Die Einbürgerungswillige darf Sozialleistungen beziehen, wenn sie für deren Bezug nicht selbst verantwortlich ist. Das betrifft zum Beispiel viele Alleinerziehende, Rentner*innen, Menschen mit Behinderungen und ihre pflegenden Angehörigen. Also Menschen wie Hafsa Shamalieh, die sich als pflegende Angehörige rund um die Uhr um ihre Tochter kümmert, die eine Förderschule besucht und den höchsten Pflegegrad fünf hat.

Doch gerade diese Ausnahmeregelung soll in Zukunft nur noch für drei konkrete Personengruppen gelten: die sogenannte „Gastarbeitergeneration“; dann alle, die in Vollzeit arbeiten und es in den letzten zwei Jahren mindestens 20 Monate getan haben und trotzdem auf Sozialleistungen angewiesen sind; sowie Familien im Sozialleistungsbezug, bei denen ein Elternteil in Vollzeit arbeitet und der andere ein minderjähriges Kind betreut.

Das dürfte den Einbürgerungswunsch von Hafsa Shamalieh und ihrer behinderten Tochter zunichtemachen. Neben der Pflege und Organisation ihrer schwerbehinderten Tochter ist eine zusätzliche Vollzeittätigkeit für sie nicht möglich. „Am Mittwoch hatte sie ihre Routineuntersuchung im Krankenhaus. Am Freitag musste ich mit ihr zum Orthopäden, weil sie eine Wirbelsäulenkrümmung entwickelt hat“, berichtet Shamalieh aus ihrem Alltag. Dazu kommen regelmäßige Behördengänge, das Beschaffen von Attesten und Rezepten für die Förderschule sowie Medikamente. „Es ist immer irgendetwas.“

Shamaliehs Tochter benötigt Rundumbetreuung. Sie wird über eine Magensonde ernährt, muss regelmäßig länger ins Krankenhaus. Als alleinerziehende pflegende Angehörige ist Shamalieh auf Sozialleistungen angewiesen. Wenn es nach der Bundesregierung geht, ist eine Einbürgerung für sie wie auch für ihre Tochter künftig ausgeschlossen.

Ausnahmen nur für manche

Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung, für Fälle wie dem von Shamalieh und ihrer Tochter könne künftig die Härtefallregelung aus Paragraf 8 Absatz 2 des Staatsangehörigkeitsrechts greifen. Die Entscheidung darüber obliege aber den Behörden, einen Anspruch gebe es nicht. Diese Härtefallregelung werde bisher schon sehr restriktiv ausgelegt, erklärt die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman. Sie sei nicht ausreichend, um das Diskriminierungsrisiko zu beseitigen. Ataman fordert eine klarstellende Regelung im Gesetzestext selbst, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Dass einige Personengruppen gegenüber anderen bevorzugt behandelt werden sollen, könnte vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot verstoßen. Die geplante Verschärfung knüpft zwar nicht unmittelbar an die Diskriminierungsmerkmale der Behinderung, des Geschlechts oder des Alters an. Die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung drängt sich allerdings auf, besonders wenn es um Frauen geht, die die Einbürgerung anstreben und sich in prekären Lebenssituationen befinden.

Denn noch immer sind überwiegend Frauen alleinerziehend oder pflegen Angehörige und können daher regelmäßig nicht in Vollzeit arbeiten, sodass sie auf Leistungen angewiesen sind. Nur 10 Prozent der Frauen in Deutschland verdienen mehr als 2.000 Euro netto. Weil Frauen aufgrund ihres niedrigen Einkommens zu Erwerbszeiten weniger Rentenpunkte sammeln, müssen viele im Alter ihre Rente aufstocken, also Sozialleistungen beziehen.

Die vorgesehene Verschärfung missachtet zudem die Belange von Menschen mit Behinderung, die ebenfalls häufig auf Sozialleistungen angewiesen sind. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. „Der Gesetzentwurf würde im Fall seiner Verwirklichung gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen und wäre unserer Einschätzung nach auch verfassungswidrig“, kritisiert Karsten Dietze von Handicap International.

Die FDP ist zufrieden

Auch innerhalb der Ampelkoalition gibt es Kritik am Gesetzentwurf aus dem Hause der Bundesinnenministerin Nancy Fae­ser (SPD). In der ersten Lesung im Bundestag drangen Abgeordnete von SPD und Grünen vergangene Woche auf eine Überarbeitung des Entwurfs. Filiz Polat (Grüne) unterstrich, dass die Reform nicht gegen gleichheitsrechtliche Prinzipien verstoßen dürfe. Hakan Demir (SPD) erklärte, auch er könne „nicht ganz nachvollziehen, warum wir einer Mutter, die ihr Kind pflegt, oder Menschen mit Behinderung das Recht auf Einbürgerung absprechen sollten. Darüber müssen wir noch miteinander sprechen.“

Die FPD hingegen beharrt auf der Regelung und möchte nicht nachbessern. Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte vielmehr: „Es ist richtig, dass hart arbeitende Menschen schneller Staatsbürger werden können, jedoch werden die Kriterien für die Einbürgerung insgesamt verschärft. Wer als Ausländer von Sozialleistungen lebt, wird künftig kein Staatsbürger mehr werden können.“

Schon in der kommenden Sitzungswoche, der letzten des Jahres, will die Ampel das Gesetz beschließen. Viele, die lange auf eine solche Reform gewartet haben, hoffen nun, dass der Bundestag in dieser Zeit nicht nur formale Korrekturen vornimmt, sondern die Gelegenheit nutzt, die Lebensrealitäten der Schwächsten in der Gesellschaft mitzuberücksichtigen.

Während der ersten Lesung im Bundestag protestierte das Bündnis „Pass(t) uns allen“ vor dem Reichstagsgebäude: Die Reform müsse „an die Realitäten einer vielfältigen und demokratischen Migrationsgesellschaft“ angepasst werden, fordert das Bündnis. Man dürfe diese „historische Chance nicht verpassen“.

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