Planungen für die TVO: Zurück zum Beton

taz-Serie „Was macht eigentlich …“: Die Tangentiale Verbindung Ost soll nun endlich kommen. Die Kritik an der Schnellstraße ebbt gleichwohl nicht ab.

Ein Mann mit rosaner Gesichtsmaske geht auf einem Seil, welches im Wald an den Bäumen befestigt ist

Aus Protest gegen die TVO-Planungen hatten Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen im Mai schon mal Bäume in der Wuhlheide besetzt Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Das Projekt ist mausalt, sein Nutzen inzwischen umstritten – trotzdem setzt der schwarz-rote Senat alles daran, dass die Tangentiale Verbindung Ost gebaut wird. Mitte November verkündete Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU), dass das Planfeststellungsverfahren für die TVO abgekürzte Schnellstraße im Osten Berlins begonnen hat.

„Wir bündeln Verkehr, entlasten Wohngebiete von Verkehr und Lärm“, sagte Schreiner. Und dass der Osten und Südosten Berlins hätten schon „viel zu lange auf diesen Lückenschluss warten“ müssen. Tatsächlich gehen die Planungen für die gesamte TVO zwischen dem Berliner Ring im Norden und der A113 im Süden auf das Jahr 1969 zurück.

Das nördliche Teilstück zwischen Ahrensfelde und Biesdorf entstand in den 1970er Jahren, das südliche Teilstück von der Straße An der Wuhlheide bis zum Adlergestell wurde 2007 fertiggestellt. Nun soll also das fehlende 7,2 Kilometer lange Mittelstück gebaut werden.

„Die Effekte sind die gleichen wie bei der A100“, so Verkehrssenatorin Schreiner. Tatsächlich wird die anvisierte Betonschneise ebenso wie der geplante 17. Bauabschnitt der Stadtautobahn über Treptow hinaus Richtung Prenzlauer Berg vornehmlich damit begründet, dass der Wirtschaftsverkehr flotter fließen könnte und eben die anderen Straßen in dem Bereich entlastet würden.

„Wir ertrinken im Verkehr“, sagt etwa Peter Ohm, Vizepräsident des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN). Der Verband ist Mitglied im Planungsbeirat. Verbände wie der VDGN und die Industrie- und Handelskammer sowie fast alle Parteien sprechen sich daher auch seit Jahren für die TVO aus.

Auch der rot-grün-rote Vorgängersenat war für den Bau der TVO, wollte diese aber mit einem parallelen Radschnellweg und einer Bahntrasse koppeln. In der aktuellen Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD ist freilich nur noch von der Schnellstraße die Rede. Noch bis 2026 soll der Bau beginnen. Gerechnet wird mit täglich bis zu 33.000 Fahrzeugen in beiden Richtungen.

BUND geht von weitaus teureren Kosten aus

Die TVO wäre dabei nach der A100 die zweitteuerste Straße Berlins. Die geschätzten Baukosten lagen 2018 noch bei 155 Millionen Euro, inzwischen wird offiziell von 351 Millionen Euro gesprochen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist sich sicher, dass die TVO weitaus teurer wird. „Verwaltungsintern wird derzeit unserer Kenntnis nach von Kosten von mindestens einer halben Milliarde Euro ausgegangen“, heißt es vom BUND Berlin auf taz-Anfrage.

Davon, so der BUND weiter, müssten über die Hälfte aus dem Berliner Landeshaushalt kommen. Ein Wahnsinn, findet der Verband. Dies umso mehr, als es Berlin mit den vorhandenen Geldern „nicht einmal schafft, die bereits bestehende Infrastruktur instandzuhalten“.

Nicht nur für die Verkehrsverwaltung ist die TVO indes alternativlos. „Wir brauchen Verlässlichkeit im Nahverkehr“, argumentiert auch Peter Ohm vom VDGN. „Bahnstreiks, Klimakleber und Preisentwicklung“ hätten für eine Abkehr der Leute vom ÖPNV gesorgt. Zudem sei der Nahverkehr im Berliner Osten nicht so ausgebaut wie in der Innenstadt. Da, so Ohm weiter, auch Busse im Stau feststeckten, würde der ÖPNV sogar davon profitieren, „wenn die Straßen freier wären“.

Bei der Bürger*innen-Initiative Wuhlheide sorgen solche Sätze für Kopfschütteln. Die Initiative will An­woh­ne­r*in­nen über die möglichen Folgen der TVO informieren. Katja vom Presseteam der Initiative ist überzeugt: „Es wird noch mehr Verkehr von außen zum BER folgen und es kommt zu Staus auf der TVO.“ Ortskundige Autofahrende würden weiterhin auf die bekannten Routen ausweichen. Dazu käme der Schwerlastverkehr.

Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten

Aus der Verkehrsverwaltung heißt es zwar, es sei „nicht zu erwarten, dass die TVO für den Transitverkehr genutzt wird“. Genau das befürchtet allerdings der BUND, da die Route über die TVO 20 Kilometer kürzer wäre als der Weg über den Berliner Ring und als Stadtstraße nicht mit einer Maut belegt werden könne.

