Ziviler Widerstand in Italien: Weibliche Stereotype als Waffe

Frauen organisierten den Widerstand gegen die italienischen Faschisten und nahmen selbst das Gewehr in die Hand, sagt Historikerin Benedetta Tobagi.

Vier Frauen mit Maschinengewehren rauchen gemeinsam.

Italienische Partisaninnen in Castellucio, 1944, warten auf ihren Einsatz als Patrouillengängerinnen Foto: akg-images

Die italienische Historikerin und Schriftstellerin Benedetta Tobagi setzt sich in ihrem Buch „La Resistenza delle donne“ (Auf Deutsch: „Der Widerstand der Frauen“) mit dem Kampf der italienischen Frauen gegen den Faschismus auseinander. Dafür wurde sie in diesem Jahr mit dem Premio Campiello ausgezeichnet, einem der wichtigsten literarischen Preise Italiens.

Den Preis hat sie umgehend jenen Iranerinnen gewidmet, die gegen das islamistische Regime in Teheran kämpfen. In „La Resistenza delle donne“ erzählt Tobagi anhand von Biografien und Dokumenten, wie groß und bedeutsam die weibliche Komponente des antifaschistischen Widerstands in Italien war. Im Gespräch mit der taz erklärt sie, warum dies auch heute noch häufig ausgeblendet wird und wie wichtig es für die Gegenwart wäre, Frauen als Protagonistinnen des antifaschistischen Widerstands wahrzunehmen.

wochentaz: Frau Tobagi, in Ihrem Buch beschreiben Sie, wie entscheidend der zivile Widerstand im Kampf gegen den italienischen Faschismus gewesen war. Warum tun sich immer noch viele so schwer, die Rolle der unbewaffneten Resistenza, der sehr viele Frauen angehörten, überhaupt wahrzunehmen?

Benedetta Tobagi

wurde 1977 in Mailand geboren. Sie promovierte an der University of Bristol in Geschichte. Ihr erstes Buch, „Come mi batte forte il tuo cuore“ (2009), widmete sich der Ermordung ihres Vaters, des Journalisten Walter Tobagi, durch die „Brigata XXVIII marzo“ im Jahr 1980.

Benedetta Tobagi: Die Anerkennung der zivilen Widerstandsformen, sowohl in Italien als auch in Europa, kam sehr spät, gegen Ende der 1980er oder 1990er Jahre. Italien hatte erst 1943 die Seite gewechselt. In der Nachkriegszeit musste es sich vor den Augen der Alliierten legitimieren. Das geschah insbesondere durch die Aufwertung des militärischen Beitrags, auch den der Partisanen. Dies führte zur Gleichsetzung des Widerstands mit den bewaffneten Sektoren. In der Forschung wird der Stellenwert des zivilen Widerstands schon lange anerkannt. Zwischen historischer Forschung und ihrer Übernahme in den öffentlichen Diskurs liegt jedoch immer ein zeitlicher Abstand.

Beschränkte sich der Widerstand der Frauen allein auf den zivilen Ungehorsam?

Nein. Nach dem Waffenstillstand im September 1943 wurde ein großer Teil des Landes – insbesondere der Norden, wo der Faschistenführer Mussolini die Republik von Salò ausgerufen hatte – von den deutschen Nazi-Truppen besetzt. Während die Männer hier gejagt und an die Front geschickt wurden, konnten sich die Frauen weiter frei bewegen, da sie keine militärische Verpflichtung hatten. In diesem Kontext wurden viele zu Partisaninnen. Frauen halfen, den Männern sich zu verstecken, dem Krieg zu entkommen und somit den Widerstandskampf überhaupt zu beginnen. Danach begannen die Frauen mit dem Aufbau eines logistischen Netzwerks, wie es für jeden Widerstand unerlässlich ist. Frauen schmuggelten Waffen, transportierten Mitteilungen und Nachrichten und trugen mit anderen Arten von Unterstützung dazu bei, dass ein Widerstandskampf überhaupt erst möglich wurde. Das Innovative ist aber, dass Frauen immer mehr Fähigkeiten erwarben und Verantwortung übernahmen. Viele von ihnen – laut Schätzungen 35.000 – wurden zu Partisanen-Kämpferinnen. Und bis zu 500 Frauen wurden Kommandantinnen einer Partisanenformation.

Welche Rolle spielte die Teilnahme an der Resistenza bei der Emanzipation der italienischen Frauen?

