Nach Anschlagserie in Afghanistan: Straßenproteste gegen die Taliban

Nach Anschlägen demonstriert die schiitische Minderheit der Hasara für besseren Schutz. Die Taliban beschuldigen den IS und diskriminieren selbst.

Eine Frau in einer Gruppe trägt das Bild einer jungen Frau

Immer wieder gibt es Anschläge auf Hasara, im Oktober 2022 auf ein Bildungszentrum in Kabul Foto: Ebrahim Noroozi/ap/picture alliance

BERLIN taz | Nach einer Anschlagserie gegen Schiiten in der westafghanischen Großstadt Herat ist es zu einer großen Demonstration gekommen. Hunderte zogen mit den Leichen der Ermordeten durch die Straßen und verlangten von den Taliban-Behörden Gerechtigkeit sowie einen besseren Schutz der Minderheit.

Am Freitag waren sechs Menschen getötet und drei weitere verletzt worden, als Unbekannte auf die Passagiere einer Motorrikscha schossen. Sie kehrten gerade von der traditionellen Trauerfeier für einen schiitischen Geistlichen 40 Tage nach dessen Tod zurück. Der war Ende Oktober in Indschil bei Herat ermordet worden. Unter den Toten sind zwei weitere schiitische Geistliche, außerdem zwei Männer und zwei Frauen.

Bereits Ende November waren zwei schiitische Geistliche ermordet worden. Die zwei letzten Vorfälle ereigneten sich im Herater Viertel Dschebrail. Dort leben fast ausschließlich Schiiten aus der ethnischen Gruppe der Hasara. Zu den Morden bekannte sich bisher niemand.

Nach den Protesten versicherte Herats Taliban-Gouverneur Nur Ahmad Islamjar einer Abordnung von Angehörigen der Opfer, man werde die Schuldigen finden. Er sagte, unter den Taliban gebe es „keinerlei Diskriminierung“. Das Innenministerium in Kabul sprach von einem „terroristischen Angriff“.

Doppelte Diskriminierung – religiös und ethnisch

Allerdings sind Schiiten und insbesondere Hasara in Afghanistan als doppelte – ethnische wie religiöse – Minderheit einer in Teilen der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung verankerten institutionalisierten Diskriminierung ausgesetzt.

Das verschlimmerte sich unter den Taliban noch. Sie hoben die Anerkennung der Schiiten als eigenständige Konfession innerhalb des Islam auf, die nach langen politischen Kämpfen unter der Vorgängerregierung in der afghanischen Verfassung verankert worden war. Damit verfügen die Schiiten auch über keine eigenständige Gerichtsbarkeit für innergemeinschaftliche Konflikte mehr. In der Regierung sind sie, trotz zweier Vizeminister und einiger Distriktgouverneure und -polizeichefs, kaum noch vertreten.

Die talibankritische Onlinezeitung Hascht-e Sobh schrieb, die Anschlagswelle „verstärke den Verdacht, dass eine Art von systematischen Kettenmorden geschehe, die sich gegen eine bestimmte ethnisch-religiöse Identität richten“. Die Taliban lasteten solche Angriffe gewöhnlich der ultraislamistischen Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) an, „aber die öffentliche Meinung beschuldigt überwiegend die Taliban“.

Einer der Überlebenden des Anschlags vom Freitag sagte dem afghanischen Fernsehsender Tolo, er wundere sich, wie die Attentäter ihre Waffe trotz der vielen Kontrollposten in das Gebiet bekommen hätten: „Wir Arbeiter, wenn wir abends nach Hause kommen, werden immer am ganzen Körper durchsucht.“

IS betrachtet Schiiten als abtrünnig vom Islam

Im September vorigen Jahres berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der IS habe seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 die Verantwortung für mindestens 13 Anschläge auf Hasara übernommen und werde mit drei weiteren in Zusammenhang gebracht. Dabei seien 700 Menschen ermordet oder verletzt worden.

Der IS betrachtet die Schiiten als Abtrünnige vom Islam und deshalb als legitime Angriffsziele. Allerdings kommt es auch unter den Taliban zu Übergriffen gegen Hasara, einschließlich Gruppenvertreibungen. Sie ereignen sich vor allem in Gebieten, in denen es bewaffneten Widerstand gab oder wo langjährige Landkonflikte existieren. Einige Ak­ti­vis­t*in­nen sprechen von „Genozid“.

Die Demonstration in Herat zeigt: Innerhalb der ethnisch-religiösen Minderheiten rumort es gegen die Taliban.

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