Auch verkehrswissenschaftlich sei eines belegt, so der BUND: „Neue Straßenkapazität und neue attraktive Verbindungen erzeugen immer zusätzlichen Straßenverkehr.“ Die TVO sei daher nur eine Scheinlösung, weil das eigentliche Problem nicht angegangen werde: die Notwendigkeit, den Straßenverkehr massiv zu reduzieren.

Katja von der Bürger*innen-Initiative sieht das genauso: „So werden die Verkehrsprobleme in Biesdorf nicht gelöst, sondern einfach nach Karlshorst und Schöneweide verlagert, nach dem Motto: Hauptsache, nicht vor meiner Haustür.“ Den betroffenen Menschen wäre eher geholfen, wenn es attraktive ÖPNV-Verbindungen und sichere Radwege als Alternative gebe.

Planung für Nahverkehrstangente nicht prioritär

Konkret schlägt die Initiative zudem eine dichtere Taktung der S-Bahnlinien S3 und S5 und der U-Bahnlinie U5 vor sowie unter anderem einen Ausbau des Tram- und Busverkehrs zwischen Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick. Auch der BUND pocht mit Blick auf die Tram auf einen Lückenschluss zwischen Mahlsdorf und Hellersdorf. Mit nur etwas über zwei Kilometern Strecke ließe sich so eine neue und vor allem attraktive Tangente schaffen.

Eine Alternative könnte auch eine zweigleisige Schienen-TVO sein, im Amtsdeutsch als Nahverkehrstangente (NVT) bezeichnet. Damit könnte der äußere Bahnring geschlossen werden, der eine Lücke im östlichen Teil hat.

Bis Ende des Jahres soll für die NVT „ein sogenannter Systementscheid vorbereitet werden, der klärt, ob die Strecke für den Schienenpersonennahverkehr als S-Bahn oder als Regionalverkehrslösung ausgeführt wird“, teilt die Verkehrsverwaltung mit. Und: „Die Planung für die Nahverkehrstangente befindet sich aktuell in der Phase der Grundlagenermittlung.“ Mit anderen Worten: Das kann dauern.

Und dann ist da noch der Wald. Gerade erst wurde im Waldzustandsbericht festgestellt, dass es den Berliner Bäumen erheblich schlechter geht als denen in Brandenburg. Was auch an der „starken Zerschneidung der Berliner Wälder durch Verkehrstrassen und Wohnungsbau“ liege. Für den mindestens vierspurigen Verkehrstraum aus Beton müssten 15 bis 16 Hektar Wald in der Wuhlheide gefällt werden, darunter vier bis fünf Hektar mit 80 Jahre alten Eichen.

Initiative bereitet Petition vor

Bestimmte Flächen sollten „einer Gestaltung und Aufwertung zugeführt werden“, heißt es hierzu wolkig aus der Verkehrsverwaltung. Auch seien „auf den trassenfernen Maßnahmenflächen“ Aufforstungen und Artenschutzmaßnahmen vorgesehen. Zudem soll die Rudolf-Rühl-Allee zurückgebaut werden. „Eine Entsiegelung der Rudolf-Rühl-Allee ist sicher nicht falsch“, findet der BUND. „Aber letztlich wird eine alte Schneise durch eine breitere neue ersetzt. Bäume erreichen jedoch erst nach Jahrzehnten ihren vollen Wert im Biotop.“

Und an einer massiven Reduzierung des Straßenverkehrs führe allein schon wegen der Klimakrise kein Weg vorbei. Klar sei: Die TVO weise in die komplett andere Richtung. Auch deshalb bereitet die Bürger*innen-Initiative Wuhlheide aktuell eine Petition vor, mit der der Senat aufgefordert wird, den Antrag für den Beginn des Planfeststellungsverfahrens wieder zurückzuziehen. Im Januar sollen die Unterschriften an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses übergeben werden.

Die Erfolgschancen der Petition sind bescheiden. Das gilt aber auch für den vom Senat anvisierten Baubeginn in dieser Legislaturperiode. Peter Ohm vom VDGN glaubt, dass eine Fertigstellung bis Ende der 2020er Jahre „realistisch“ sei. Utopisches Wunschdenken, entgegnet der BUND: „Wir rechnen mit zahlreichen Widersprüchen und behalten uns auch eine Klage vor.“ Neben der Biotopzerstörung gehe es auch um den Einfluss des Straßenbaus auf das Wasserschutzgebiet des Wasserwerks Wuhlheide. „Was bedeutet das für die Grundwasserneubildung in einer immer trockener werdenden Region?“

„Selbst wenn der Planfeststellungsbeschluss für die TVO in hohem Tempo vorangetrieben wird, glauben wir nicht daran, dass eine zügige Realisierung der TVO überhaupt möglich ist“, heißt es auch von Antje Kapek, der verkehrspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

Neben der Bedrohung von Flora, Fauna und Klima stünden den Planungen zusätzlich explodierende Kosten und drohende langjährige Klageverfahren entgegen. „Eine Inbetriebnahme ist selbst bei dem optimistischsten Verlauf nicht vor 2035 realistisch. Rechnen wir Kostensteigerungen und die üblichen Berliner Bauverzögerungen hinzu, sind wir locker 10 Jahre weiter“, so Kapek. Dann wäre die TVO erst 2045 fertig. Bis dahin wollte Berlin eigentlich klimaneutral sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.