Bereits vor der faschistischen Diktatur war Italien ein äußerst patriarchalisches, katholisches Land. Um sich der bewaffneten Resistenza anzuschließen, mussten viele Frauen die sozialen Konventionen und den Willen ihrer Familien und Männer, die sie am liebsten zu Hause gewusst hätten, herausfordern. Die „Gruppi di difesa della donna“ – auf Deutsch „Frauenverteidigungsgruppen“, eine große weibliche Widerstandsorganisation mit mehr als 70.000 Mitgliedern – kämpften bewusst gegen den Faschismus und gleichzeitig für die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung der Frau. Aber viele Frauen waren sich der Last des Patriarchats nicht bewusst. Fest steht allerdings, dass alle, bewusst oder unbewusst, einen Kampf gegen die sexistischen Vorurteile der Zeit führten. Und dieser begonnene Kampf – der noch nicht feministisch, aber immerhin protofeministisch war – setzte sich in der Nachkriegszeit fort.

Wirklich? Die italienische Gesellschaft der Nachkriegszeit war äußerst sexistisch.

Sagen wir mal so: Das System wurde durch die Resistenza aufgebrochen. Aber nicht gänzlich untergraben, was natürlich bei vielen Frauen, besonders bei Kommunistinnen oder Sozialistinnen, zu großen Enttäuschungen führte. Die Nachkriegszeit wurde vom Kalten Krieg geprägt, das politische Klima war stark konservativ und antikommunistisch. Die Resistenza wurde in den Hintergrund gedrängt und als zu radikal erachtet. Außerdem kam es in der Nachkriegszeit zu einer Wirtschaftskrise, und die wenige bezahlte Arbeit, die es gab, sollte an die Männer gehen. Der Beitrag der Frauen in den Jahren von 1943 bis 1945 wurde später jedoch zu einem wichtigen Bezugspunkt, auch für die Frauenbewegung der Siebzigerjahre.

Manche Partisaninnen verhielten sich so, als seien sie naiv, zerbrechlich oder eitel. Sie trugen absichtlich Kleidungen, die stark sexualisiert waren, um Waffen oder Mitteilungen zu transportieren. Sie bedienten absichtlich Klischees – was nicht unbedingt feministisch klingt.

Aber in Wirklichkeit war das ein erster Moment der Bewusstseinsbildung. Die Frauen realisierten, dass es weibliche Stereotype gab. Und sie verwandelten diese Stereotype in eine Waffe gegen die Faschisten. Es ist also kein Widerspruch zur Selbstbestimmung, sondern ein erster Schritt in Richtung Befreiung. Denn die Frauen nutzten den Blick der Welt auf sie in ihrem Kampf, eben um diese Welt zu verändern.

Über das Thema Vergewaltigung aber schwiegen sie, obwohl viele von ihnen davon betroffen waren.

Ja, denn das gesellschaftliche Stigma war enorm. Die Mentalität in den 1940er war dermaßen puritanisch, dass es für eine Frau besser war, getötet als vergewaltigt zu werden, denn eine Vergewaltigung galt als große Schande für die gesamte Familie. Die Frauen schwiegen also nicht nur wegen des Traumas, sondern auch wegen dieser sozialen Stigmatisierung. In manchen Fällen sprachen sie erst Jahrzehnte später über die Ereignisse, zum Beispiel in den 1990er Jahren, als im Rahmen des Jugoslawien-Konflikts der Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte. Übrigens, bis 1996 wurde die Vergewaltigung in Italien als Verbrechen gegen die Moral betrachtet und nicht gegen die Person. Und von der Stigmatisierung haben wir uns noch nicht vollständig befreit, vor allem, wenn der Vergewaltiger eine mächtige Person ist.

Ihr Buch erscheint 80 Jahre nach diesen Ereignissen. Ist es noch aktuell, über die Rolle der Frauen in der Resistenza zu schreiben?

Ja, denn das hilft, die Unterschätzung und die vielen Stereotype, die immer noch existieren, abzubauen. Es ist zudem wichtig, die Rolle des Antifaschismus für die Gründung der italienischen Republik in den Mittelpunkt zu stellen. Das größte Problem im heutigen Italien ist die Präsenz einer großen rechten Szene, die versucht, die Rolle der Resistenza und die Werte des Antifaschismus kleinzureden und zu delegitimieren. Diese Rechte ist nun an der Regierung.

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