Notunterkunft geschlossen: Auszug ins Ungewisse

Eine von zwei „24/7-Notunterkünften“ für Wohnungs- und Obdachlose schließt, eine Alternative ist gescheitert. Die Stadtmission weist Kritik zurück.

Mensch schläft in kahler Unterführung

Worst case Straße: Bei der aktuellen Kältewelle sollte das jedem erspart bleiben Foto: imago / Jürgen Ritter

BERLIN taz | Minusgrade, Schneefall: Das klingt nicht nach einem geeigneten Zeitpunkt, um eine von nur zwei Berliner „24/7-Notunterkünften“ für Obdachlose zu schließen. Genau das geschieht jedoch an diesem Donnerstagmorgen. Bis 10 Uhr müssen die 88 Be­woh­ne­r*in­nen die „SuN Schutz und Neustart für Menschen ohne Obdach“ in der Auguststraße in Mitte verlassen haben.

Zwei Betroffene mit Koffern stürmen aufgebracht aus dem Gebäude. Eine Frau übersetzt, dass sie auf Polnisch die Stadtmission beschimpften. Ein weiterer Mann mit Koffer und Rucksack sagt der taz, er wolle zunächst zu einem Bekannten ziehen und „dann mal gucken“. Er glaubt, weil er nicht „registriert“ sei, könne er in keine andere Unterkunft ziehen. Er ist sehr frustriert.

Wegen der „Unvereinbarkeit mit seiner baurechtlichen Widmung“ könne das Gebäude nicht länger als Unterkunft für obdach- und wohnungslose Menschen genutzt werden, heißt es vom Träger der Notunterkunft, der Berliner Stadtmission. Das Haus wurde vor Corona als Hotel genutzt und fungierte während der Pandemie als ganztägig geöffnete Unterkunft für obdach- und wohnungslose Menschen.

Bisher wurde das Projekt aus EU-Mitteln finanziert, die waren jedoch bis November 2023 befristet. Nach langer Ungewissheit über die Weiterfinanzierung wurde das Geld dafür letzte Woche gesichert: 4,6 Millionen Euro jährlich sind laut Senatssozialverwaltung im nächsten Doppelhaushalt für die 24/7-Unterkünfte vorgesehen.

Nach der zweijährigen Laufzeit des Projekts sollten die Betroffen am 30. 11. in eine Ersatzunterkunft nahe der Potsdamer Straße ziehen, berichtet Barbara Breuer, Sprecherin der Stadtmission. Der Vermieter habe jedoch einen Tag vor Vertragsunterzeichnung unerwartet abgesagt. „Der Umzugsplan stand, das Putzteam war beauftragt. Das war ein Schlag ins Gesicht“, so Breuer. Sie hätten jedoch eine „große Anzahl“ von Betroffenen in anderen Unterbringungen einquartieren können, erklärt sie.

„Alles wie leergefegt“

Einige wurden in einer ambulanten Wohnhilfeeinrichtung am Chamissoplatz in Kreuzberg, andere in einer therapeutischen Wohnstätte in Lichtenberg untergebracht. Ob die Betroffenen dort langfristig bleiben können, sei unsicher. Deshalb arbeite die Stadtmission weiter daran, eine adäquate Immobilie für die Fortführung des Projekts zu finden. Die Suche gestalte sich jedoch als schwierig. „Es ist alles leergefegt“, klagt Breuer.

Für manche Betroffene der Auguststraße hat der Markt offenbar noch etwas hergegeben: Breuer berichtet, dass „einige“ in eigene Wohnungen ziehen oder ein WG-Zimmer finden konnten. Anderen Betroffenen habe man Unterstützung angeboten, sie hätten sich aber eigenständig um Unterbringung kümmern wollen. „Wenn sie zu Freun­d*in­nen oder zurück nach Polen ziehen wollen, kann ich sie nicht zwingen“, so Breuer.

Für alle eine Unterkunft zu finden sei eine Kraftanstrengung gewesen. Die Stadtmission habe jedoch in den letzten zwei Jahren ein „belastbares Netzwerk“ aufgebaut, das sie dabei gut unterstützt habe. Auch die Zusammenarbeit mit den Bezirksämtern sei gut gelaufen. „Wir freuen uns, dass wir gute Lösungen für alle Beteiligten finden konnten“, sagt Stadtmissionsdirektor Christian Ceconi.

Die Union für Obdachlosenrechte (UfO), eine Interessenvertretung wohnungsloser Berliner*innen, bezweifelt das. Schließlich gebe es nur eine andere 24/7-Notunterkunft. Auch dass Betroffene freiwillig zu Freun­d*in­nen zögen oder zurück ins Ausland gingen, zweifeln die AktivistInnen an. Deshalb stehen sie am Donnerstagmorgen vor dem Gebäude in der Auguststraße, um gegen das „unchristliche Verhalten der Stadtmission“ zu protestieren.

Sie kritisieren vor allem deren „Intransparenz“: Als die Betroffenen noch in die Alternativ­immobilie ziehen sollten, sei unklar gewesen, nach welchen Kriterien ausgewählt würde, für wen dort Platz sei, bemängelt Bahar Sanli, die im Namen der UfO protestiert. Von den 88 Be­woh­ne­r*in­nen der Auguststraße hätte im Ersatzobjekt nur etwa die Hälfte Platz gefunden. Dass es Härtefallkriterien für die Aufnahme gab, bezweifelt Sanli. Von einem Bewohner mit chronischer Erkrankung wisse sie, dass dieser bis vor einigen Tagen nicht informiert war, ob er in der Ersatzunterkunft unterkommen könnte. Von dem geplatzten Deal mit der Alternativimmobilie erfuhr die UfO laut Sanli erst am 28. November.

Sie kritisiert, dass die Stadtmission „keine Haltung“ gezeigt habe: „Sie hätten bleiben müssen und sagen: ‚Das Gebäude gehört uns!‘ Sie hätten Druck auf die Politik machen können und eine Ausnahmeregelung erkämpfen, bis sie eine Alternative gefunden hätten.“ Schließlich schmeiße kein Vermieter die Stadtmission raus. „Es gibt Wege und Lösungen“, sagt Sanli. „Wenn man sich gemeinsam an einen Tisch setzt.“

„Die Politik handelt nicht“

Auch bei der Politik sieht sie Handlungsbedarf. „Die gibt nur Stellungnahmen ab, aber sie handelt nicht“, kritisiert Sanli. Die UfO fordert daher Stadtmission und Senat auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und für sofortigen Ersatzwohnraum zu sorgen. Denn das Konzept hält sie für „richtig“ und „gut“.

Von dem Konzept der 24/7-Projekte überzeugt ist auch eine von Wohnungsnot betroffene Frau, die vor der Auguststraße 82 gegen die Schließung mit demonstriert und nicht namentlich genannt werden möchte. Bei anderen Projekten fielen viele durch das Raster, weil sie kein Deutsch sprächen oder „chronische und psychische Erkrankungen“ hätten.

Es fehle in „normalen“ Obdachlosenheimen an psychologischer Unterstützung und Barrierefreiheit, klagt sie. Bei der Wohnungsnothilfe der Bezirke müsse man sensible Daten angeben oder Papiere vorzeigen, die viele nicht hätten. Dass die Unterkunft in der Auguststraße jetzt geschlossen wird, findet sie: „eine Schweinerei“.

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